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Es ist mittlerweile vier Wochen her, dass wir unser Abitur bestanden haben. Tuana und ich haben beide einen 1,7 Schnitt, es hat sich auf jeden Fall gelohnt so viel zu lernen, auch wenn es meine Mutter kein bisschen stolz gemacht hat.

Gemeinsam mit Tuana haben wir uns auf den selben Universitäten, in verschiedenen Städten angemeldet und einfach nur darauf gehofft, dass wir beide an der selben Uni angenommen werden. Das Glück war definitiv auf unserer Seite, denn wir beide hatten eine Zusage in Turin bekommen.

Wir beide sind jetzt offiziell Jura Studentinnen. Ich wusste schon von klein auf das ich Anwältin werden möchte, doch Tuana stand immer zwischen Medizin und Jura. Letztendlich hat sie sich, wegen mir und auch wegen ihrem Durchschnitt für Jura entschieden. Tolga, ihr Bruder, wird in der Nähe von unserer Uni Medizin studieren.

Endlich. Einer der größten Träume in meinem Leben wird hoffentlich ganz bald in Erfüllung gehen. Ich habe schon die perfekte Wohnung gefunden und das aller wichtigste, die Zusage meiner Uni bekommen. Es fehlen nur noch die Flugtickets. Das einzige, was mich etwas unruhig macht ist meine Mutter. Sie weiß, wie wichtig mir das Studieren ist und jetzt, wo ich es endlich geschafft habe, hätte ich doch eine Umarmung verdient, oder? Oder ein „Ich bin stolz auf dich."

Ich bekam nur schmerzhafte Worte wie „Defol git sende, aynı Baban gibi!" (Geh du auch, genauso wie dein Vater!) oder „Baban bizi sadece senin yüzünden terk etti, hadi şimdi sende yürü git!" (Dein Vater hat uns nur wegen dir verlassen, los, geh du jetzt auch!)

Ich verstehe nicht warum sie mir das immer sagt. Mein Vater hat uns verlassen, weil er uns immer in Schwierigkeiten gebracht hat aufgrund seiner hohen Schulden. Deswegen mussten wir immer wieder in andere Städte wegrennen oder in anderen Worten „umziehen". Seine Schulden begannen als ich fünf Jahre alt war und er hat sie erst vor sechs Monaten komplett bezahlt. Mittlerweile bin ich 18 Jahre alt.

In der Woche, wo er seine Schulden bezahlt hatte und uns verlassen hat, ließ er einen Brief zurück und seine letzten Worte auf dem Brief waren: „Hayatınızı mahvettiğim için özür dilerim. Ceylin merak etme, beni bir daha görmeyeceksin, kızım." (Es tut mir leid, dass ich euer Leben versaut habe. Mach dir keine Sorgen Ceylin, du wirst mich nie wieder sehen, meine Tochter.) Als ich den Brief damals gelesen hatte, wusste ich nicht was ich fühlen sollte. Einerseits war ich unbeschreiblich glücklich, dass er endlich weg aus meinem Leben ist. Andererseits aber fühlte ich mich schlecht, wegen seinem letzten Satz und weil mir meine Mutter bis heute die Schuld für sein Verlassen gibt. Wenn das einem jeden Tag, unzählig oft gesagt wird, fühlt man sich nach einer Zeit auch schuldig.

Ich befand mich in meinem Zimmer und lag in Gedanken versunken auf meinem Bett. Ich blickte auf mein Armband, das letzte, was mir von meinem besten Freund aus Regensburg übrig blieb und da fiel mir ein, wie wir uns damals kennenlernten...

Ein Leben lang - Kenan YildizWo Geschichten leben. Entdecke jetzt