"Danke." antwortete Haselpfote aus tiefsten Herzen. "Danke für die Geschichte." Sie gähnte.
"Geh schlafen, Kleines." schnurrte Kleintatze und stupste sie mit der Nase an. "Wir sehen uns morgen noch einmal."
Haselpfote nickte und drückte ihre Stirn gegen die der Ältesten, dann verließ sie den Bau.
Als sie in die Nacht hinaustrat, bemerkte sie, dass gerade drei Krieger über die Lichtung trabten. Sie witterte. Der Wind trug ihr einen bekannten Geruch zu - Aalschweif. Außerdem erkannte sie Wolkenschleiers weißen Pelz. Von der dritten Katze erahnte sie gerade mal einen Umriss.
"Wieso müssen wir eigentlich Wasser holen? Machen das nicht Schüler?" fragte jene gerade.
"Abendröte, hast du schonmal gesehen, wie Plätscherpfote Wasser holt? Sie entleert den halben Fluss dabei." schnurrte Wolkenschleier. "Das erklärt dann warscheinlich auch, wieso sie immer so nass danach ist. Wunschrose muss irgendeine Ahnung gehabt haben, als sie ihr den Namen gegeben hat."
"Ja. Sie hat echt zu viel Spaß. Sterne, wie oft hat sich Ginsterkralle schon beschwert, dass das Moos nach nassen Fell und schlammigen Pfoten schmeckt? Und Rotfuß sortiert es auch immer gleich aus. Er ist einfach überfordert, der Arme. Ich glaube, ich will nie Junge haben." erwiderte Aalschweif lachend. "Und das Wasserholen ist doch kein Beinbruch. So, wer bringt es Goldstreif?"
Abendröte zog den Schweif zwischen die Hinterbeine. "Ich nicht, bitte." maunzte er. "Rotfuß ist immer so hektisch."
"Ach komm, Goldstreif ist deine Halbschwester!" entgegnete Wolkenschleier belustigt. "Los, wir kommen mit. Das kannst du eh nicht allein tragen."
"Hey, willst du morgen Plätscherpfote mit zur Schlucht nehmen? Frostpfote braucht mehr Kampftraining. Er jagt wie ein Krieger, aber im Kampf fehlt einfach ein guter Gegner." meinte Aalschweif im Weitergehen.
"Klar, warum nicht?" schnurrte der angesprochene Krieger. Sein Fell leuchtete fahl in der Dunkelheit. "Kommt ihr? Ich will heute noch schlafen." Sein Blick schweifte über das stille Lager. Schnell zog Haselpfote sich in die Schatten des Schülerbaus zurück. Er war ziemlich leer, seit Orkansturm, Fliederlied, Tupfenfeder und Humpeltatze zu den Kriegern gewechselt hatten.
Sie ließ sich auf ihr Nest fallen. Etwas pikste sie in die Flanke. Unkonzentriert knurrend schob sie das vertrocknete Moos zusammen und auseinander, bis sie den Dorn gefunden hatte. Sie warf in hinaus und versuchte dann, es sich auf der harten Unterlage bequem zu machen.
Sie rollte sich zusammen und zog die Pfoten unter den Körper, um sie vor der kühlen Luft zu schützen. Dann starrte sie die undurchdringliche Wand aus Dunkelheit an und versuchte, zu schlafen.
Nach einer Weile wurde es unbequem, also streckte sie die Beine aus. Frostpfote und Plätscherpfote lagen tief schlafend in ihren Nestern, Haselpfote konnte ihre Atemzüge hören. Sie lauschte, aber nicht einmal das machte sie müde. Sie war einfach viel zu aufgeregt, alles stürzte auf sie ein, was sie den Tag über erfolgreich verdrängt hatte.
Morgen gehe ich auf Reise...Ich werde nie mehr zurückkehren!
Ich schlafe zum letzten Mal hier!
Oh SternenClan, was, wenn diese arrogante Heilerschülerin vom AhornClan mitkommt?
Ich will nicht! Warum muss ich das machen?
Oh nein, wie soll ich denn bloß für die anderen jagen? Ich kann das nicht!
Wie geht es Ahornpfote? Ich habe gar nicht nach ihm geschaut!
Ein Geräuch schreckte sie auf, dann versank sie wieder in ihren wirbelnden Gedanken. Ein heftiger Sturm toste in ihrem Inneren.
Ob Wunschrose noch einen Gefährten findet? Einen besseren als Ginsterkralle?
Oh weia, ob Goldstreifs Junge die Reise überstehen? Und Kleintatze und Ahornpfote?
Die Blattleere rückt an! Aber was sollen wir machen? Wenn wir hier bleiben, gehen wir den Wölfen in die Falle...
