𝐕𝐈𝐄𝐑

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𝓭𝓸̈𝓻𝓽

Die nächste Woche war angebrochen, und ich hatte Pelin gerade vom Flughafen abgeholt.

»Tritt bitte in mein bescheidenes Heim ein.«, sagte ich, während ich die Tür zu meiner Dreizimmerwohnung aufschloss. Ich wohnte zwar allein, aber ab und zu, wenn meine Familie zu Besuch kam, war es praktischer für uns alle, wenn niemand sich um einen Schlafplatz sorgen musste. Außerdem konnte ich mir die Wohnung mit meinem Gehalt gut leisten. Sie war zwar altmodisch, was man an der hohen und ungewohnten Decke erkennen konnte, aber dennoch schön und in einer guten Lage der Stadt.

»Liebend gerne.«, antwortete sie, während sie den ersten Schritt in mein Zuhause machte.

»Endlich füllt ein Stück Deutschland diese einsame Wohnung.«, sagte ich, als ich den Schlüssel ablegte und meine Schuhe auszog.

»Du hättest sogar die Möglichkeit, ein Stückchen Regensburg hier hereinzubekommen.«, sagte sie und lachte herzhaft.

»Sehr witzig, Pelin. Ich lehne dankend ab, denn das Stückchen Regensburg hat sich wohl mit einem Stückchen spanisches Dorf verbunden.«, antwortete ich sarkastisch und schaute sie an, während sie sich langsam beruhigte.

Gott, sie würde mir jetzt so unfassbar auf die Nerven gehen. Ich glaubte nicht an so etwas wie Manifestation und war froh, dass ich Talia seit dem letzten Mal nicht mehr gesehen hatte. Dennoch ließ mich das Gefühl nicht los, dass ein drittes Aufeinandertreffen mit Kenan unvermeidbar war.

Dieses Gefühl hatte ich zuletzt in Regensburg, denn irgendwie glaubte ich lange daran, dass, wenn eine Person und du vielleicht nicht mehr in Kontakt seid, ihr euch immer wieder begegnen werdet, bis eure letzte Rechnung miteinander beglichen ist. Es mag oberflächlich klingen, aber diese Theorie hatte sich bisher immer bestätigt.

Beispielsweise hatte ich eine langjährige Freundin, und über die Zeit entstanden Erinnerungen und eine gewisse Bindung zueinander, wie es in jeder guten Freundschaft sein sollte. Irgendwann gingen wir im Streit auseinander, und dennoch begegneten wir uns immer wieder. Anfangs dachte ich, das sei normal, da wir nur fünf bis zehn Minuten voneinander wohnten. Doch ab dem Tag, an dem wir uns aussprachen und entschieden, im guten Gewissen den Kontakt zu meiden, hatte ich sie nie wieder gesehen. Nie wieder in dem Sinne, dass ich einst dachte, sie sei umgezogen, was aber nicht so war, da ich ihren jüngeren Bruder hin und wieder sah.

Auf jeden Fall hatte ich das selbe schreckliche Gefühl bei Kenan. Auch wenn ich unseren Abschied einigermaßen in Ordnung in Erinnerung hatte, zeigte mir sein letztes Verhalten, dass er immer noch eine gewisse Wut mir gegenüber empfand.

Diese Wut war nach so langer Zeit eigentlich unbegründet, und es erschreckte mich, mit welchem Frust er sich die letzten Jahre wahrscheinlich umgeben hatte.

»Aber sag mal, was ist deine ehrliche Meinung zu dieser Talia?«, riss Pelin mich aus meinen Gedanken. Ja, was war überhaupt meine ehrliche Meinung zur Freundin meines Exfreundes?

»Vor ein paar Jahren hätte ich wahrscheinlich jedes negativ konnotierte Adjektiv genutzt, um sie zu beschreiben, aber mittlerweile kann ich ehrlich sagen, dass sie wirklich ein liebes Mädchen ist. Das Einzige, was man ihr vielleicht negativ anmerken könnte, ist, dass sie trotz ihrer Karriere als Model als Privatperson sehr unsicher wirkt. Es war interessant zu sehen, wie sie indirekt zugab, keine Freunde zu haben, obwohl sie jede Nacht mit den reichsten Menschen zusammensitzt. Daran merkt man, dass Geld keine Freundschaften kaufen kann, da die meisten problematischen Situationen am Tag entstehen. Bei ihr ist eine problematische Situation anscheinend, wenn sie niemanden zum Shoppen oder zum Schwärmen über Kenan hat.«, erklärte ich mit einer gewissen Ironie in der Stimme.

»Sieht sie dich nach diesen zwei komischen Treffen schon als Freundin, oder was?«, wollte Pelin wissen, als ich ihren Koffer nahm und in ihr Zimmer brachte.

»Nein, aber sie würde es gerne, und das merkt man ihr an.«, rief ich, da ich mich immer mehr von ihr entfernte.

»Und wo ist das Problem?«, sagte sie, während sie sich auf die Couch fallen ließ.

Verwirrt warf ich ihr einen Blick zu, als ich gerade zurückkam.

»Das macht man nicht. Stell dir vor, dass wir wirklich gut miteinander werden würden und am Ende herauskäme, dass Kenan und ich zusammen waren. Das könnte die ganze Beziehung kaputtmachen.«, meinte ich. Pelin sah das jedoch anders.

»Aber warum denn? Sie sind seit zwei Jahren zusammen und du warst das letzte Mal vor sieben Jahren mit ihm. Da sollte sie dich nicht als Bedrohung sehen.«, stellte Pelin fest, während ich eher darüber erschrocken war, dass es schon sieben Jahre her war, seit wir uns in Regensburg getrennt hatten.

»Egal, das muss jetzt nicht unser Gesprächsthema sein. Ich möchte lieber darüber reden, was wir heute Abend machen wollen.«, sagte ich grinsend und sah, wie Pelin es erwiderte.

»Schön, dass du fragst.«, antwortete sie und kramte einen Flyer aus ihrer Tasche. »Wir gehen heute Abend hierhin. Der lag überall auf dem Weg hierher auf dem Boden.«, erklärte sie weiter, während ich schluckte. Ich hatte diesen Flyer nämlich schon bei Talia auf dem Tisch gesehen und wollte ungern dort auftauchen.

zehn || 𝐤𝐞𝐧𝐚𝐧𝐲𝐢𝐥𝐝𝐢𝐳Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt