10 - Träume sind nur Schatten, die in der Nacht tanzen

26 3 11
                                    

Haselpfote lag auf ihrem weichen Nest aus Moos und Farn, ihr Atem ungleichmäßig und flach. Die Erkältung hatte sie fest im Griff und sie fühlte sich schwach und heiß. Neben ihr lag Kleintatze, ihre beste Freundin und nun Älteste des Clans, außerdem die allerbeste Geschichtenerzählerin weit und breit. Haselpfote legte den Kopf auf die Pfoten und betrachtete müde die Wand, noch immer einen Nachhall von etwas in ihrem Kopf, und so war sie in ihren Gedanken ganz bei dem seltsamen Traum, den sie gehabt hatte.

In ihrem Traum war Haselpfote an einem hellen, sonnigen Ort gewesen. Sie war durch eine saftig grüne Wiese gelaufen, umgeben von bunten Blumen und singenden Vögeln. Plötzlich war  eine geheimnisvolle Gestalt vor ihr erschienen, von glitzerndem Sternennebel umhüllt. Es war eine wunderschöne goldene Kätzin mit rot schimmerndem Fell und grauen, dunkel getigerten Flecken gewesen, die sie voller Mitleid angesehen hatte. 

"Du bist nicht das Kind deiner Mutter" hatte sie geflüstert, und Haselpfote spürte erneut einen heftigen Stich des Schmerzes in ihrem Herzen, als sie daran dachte, und die Angst, die sie seit diesem Traum nicht mehr losgelassen hatte. Was, wenn es wahr wäre? Was, wenn sie wirklich nicht zu ihrem Clan gehörte? Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Sie war Haselpfote, Schülerin des HaselClans, Tochter von Wunschrose und Ginsterkralle, Schwester von Frostpfote, Plätscherpfote und Hellpfote. Das stand fest, und Punkt!

Kleintatze regte sich neben der gelbbraunen Kätzin. "Alles in Ordnung, Haselpfote?" murmelte sie besorgt. Haselpfote zwang sich zu einem müden Lächeln und nickte. "Ja, alles gut. Nur ein komischer Traum" log sie.

Kleintatze schnurrte verständnisvoll. "Träume sind nur Schatten, die in der Nacht tanzen. Mach dir keine Sorgen, meine Kleine."

Aber der Stich des Zweifels in Haselpfotes Herzen war hartnäckig, schlimmer als die Wespenstiche, die zum Glück schon seit ein paar Tagen verheilt waren.

Haselpfote konnte den Gedanken nicht loswerden, dass sie vielleicht wirklich nicht zu ihrem Clan gehörte. Was, wenn sie ein HalbClan-Junges war? Die Worte der goldenen Kätzin hallten immer noch in ihrem Kopf wieder und ließen sie nicht zur Ruhe kommen.

Du bist nicht das Kind deiner Mutter...Aber das meines Vaters? fiel es ihr plötzlich auf, und ihr Herz wurde ein wenig leichter. Allerdings nur ein wenig, denn nun fragte sie sich besorgt, wer denn nun ihre Mutter war, wenn nicht Wunschrose. Eine Streunerin? Eine andere Clankatze? Sie grübelte, bis sie Kopfschmerzen bekam, aber weit und breit war keine Lösung in Sicht.

"Du, Kleintatze...Ich muss dich mal was fragen." Sie stupste die braune Kätzin an, die unwillig brummte. "Muss das jetzt sein?"

"Ja, bitte!" bettelte Haselpfote. "Es ist wichtig!" Kleintatze hob den Kopf und sah sie aus ihren gelben Augen an. "Was ist denn los, Kleine?" fragte sie besorgt.

Haselpfote schluckte schwer und setzte sich auf. "Ich hatte einen seltsamen Traum...und da meinte eine goldene Kätzin, dass ich nicht das Kind meiner Mutter bin. Was denkst du darüber? Kann das sein?"

Kleintatze seufzte leise und legte ihre Pfote tröstend auf Haselpfotes Schulter. "Träume können uns manchmal verwirren, Haselpfote. Aber du darfst nicht alles zu ernst nehmen, was du im Schlaf siehst. Du wirst ein wertvolles Mitglied unseres Clans sein, egal wer deine Eltern sind." Ihre Worte waren sanft und beruhigend, doch Haselpfote spürte immer noch den Zweifel in ihrem Herzen, und sie dachte an Goldstreif, die sich lange dem Clan hatte beweisen müssen, weil ihre Mutter eine WeidenClan-Kätzin war.

