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In Zeitlupe legt er seine Lippen auf meine und ich bin gerade dabei, alles um mich herum zu vergessen, da klopft es lautstark an der Tür.

"Fuck!", stoße ich aus, meine Gedanken rasen.

Der Mann, der mich erpresst, steht vor meinem Büro, während der Mann, in den ich verliebt bin, mich gerade fast geküsst hast.

"Egal was passiert, spiel einfach mit. Bitte," flüstere ich, meine Augen flehen. Mein Herz rast.

Tuan nickt kaum merklich, aber er sagt nichts, er beobachtet mich nur irritiert. Ich atme tief ein, richte mich auf und gehe zur Tür. Meine Hand zittert, als ich die Klinke drücke und öffne.

Nyaz steht da, mit seinem typischen selbstgefälligen Grinsen. Doch als er einen Blick in mein Büro wirft, bemerkt er Tuan und seine Miene erstarrt. Fassungslos starrt er ihn an, als könne er nicht glauben, dass ich die Dreistigkeit besitze, auch nur noch ein Wort mit diesem Mann zu wechseln, nachdem er mir das doch verboten hat.

Tuans Überraschung spiegelt sich in seinen Augen wider, aber er überspielt sie geschickt und hat ein Pokerface aufgesetzt.

Nyaz kommt auf mich zu, umarmt mich fest und drückt mir einen fordernden Kuss auf die Lippen. Seine Zunge schiebt sich in meinen Mund, und ich muss all meine Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht zu würgen oder angeekelt zurückzuschrecken. Scham steigt in mir auf, mein Magen dreht sich um.

Nachdem meine Lippen noch vor wenigen Sekunden unter Tuans sanftem Kuss so herrlich gekribbelt haben, würde ich sie mir jetzt am liebsten abwischen, reinwaschen von diesen unangenehmen Berührungen.

"Hallo Schatz", grinst Nyaz, seine Augen funkeln bedrohlich. "Ich wollte dich doch von der Arbeit abholen." Dann wendet er sich Tuan zu, lässt aber meine Hüfte nicht los, als wollte er sein Revier markieren. "Hi, ich bin Nyaz," sagt er mit einem überlegenen Grinsen. "Yaels Freund."

Tuans Blick ist starr in seine Augen gerichtet. Er erkennt die Machtdemonstration und lässt sich nicht einschüchtern. "Tuan", stellt er sich einsilbig vor.

"Ach, ist das dein Arbeitskollege, mit dem du dich so gut verstehst, Baby?"

Magensäure steigt meine Speiseröhre hoch und mir läuft das Mund im Wasser zusammen. Wenn ich hier nicht gleich rauskomme, muss ich kotzen.

Tuan nickt ihm zu. "Genau, wir sind Arbeitskollegen." Dann wendet er den Kopf zu mir und wirft mir einen so kalten Blick zu, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. "Aber wir sind hier auch fertig. Schönen Feierabend."

Fertig miteinander, das ist es, was er meint und er bricht mir das Herz damit. Der Hass in seiner Stimme und die Enttäuschung in seinem Blick sind spürbar. Kein Wunder, schließlich denkt er jetzt, dass Nyaz mein Freund ist, den ich ihm bisher verheimlicht habe.

Ich bin mir nicht sicher, ob das besser ist als die Wahrheit, oder schlechter.

Tuan sagt nichts mehr, dreht sich abrupt um und verlässt mein Büro, ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen. Ich sehe ihm nach, wie er den Flur entlanggeht, seine Schultern angespannt, seine Schritte fest und entschlossen. Der Türrahmen vibriert leicht, als er die Tür energisch hinter sich schließt. Es fühlt sich an, als hätte er nicht nur die Tür, sondern auch eine unsichtbare Grenze zwischen uns zugezogen, unüberwindbar und endgültig.

Nyaz schnappt sich demonstrativ meine Handtasche vom Tisch und drückt sie mir in die Arme. "Komm, wir gehen," befiehlt er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet. Seine Hand bleibt fest um meine Taille gelegt, und brennt auf mir wie Säure, während wir zu meinem Auto laufen.

Wie selbstverständlich steigt er auf der Beifahrerseite in meinen Audi, er brodelt vor Wut und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er sie an mir entlädt, das weiß ich. Ich kenne ihn lange genug.

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