20 - Die Große Versammlung

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Als die Clankatzen in Sicht kamen, die gerade nacheinander und überaus vorsichtig einen dunklen, breiten Fluss mit starker Strömung überquerten,  zögerte Haselpfote. Doch Ahornpfote schob sie weiter. "Komm, sonst schaffen wir es nicht über den Fluss." machte er ihr Mut, und so wagte sich die gelbbraune Kätzin an Haferstern heran.

Die sandfarbene Anführerin war nicht im mindesten überrascht, als sie Haselpfote bemerkte. "Na, du bist uns also doch gefolgt." miaute sie nur. "Geh vor zu deinen Eltern, sie können dir über den Fluss helfen."

Haselpfote tappte zu Wunschrose und Ginsterkralle, die gerade hinter Wolkenschleier und Aalschweif über die Steine kletterten. Sie verharrte für einen Moment, um das enorme Bild des Flusses auf sich einwirken zu lassen. Der Wasserstrom war viel größer als jedes Bächlein, das sie bisher gesehen hatte. Haselpfote glaubte, sie hätte von Nasen- bis Schweifspitze zehnmal hineingepasst, um das andere Ufer zu erreichen, das in der Dunkelheit nur zu erahnen war.

Sie wollte ihren Eltern nachrufen, aber dann sah sie, dass zwischen den Kiegerin und ihren Eltern Frostpfote und Plätscherpfote über die umtosten Felsen schlitterten, und der Ruf blieb ihr in der Kehle stecken.

Die beiden konnten ihr gerade nicht helfen. Dummerweiße stand nun Hellpfote hinter ihr, und sie roch Efeusturm. Schnell wollte die Schülerin sich verstecken, da ertönte schon die strenge Stimme der Heilerin.

"Haselpfote, was machst du hier? Du solltest im Lager bleiben."

"Ich will nur wissen, ob die Prophezeiung ernst genommen wird. Und wie der AhornClan reagiert, weil es eine Versammlung vor Vollmond gibt. Haben sie es ernst genommen?" erklärte Haselpfote tapfer und ließ den Kopf hängen. 

"Ja, es wurde ernst genommen. Der AhornClan hat eingewilligt, mit uns zusammenzuarbeiten, um die drohende Gefahr zu bekämpfen. Aber du hättest nicht hier sein sollen. Du hättest im Lager bleiben und dich ausruhen sollen."

Haselpfote senkte den Kopf noch weiter. "Es tut mir leid, Efeusturm. Aber ich wollte unbedingt dabei sein und etwas bewirken. Ich wollte beweisen, dass ich nützlich sein kann, obwohl ich noch so jung bin..."

Sie spürte warmen Pelz neben sich und sah, dass Ahornpfote neben ihr aufgetaucht war. 

"Bitte, Efeusturm, lass sie mitgehen! Sie ist auf dem Donnerweg fast gestorben, du kannst sie jetzt nicht zurückschicken. Außerdem hat sie wertvolle Hilfe geleistet, als wir die Prophezeiung interpretiert haben. Ich kann auch auf sie aufpassen, wenn du willst."

Efeusturm seufzte. "Na gut. Keine Dummheiten! Und Haselpfote, denk daran, ein bisschen Abstand zu halten..."

"Jaja!" antwortete Haselpfote eilig, dann beobachtete sie ganz genau, wie Hellpfote und Efeusturm den Fluss überquerten. Schließlich war auf ihrer Uferseite nur noch Ahornpfote. "Du gehst vor." meinte der.

"Wenn es sein muss..." murmelte die kleine Kätzin und wagte sich vorsichtig auf den ersten Stein. Er war glitschig, und sie musste sich sehr konzentrieren, um das Geräuch des tosenden, dunklen Wassers unter sich auszublenden. Das Mondlicht spiegelte sich in den schäumenden Spritzern der Wellen, die sich an den Felsen brachen.

Pfote für Pfoten kletterte Haselpfote über den Felsen, dann war da nur noch Wasser. Sie suchte den zweiten Felsen, fixierte ihn und sprang. Für einen Herzschlag flog sie über das schäumende Wasser, dann landete sie rutschend auf dem zweiten Stein. Blieben noch drei. 

Sie kletterte mit zitternden Flanken darüber, rutschte aber beinahe weg. Ihre Krallen kratzten  über den glatten Stein, dann stieß sie sich verzweifelt ab, ohne die Entfernung genau einschätzen zu können.

Sie flog erneut über das dunkle Wasser, dann kam sie auf dem dritten Stein auf und wäre beinahe wieder hinuntergefallen. Sie war zu weit gesprungen. Für die letzten beiden Steine nahm sie sich mehr Zeit, und schließlich fixierte sie das Ufer an und sprang erneut. Endlich war sie auf der anderen Seite.

Einen Wellenschlag später kam Ahornpfote geschmeidig neben ihr auf. "Jetzt ist es nicht mehr weit." ließ er sie wissen, dann beeilten sie sich, den Clan wieder einzuholen.


Etwa drei Katzenlängen hinter den Clankatzen drosselten sie ihr Tempo wieder. Haselpfote japste vor sich hin, während Ahornpfote aufmerksam hinterhertrabte. Schließlich lenkte er ihren Blick auf sieben uralte, riesige Bäume, die im Kreis um eine leicht abfallende Senke standen, in deren Mitte sich ein Felsen befand, silbern glänzend im Mondlicht. Am Rand der Senke machte Haferstern Halt, und Haselpfote, die die Bäume anstaunte, wäre beinahe in Tümpelblick hineingelaufen.

"An die neuen Schüler: Denkt daran, nicht zu viel über den Clan preiszugeben." ermahnte Haferstern Haselpfote und ihre Geschwister, dann schnippte sie mit dem Schweif und die Katzen trabten den sanften Abhang hinab.

Mit stolz erhobenem Kopf folgte Haselpfote ihrem Clan, während sie vor Aufregung glühte. Um den Felsen herum hatte sich bereits der AhornClan versammelt, und als der HaselClan zu ihm strömte, verschwanden ihre Clanmitglieder in einem Meer aus Pelzen. Haselpfote wurde unwohl, und sie blieb auf einer Anhöhe stehen.

Welche von den Smaragdaugen gehörten Wunschrose und Hellpfote? Welches der Bernsteinpaare war von Plätscherpfote? Und welche der von eis- über himmel- bis zu nachtblauen Augen konnten Frostpfotes sein? Ihr Pelz sträubte sich, ein funkelndes, buntes Silbervlies aus Augen schien ihr zu folgen, wohin sie sich auch bewegte.

Als Haferstern zu einem rotbraunen, alten Kater auf den Felsen sprang, löste sich die Anspannung langsam. Während die Katzen auf Mondhoch warteten, verließ Haselpfote ihre Anhöhe, um sich umzusehen.

Eine Gruppe aus zwei weißen Katern, einer davon mit dunkelbrauen Pfoten, und eine dünne, schneeweiße Kätzin standen zusammen und unterhielten sich mit Wolkenschleier, Aalschweif und Tümpelblick. 

Ein braun-grau getupfter Kater unterhielt sich mit Ginsterkralle. Efeusturm sprach mit einem schwarzen Kater mit weißen Ohren und weißem Brustfell, während Hellpfote sich eifrig mit einer cremefarbenen, älteren Kätzin unterhielt, deren helle Flecken wie Mondlicht aussahen.

Wieselpfote und Rosenpfote sprachen mit einem stämmigen, schwarzen Schüler und einem ebenso schwarzen, weiß gesprenkelten Kater, die beide etwa in ihrem Alter zu sein schienen. Endlich entdeckte Haselpfote auch Frostpfotes weißen Pelz und danneben Plätscherpfote; ihre Geschwister tauschten sich aufgeregt mit einer jungen grauschwarz gestromerten Kätzin aus, deren weiße Schwanzspitze aufgeregt zuckte.

Wunschrose sprach ruhig und friedlich mit einer blauschwarzen, zierlichen Kätzin und einer schwarzen Kätzin, die Amsellied ähnelte. Rotfuß unterhielt sich mit einer dunkelroten, aufgekratzten Kätzin, die nie stillhielt. Und Abendröte lauschte gespannt einer braunroten, alten Kätzin mit nur einem Auge und mehreren Narben, die ein schlechtes Gewissen in Haselpfote hervorrief. Sie musste an Glanzrose denken.

Ahornpfote war nirgens in Sicht, also mischte sie sich unter die Katzen. Sie lauschte der Ältesten, deren Name, wie sie erfuhr, Fetzengesicht war, aber diese erzählte nur eine Geschichte über Nordstern, die sie bereits kannte. Also tappte sie weiter und begegnete endlich Ahornpfote, der ihr die Namen der AhornClankatzen verriet. Sie prägte sich die Krieger des feindlichen Clans genau ein. Die anfangs misstrauischen Blicke der AhornClankatzen waren ausgelassene Gespräche und freimütiges Schnurren gewichen.

"Der Mond hat seinen Zenit erreicht!" verkündete der AhornClan-Anführer laut. Sofort kehrte Stille ein, alle wandten sich zum Felsen um. Haselpfote huschte zu Ahornpfote, die anderen hatte sie gerade aus den Augen verloren. Ehrfürchtig lauschte sie den Worten des Anführers - Korallenstern.


Schneefall - Neugier | Band IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt