4. Kapitel

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Nachts lag ich wach und konnte keinen Schlaf finden. Die Gedanken an Noah und den Brief, den ich erhalten hatte, wirbelten in meinem Kopf herum und ließen mich keine Ruhe finden. Er lebte! Die Erleichterung darüber überwältigte mich, doch zugleich war ich völlig verwirrt. Warum wollte er, dass ich nach Richmond zurückkehrte? Was war so dringend?

Schließlich gab ich das verzweifelte Bemühen, einzuschlafen, auf und schlich mich leise aus dem Zimmer. Ich bewegte mich durch das dunkle Haus und versuchte, keinen Lärm zu machen. In der Küche öffnete ich den Küchenschrank und zog eine Flasche Whisky heraus. Hochprozentiges war genau das, was ich jetzt brauchte, um meine Nerven zu beruhigen. Mit der Flasche in der Hand ging ich hinaus auf die Veranda und setzte mich auf die kühle Holzbank. Der nächtliche Himmel war klar, die Sterne funkelten über mir, doch meine Gedanken blieben schwer und dunkel.

Ich nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und spürte, wie der Alkohol in mir Wärme verbreitete. Doch es war eine trügerische Wärme, die die Unruhe in meinem Inneren nicht wirklich beruhigen konnte. Als ich gerade einen weiteren Schluck nehmen wollte, hörte ich Schritte hinter mir. Ich drehte mich um und sah Ben auf die Veranda treten.

Er war groß und muskulös, seine dunklen Locken fielen ihm leicht ins Gesicht und die grünen Augen leuchteten im schwachen Licht der Veranda. "Kannst du auch nicht schlafen?", fragte er leise und setzte sich neben mich.

Ich nickte und nahm noch einen Schluck. Ben sah mich aufmerksam an, ohne zu drängen. "Du musst mir nicht erzählen, wer dieser Freund ist oder warum dich das so mitnimmt", sagte er sanft. "Aber wenn du reden möchtest, bin ich hier."

Ich seufzte und sah ihn an. "Es ist kompliziert", begann ich. "Noah und ich waren uns sehr nahe. Er ist vor einiger Zeit verschwunden, und ich hatte Angst, dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen ist. Jetzt bekomme ich diesen Brief, in dem er mich bittet, nach Richmond zurückzukehren. Es ist einfach... verwirrend."

Ben nickte verständnisvoll. "Das klingt wirklich schwierig. Es ist kein Wunder, dass du durcheinander bist."

Seine Worte und seine Nähe trösteten mich auf eine Weise, die ich nicht erwartet hatte. Es war, als ob ein Teil meiner Last leichter wurde, einfach weil er da war. Ich sah ihn an und spürte eine plötzliche und unerwartete Anziehung. Vielleicht war es der Alkohol, vielleicht die Verwirrung und die Erschöpfung, aber ich fühlte mich plötzlich zu ihm hingezogen.

"Du weißt, dass du hier nicht allein bist, oder?" fuhr Ben fort. "Wir alle machen manchmal schwere Zeiten durch. Aber wir kommen da gemeinsam durch."

Ich nickte, meine Augen auf seine gerichtet. "Danke, Ben. Das bedeutet mir viel."

Ben legte eine Hand auf meine und sah mich mit seinen tiefen, grünen Augen an. "Es wird alles gut, Freya", sagte er leise, und in diesem Moment schien es, als ob die Welt für einen Augenblick stillstand.

Die Berührung seiner Hand auf meiner ließ meine Haut prickeln. "Ich wünschte, ich könnte das glauben", flüsterte ich.

"Du musst es nicht allein schaffen", sagte er. "Wir sind hier für dich."

Ich konnte die Muskeln unter seinem Hemd sehen, die sich bei jeder Bewegung abzeichneten, und der Duft nach frischer Seife und einem Hauch von etwas Würzigem verstärkte die Anziehung nur noch. Meine Augen wanderten zu seinen Lippen, die mir plötzlich unerwartet nah waren. Ich beugte mich leicht vor, und er tat es auch. Unsere Gesichter kamen sich näher, und ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen spüren.

Seine Hand wanderte langsam von meiner Hand zu meinem Arm, dann zu meiner Schulter, und schließlich legte er sie sanft an meinen Nacken. Die Berührung schickte einen Schauer durch meinen Körper, der sich in ein warmes, kribbelndes Gefühl verwandelte. Ich schloss die Augen und lehnte mich noch näher an ihn heran, meine Lippen nur noch einen Hauch von seinen entfernt.

Doch kurz bevor sich unsere Lippen berührten, öffnete sich die Tür zur Veranda, und Alex trat hinaus.

"Los, Ben. Wir sind spät dran.", sagte Alex und sein Blick fiel auf mich. Er schaute verwundert als er uns beide auf der Bank saßen sah, sparte sich aber ein Kommentar.

"Wo wollt ihr denn um zwei in der Nacht hin?", fragte ich misstrauisch. Ben räusperte sich und stand langsam auf.

"Geschäftlich.", antwortete mir Alex knapp.

"Was soll das heißen?", hakte ich weiter neugierig nach. Natürlich hatte ich bereits eine Ahnung, was das bedeutet. Schließlich hatte ich Alex bereits dabei beobachtet wie er 'Geschäfte' machte.

"Wir wollten sowieso mit dir darüber reden, aber wir machen das beim Frühstück. Wir müssen jetzt los.", rief Alex mir zu während er auf den Audi zusteuerte.

Bevor Ben von der Veranda trat, dreht er sich noch einmal zu mir um. "Du solltest reingehen. Es ist kühl.", sagte er und drehte sich um. Ich blieb alleine auf der Bank sitzen und beobachtete wie der Audi vom Hof fuhr. Ich versuchte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, vergeblich runterzuschlucken. Was war gerade zwischen Ben und mir passiert?

Als ich am nächsten Morgen in die Küche trat war nur Alice da.

"Na Kleines, geht es dir besser?", fragte sie mit einem mitleidigen Blick.

"Nenne mich nicht Kleines! Erstens bin ich älter als du und zweitens auch größer!", lachte ich und holte mir eine Tasse raus.

"Ich sehe es geht dir besser.", grinste Emma leicht. Sie flog wie eine Elfe durch die Küche und räumte hier und dort was weg.

"Wo sind die Jungs? Sie wollten mit mir etwas bereden.", fragte ich Emma.

"Wir wollen es alle mit dir bereden. Die Jungs kommen heute Abend erst wieder und dann reden wir beim Abendbrot. Achso, kannst du bitte was einkaufen gehen?". Sie kramte einen Zettel aus der Tasche ihrer Jeans.

"Klar.", sagte ich und bekam von Emma einen Zettel in die Hand gedrückt.

Keine Stunde später Stand ich in dem Supermarkt vor den Wasser Flaschen. Da es Mittwoch morgen war und alle entweder Arbeit sind oder noch schlafen, war der Supermarkt wie ausgestorben. Es fiel mir schwer mich auf den Einkauf zum konzentrieren, da meine Gedanken immer wieder zu letzter Nacht und Noahs Brief wanderten.

Ich wollte mich gerade strecken, um nach zwei Flaschen Limonade zu greifen als mich plötzlich jemand grob an der Hüfte packte. Ich wurde innerhalb von Sekunden drehte mich jemand herum und drückte mich gegen die übereinander gestapelten Flaschen. Ich konnte nicht schreien, da mir eine große Hand vor den Mund gehalten wurde. Mein Blick wanderte hoch und ich erschrak. Ich traf auf ein Paar eisblaue Augen, die zu einem Anfang dreißig Jährigen mit kurzrasierten Haaren gehörten.

"Na gefällt es dir in meinem Haus?" Er spuckte die Wörter aus, als hätte er Dreck verschluckt. Unfähig zu antworten, da er seine Hand noch immer auf meinem Mund hatte schüttelte ich den Kopf. Was wollte er von mir? Er musste mich verwechseln. Ich holte mit meinem Knie so gut es ging aus, um ihn möglichst im Schritt zu erwischen. Doch er war schneller und blockierte meinen Tritt mit seinem Bein. Wut flammte in seinen Augen auf und sein Griff an meiner Hüfte wurde stärker. Sein Finger hinterliessen ein schmerzhaftes Brennen auf meiner Haut.

"Lass sie los!", rief jemand aufgebracht und ich erkannte Bens Stimme. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Ohne mich loszulassen wendete sich mein Angreifer Ben zu :"Wen haben wir denn da? Ben, meine treue Seele! Ich erkundige mich nur wie es mit meinem Nachwuchs voranging. ", fragte er zuckersüß und deutete grinsend auf mich.

"Wir haben noch nicht mit ihr geredet, aber das machen wir heute. Versprochen.", sagte Ben. Seine Stimme zitterte vor Wut und die Adern an seinem Hals traten hervor. Ich starrte zu Ben und spürte wie ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Mein Peiniger ließ mich los und ich knallte auf den harten Boden, unfähig auf meinen eigenen Beinen zu stehen.

"Das hoffe ich für dich oder unsere nächste Begegnung wird nicht so angenehm verlaufen.", zischte der Fremde mir zu und war genauso schnell verschwunden wie er gekommen war.

Ashton kam auf mich zugelaufen und kniete sich zu mir nieder. "Ist alles okay? Bist du verletzt?", fragte er mich besorgt. Ich schüttelte den Kopf und er half mir auf die Beine. Vorsichtig zog er mich an seine Brust und legte beschützend den Arm um mich.

"Ben, wovon hat er geredet?", fragte ich ihn mit tränenerstickter Stimme.

Where Did Jesus Go? | Noah Sebastian - Bad OmensWhere stories live. Discover now