Was wohl aus dem WeidenClan geworden ist?
Himmel, warum ist das hier so ruhig?
Was denkt Löwenmähne wohl von mir? Ich bin eine schreckliche Schülerin!
Oh nein, was, wenn wir Streunern begegnen? Ich kann ja gar nicht kämpfen!
Sie erzitterte und spürte einen Kloß in der Kehle.
"Haferstern erhofft sich so viel von mir...die anderen vertrauen mir...ich habe das nicht verdient! Ich schaffe das doch alles gar nicht! Ich bin doch erst sechs Monde alt!" flüsterte sie in die Dunkelheit hinein und verbarg hoffnungslos den Kopf unter den Pfoten. Aber schon als Junges hatte sie gelernt, dass "Wenn ich es nicht sehe, sieht es mich auch nicht" nicht galt.
"Der Clan glaubt an mich!" versuchte sie, sich Mut zu machen. Stattdessen spürte sie die Last der Verantwortung nur umso deutlicher. Mit bebenden Flanken rollte sie sich eng zusammen.
Es dauerte lange, bis sie endlich in einen unruhigen Schlaf verfiel.
Die kleine, gelbbraune Kätzin stand auf einer Wiese. Silbernes Mondlicht erhellte die Umgebung, die ihr eindeutig unbekannt war. Die Wiese endete wenige Katzenlängen vor ihren Pfoten, dahinter erstreckten sich endlose Sandflächen.
"Wo bin ich?" fragte sie laut und erschauderte unter der eisigen Luft.
"In der Wüste." antwortete eine Stimme. Haselpfote fuhr herum. Hinter ihr stand ein schwarzweiß gefleckter Kater. Haselpfote musterte ihn von oben bis unten und beschloss, ihn nicht als Gefahr anzusehen. Er sah alt aus und hatte einige Narben, aber in seinen waldgrünen Augen leuchtete Weißheit.
"Bist du tot?" hörte sie sich sagen, während sie überlegte, wo sie seine Augen schon einmal gesehen hatte.
"Das bin ich. Tot. Eine SternenClan-Katze." Bildete sich Haselpfote das ein, oder glitzerten in seinem Fell plötzlich Sterne, die komplett natürlich so aussahen, als wären sie schon immer dort gewesen?
"Aber ich dachte, SternenClankatzen haben keine Narben?" fragte sie irritiert.
"Das können wir uns aussuchen." erwiderte der Kater gutmütig und endlich fiel Haselpfote ein, wo sie die Augen schon einmal gesehen hatte.
Im...in...Verdammt, ich habe es gerade noch gewusst, wo ist es jetzt hin? Kann das sein?
"Haselpfote, ich habe eine Botschaft für dich." betonte der Kater feierlich, während Haselpfote mit ihrem Gedächtnis haderte.
"Wer bist du?" fragte sie unkonzentriert. "Du kommst mir bekannt vor, aber ich weiß nicht, warum!"
"Ich bin Schattensprung." erwiderte der Kater freundlich. Haselpfote erstarrte. Hatte der Löwe aus Kleintatzes Geschichten nicht so gehießen? Sie musterte ihn skeptisch. Nein, das war definitiv kein Löwe.
"Ich glaube, du kennst meine Gefährtin - Kleintatze." Er sah wehmütig in die Ferne. "Ich liebe sie noch immer...Kannst du ihr das sagen?" Zerstreut richtete er seinen Blick wieder auf die Schülerin.
"Kleintatze?" Haselpfotes Gedanken überschlugen sich, aber sie kam nicht dazu, ihren Gedanken zu beenden.
"Hör zu." miaute Schattensprung eindringlich. "Die Sonne geht bald auf. Das hier ist wichtig. Folgt der Sonne nach Süden. Ihr müsst die erste Katze um Hilfe bitten, die ihr trefft. Sie wird Bescheid wissen. Merk dir das, hörst du? Das ist wichtig!"
"Süden...Die erste Katze, die wir treffen..." murmelte Haselpfote, um es sich einzuprägen. Die Umgebung verschwamm, die waldgrünen Augen des Katers leuchteten auf.
Und da wusste sie, wo sie diese schon einmal gesehen hatte.
In ihrem Spiegelbild.
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Schneefall - Neugier | Band II
Fanfiction"Im Wald ist es finster geworden. Die Entscheidung liegt jetzt bei uns: Kämpfen oder fliehen?" Im HaselClan herrscht Unruhe. Das bemerkt nicht nur Haselpfote, die ihre Tage wegen Husten im Heilerbau verbringt und die Schwächeren der Katzengemeinscha...