Kapitel 5

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* TILL *

Der Verkehr ist die Hölle.

Alle Strassen, die zum Krankenhaus führen, sind brechend voll!

Ein Moped hier, ein Fahrradfahrer dort, nur rote Ampeln, Transporter die in der zweiten Reihe halten oder Laster, die sich durch den Verkehr quetschen.

Man könnte meinen, in diesem Moment hat sich die ganze Welt gegen mich verschworen.

Ich trommle wild gegen die Rückenlehne des Beifahrersitzes vor mir und schnauze Thomas an.

„Herr Gott nochmal Thomas, nun fahren Sie doch schneller!"

Er zuckt bereits bei meinen ersten Worten zusammen. „Aber Sir, ich fahre schon so schnell ich kann. Sie sehen doch was hier los ist."

Mit der Hand macht er eine Geste von links nach rechts, um mich auf den Verkehr hinzuweisen.

Resigniert lasse ich mich in die Rückenlehne der hinteren Sitzbank fallen und maule genervt.

„Ja, ja, ja, ist ja schon gut. Aber was ist, wenn ich zur Geburt meiner Tochter zu spät komme?! Das verzeiht mir Aurora nie! Genauso wenig wie das Andere!"

Den letzten Satz spreche ich so leise und eher zu mir selbst. Aber aufmerksam, wie Thomas nun einmal ist, hört er ihn.

„Sir, ich weiss es geht mich nichts an und ich habe auch keine Ahnung, was genau zwischen Ihnen vorgefallen ist! Aber bitte erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass Sie Beide das wieder hinbekommen. Mrs. Warner ist eine Frau, die mit ihrem Herzen spricht. Und die Liebe zu Ihnen kann man ihr unweigerlich von den Augen ablesen. Auch wenn es mir nicht zusteht, lassen Sie mich sagen, dass ich sehr wohl weiss, dass auch Sie diese Frau mehr als Ihr eigenes Leben lieben."

Seine Worte treffen voll ins Schwarze und er kennt mich, neben Aurora, besser als jeder Andere!

„Meinen Sie wirklich, sie wird mir verzeihen?" frage ich kleinlaut.

„Ja Sir! Ganz sicher!" er schaut mich über den Rückspiegel an.

Mein Kopf hängt nach vorne und ich sehe nur mit den Augen zu ihm auf, als ich schüchtern und verlegen murmle. „Danke Thomas!"

Er nickt mir zu und konzentriert sich wieder auf den Strassenverkehr.

Geistesabwesend schaue ich aus dem Fenster und werde immer nervöser, je näher wir dem Krankenhaus kommen.

Gleich ist es soweit!

Gleich werde ich sie endlich wiedersehen!

Und vielleicht sogar meine Tochter in den Arm nehmen können! Hoffentlich komme ich auch wirklich rechtzeitig um Aurora während der Geburt beistehen zu können!

15 Minuten später erkenne ich das riesige Gebäude mit dem roten Kreuz auf dem Dach. Noch bevor Thomas den Wagen vor dem Krankenhaus komplett zum Stillstand gebracht hat, öffne ich die Tür und springe auf den Bürgersteig. In einer beispiellosen Meisterleistung eines Sprints renne ich auf den Eingang zu und kann es kaum erwarten, dass sich die automatischen Schiebetüren aus Glas öffnen.

Ich zerre an meiner Krawatte und reiße den obersten Knopf meines Hemdes auf, in der Hoffnung mehr Luft zu bekommen. Der Sprint und die Aufregung schnüren mir regelrecht die Kehle zu.

Als ich vor dem Fahrstuhl stehe und eine gefühlte Ewigkeit auf das erlösende „Ping" warte, mit dem der Aufzug seine Ankunft verkündet, entscheide ich mich kurzer Hand die Treppe zu nehmen.

Das es neun Stockwerke sind, ist mir in diesem Moment völlig egal, denn ich muss so schnell es geht zur ihr!

„Wo... finde... ich... meine Frau?" frage ich die Krankenschwester, die auf der Entbindungsstation hinter dem Tresen sitzt und Akten sortiert.

„Junger Mann holen Sie erst einmal Luft und dann verraten Sie mir vielleicht noch den Namen Ihrer Frau." sie lächelt mich freundlich und ein wenig belustigt an, während ich die Hände auf dem Tresen abstütze, mich etwas abstoße und den Kopf durch meine Arme fallen lasse, um einmal tief Luft zu holen.

„Aber natürlich. Mrs. Aurora Warner." sage ich lachend, weil ich mich über meine eigene Dummheit amüsiere.