"Haselpfote, denk daran: Familie ist nicht nur durch Blut verbunden, sondern vor allem durch Liebe und Zusammenhalt. Und Träume sind nur Schatten, die in der Nacht tanzen. Mach dir keine Sorgen. Du gehörst zu uns, egal was dein Traum dir sagt." wiederholte die Älteste eindringlich.

Die braune Kätzin sah auf ihre Pfoten herab. "Viel mehr Sorgen machen mir die Gerüchte, die derzeit im Clan umgehen. Spuren von Hunden und Wölfen, verstreute Beute...Da ist irgendeine unterschwellige Bedrohung, eine Gefahr. Etwas geht im Wald vor sich, das wir nicht verstehen, und das macht mir Angst."

Sie hob den Blick und sah Haselpfote in die Augen. "Etwas Böses geht um. Der Tod kommt, und zwar nicht auf Katzenpfoten."

Haselpfote erschauderte. Sie ließ sich wieder in das Moosnest sinken, müde und erschöpft von den Wirren in ihrem Kopf. Doch in der Dunkelheit lauerte immer noch der Schatten des Zweifels, und sie wusste, dass sie diese Gedanken nicht so leicht loslassen würde. Aber sie beschloss, sich nicht von ihnen unterkriegen zu lassen. Sie war Haselpfote, Schülerin des HaselClans, und sie würde ihren Platz finden, egal was die Träume auch sagen mochten! Die konnten ihr egal sein, und wenn der SternenClan sie höchstpersöhnlich besuchen würde...wie schon einmal.

Ihre Gedanken glitten zu dem, was Kleintatze gesagt hatte. Wie ein gespenstiger Nachhall hörte sie die Worte der Ältesten. Was war da draußen los?

Mit gemischten Gefühlen bettete Haselpfote den Kopf auf den Pfoten. Gerade wollte sie die Augen schließen, da erklang plötzlich ein lautes Fauchen. Efeusturm stand vor ihr, ihr Fell gesträubt vor Wut. "Haselpfote, sofort raus aus dem Nest!" 

Haselpfote kletterte verwirrt aus dem Nest und folgte der schwarzen Kätzin zurück zu ihrem eigenem Schlafplatz. Dabei schimpfte Efeusturm die ganze Zeit vor sich hin, sodass die kleine Schülerin sich kleiner und kleiner fühlte. 

"Haselpfote, wie konntest du nur so leichtsinnig sein? Du hättest Kleintatze anstecken können!" Sie hätte das nicht überlebt!"

Die Schülerin fühlte sich schuldig und schämte sich zutiefst. Sie hatte nicht daran gedacht, dass ihre Krankheit andere gefährden könnte. "Es tut mir leid, Efeusturm. Ich wollte niemanden in Gefahr bringen" murmelte sie und wollte noch etwas hinzufügen  - Entschuldigung oder Rechtfertigung? Sie wusste es nicht, vielleicht wollte sie auch einfach nicht, dass die Kätzin ging, die sie sich immer als Mentorin gewünscht hatte. Vielleicht wollte sie einfach nicht wieder allein sein? - wurde aber von einem heftigem Hustenanfall unterbrochen. 

Jeder  Atemzug reizte ihren Hals, und sie hustete und japste vor sich hin, nicht einmal das bisschen Wasser ihres Moospatts, das neben ihrem Nest lag, half. "Ich...ich wollte nicht..." krächzte sie, ein letzter Versuch, sich für ihre Verantwortungslosigkeit zu entschuldigen, aber die Heilerin schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab.

Haselpfote fühlte sich allein und verlassen.

Der Schatten des Zweifels lag erneut schwer über ihr, während sie sich schließlich in ihr eigenes Nest und in den Schlaf sinken ließ. Doch auch in ihren Träumen konnte sie nicht vor den Gedanken an ihre Herkunft fliehen. Immer wieder tauchte die goldene Kätzin vor ihr auf und flüsterte ihre mysteriösen Worte. Haselpfote wälzte sich unruhig in ihrem Moosnest, kämpfte gegen die Gedanken an, die ihr einen tiefen, erholsamen Schlaf verweigerten.


Schneefall - Neugier | Band IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt