Alle Anwesenden, einschließlich der Königin selbst, starren den Neuankömmling fassungslos an. Marlons ineinander geflochtenen Finger verkrampfen sich auf seinem Schoß derart, dass seine Knöchel weiß hervortreten. Sein Gesicht hingegen kann Sillír nicht sehen. Er stößt sich von der Wand ab und kommt ein paar Schritte an das Geschehen heran.
Schließlich räuspert Zabel sich. „Das könnte jetzt jeder behaupten.“
„Sie spricht die Wahrheit“, meint Sillír. Aufmerksam betrachtet er die Prinzengemahlin. „Ich spüre es. Sie spricht die Wahrheit.“
„Wie kannst du dir da sicher sein?“, fragt Zabel und dreht sich zu ihm herum.
„Gänzlich sicher bin ich mir nicht“, erwidert er. „Doch es gibt eine Möglichkeit, Gewissheit zu erlangen.“
Jetzt wendet sich auch Marlon zu ihm. Im spärlichen Licht der Öllampen an den Wänden funkeln seine Augen auf, sein dunkles Haar schimmert gelblich. „Glaubst du, das wird funktionieren?“
Leicht zuckt Sillír mit den Schultern. Es gibt nie eine Garantie, dass seine Fähigkeiten sich entfalten, bloß weil er jemanden Haut an Haut berührt, da wird er sein Gegenüber nicht belügen. Dennoch …
„Einen Versuch ist es wert“, sagt er.
Marlon nickt ihm zu. „Nun gut, dann versuchen wir es.“
„Was gedenken Sie zu versuchen?“, will die Königin mit angespanntem Tonfall wissen. Sie krallt ihre Finger in den schwarzen Stoff ihres Morgenmantels. Zum ersten Mal, seitdem sie sich hier zusammengefunden haben, zeichnet sich Sorge in ihrem Blick ab. „Was haben Sie vor?“
Die Sesselpolsterung knatscht leise, als Marlon sich erhebt und mit einer Armbewegung hinter sich auf Sillír deutet. „Unser Fae hier kann herausfinden, ob Ihre Hoheit die Wahrheit spricht“, erklärt er ruhig. Er schaut zur Prinzengemahlin. „Darf ich bitten?“
Schweigen kehrt ein, schließlich atmet die Prinzengemahlin auf und tritt näher. Sillír will gerade zu ihr gehen, als die Königin sie am Arm packt und zu sich zieht.
„Du musst das nicht tun!“, zischt sie in ihr Ohr. Mit höchster Wahrscheinlichkeit sind diese Worte weder für Marlons und Zabels, noch für seine Ohren bestimmt, doch da haben die beiden das scharfe Gehör eines Fae unterschätzt. „Denk an deinen Sohn und überlasse mir diese Angelegenheit.“
Abrupt schüttelt die Andere den Kopf und ergreift die Hand, die ihren Oberarm umschlossen hält. Mit gesenktem Blick flüstert sie: „Nein. Das kann ich nicht tun. Ich danke dir für deine Hilfe, mein Gewissen jedoch verbietet mir, eine Unschuldige für meine Tat, gerechtfertigt oder nicht, büßen zu lassen.“ Die beiden sehen einander direkt an. „Versprich mir nur, dass es meinem Sohn an nichts fehlen wird, wenn ich einmal nicht mehr bin.“
Tränen glitzern in den Augen der Königin. „Du hast den Mut gefunden zu tun, was ich längst hätte tun sollen. Natürlich werde ich mich um deinen Sohn kümmern.“
Sillír kneift die Augen zusammen. Es ist so, wie er vermutet hat. Die Königin und die Prinzengemahlin haben nicht nur ein Komplott gegen den König geschlossen, sie haben ihn auch aus einem bestimmten Grund getötet, und der ist nicht, dass sie einen neuen Krieg wünschen. Also ist er nicht das einzige Opfer gewesen.
„Ich bin bereit!“, sagt die Prinzengemahlin entschlossen und wendet sich an Sillír.
Sie nähert sich ihm weiter und er kommt ihr entgegen, streckt seine entblößte Hand aus. Er greift nach dem Handgelenk sein Gegenübers und schließt die Augen.
Lichtblitze zucken durch sein inneres Sichtfeld, in dem jene Frau erscheint, zu der er gerade Hautkontakt hält. Sie schenkt Wein in einen Kelch und gibt ein blaues Pulver aus einer kleinen Phiole hinein, bevor sie ihn weiterreicht.
Blinzelnd und nach Luft schnappend taucht Sillír aus seiner Vision auf. Er atmet tief durch und schaut zunächst in die geweiteten Augen der Prinzengemahlin, dann in die Runde.
„Mein Gespür hat mich nicht getäuscht. Sie spricht die Wahrheit.“
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Detektiv Schwarzherz und der Fall des Königs - überarbeitete Version
FantasyHandlungshinweis: In dieser Geschichte kommen Themen wie Krieg, Blut und Gewalt sowie sexuelle Gewalt vor. Außerdem werden Kindesmissbrauch und Suizid erwähnt, aber nicht näher geschildert. ☆☆☆ Als der Privatdetektiv Ma...