Als wenn Aurora hier die einzige Frau auf der Entbindungsstation ist. Naja für mich ist sie das, aber eben nicht für das Krankenhauspersonal!

Die Schwester tippt auf ihrer Tastatur herum, bevor sie sich wieder an mich wendet. „Sie liegt in Zimmer 528. Den Gang runter, dann rechts und dann befindet sich das Zimmer zu Ihrer linken Seite am Ende des Ganges"

Ich renne los, ohne abzuwarten, dass sie ihren Satz beendet hat.

„Hier wird nicht gerannt!" ruft sie mir noch hinterher, aber ich beachte sie nicht weiter und behalte mein Tempo bei.

Als ich um die Ecke in den nächsten Gang biege, stoße ich mit einem Arzt zusammen.

„Mr. Warner! Um Himmels Willen, langsam!"

Ich bin erleichtert, dass weder er noch ich zu Boden gegangen sind. Und noch mehr erleichtert es mich, dass es sich um Dr. Miller handelt, dem ich geradewegs in die Arme gelaufen bin.

Meine Hände liegen auf seinen Schultern und ich ringe so sehr um Luft, dass ich wahrscheinlich gleich hyperventiliere.

„Gott... sei... Dank! Wo... ist sie? Geht es ihr gut? Bin...ich zu spät?" japse ich ihm entgegen und schaue in sein belustigtes Gesicht.

„Ganz ruhig Mr. Warner. Es geht ihr gut und Sie sind nicht zu spät! Ihre Tochter wird heute nicht zur Welt kommen!" antwortet er noch immer mit belustigter Stimme.

Mir steht der Mund offen und ich starre ihn verwundert an. „Nicht??? Aber, aber Sandra hat mich angerufen und gesagt Aurora hätte Wehen?"

„Ja, das hatte sie auch bis vor ca. 40 Minuten. Aber es handelte sich um sogenannte Vor- bzw. Senkwehen. Das ist normal und kein Grund zur Beunruhigung! Ich möchte sie noch ein bis zwei Stunden zur Beobachtung hier behalten, dann kann sie nach Hause." erklärt er mir.

Völlig erschöpft und erleichtert nicht zu spät gekommen zu sein, lasse ich mich auf den Stuhl fallen, der neben uns an der Wand steht. „Puh... und ich dachte ich verpasse alles!"

Dr. Miller klopft mir auf die Schulter. „Nein alles gut Mr. Warner. Aber das Wunder der Geburt ist immer wieder aufregend, nicht wahr?!" schmunzelt er mich an.

Und noch einmal atme ich scharf die Luft aus. „Wem sagen sie das! Kann ich denn jetzt zu ihr?"

Dr. Miller lacht. „Aber natürlich können Sie das. Ich war gerade nach ihr sehen, aber sie schläft. Lassen Sie sie ruhig noch etwas schlafen. Für Ihre Frau war das Ganze mindestens so aufregend wie für Sie!"

Dieser Arzt ist echt unglaublich. Ich mochte ihn vom ersten Tag an!

„Danke Dr. Miller, das mache ich!" Ich erhebe mich von meinem Stuhl und reiche ihm die Hand. Er ergreift und schüttelt sie kurz.

„Schönen Abend noch und bis in ein paar Tagen, wenn es erst richtig aufregend wird." mit diesen Worten verschwindet er um die Ecke.

Ich stemme die Hände auf meine Oberschenkel, atme noch einmal tief durch und gehe dann in Richtung Zimmer 528.

Meine Nervosität steigt ins Unermessliche. Nun nicht mehr wegen der Geburt, sondern weil ich gleich die Liebe meines Lebens nach fünf endlos langen Wochen wiedersehe!

Mein Herz rast, springt mir fast aus der Brust und mein Puls überschlägt sich förmlich.

Vorsichtig und ganz leise öffne ich die Tür und laufe auf Zehenspitzen in das Zimmer. Behutsam schließe ich sie wieder hinter mir und gehe auf das Bett zu, das vor dem Fenster steht.

Und da ist Sie!

Schöner denn je!

Vorsichtig umrunde ich das Bett und setze mich auf den Stuhl direkt neben ihr.

Sie schläft tief und fest und sieht trotz der Strapazen umwerfend aus. Ihr Oberteil ist ein wenig hoch gerutscht und ein Teil ihres wunderschönen, süßen und prallen Babybauches ist zu sehen. Vorsichtig, darauf bedacht sie nicht zu wecken, lege ich meine Hand darauf und spüre sofort eine Bewegung.

Freudentränen treten mir in die Augen und ich flüstere.

„Hey Kleines, da hast du uns aber einen schönen Schrecken eingejagt!"

Die Macht seiner Augen 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt