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Ich will gerade ein Taschentuch aus meiner Handtasche ziehen, um mir die Tränen wegzuwischen, da klopft es an meiner Bürotür. "Yael, mach mal auf. Ich bin's, Dila", ertönt die helle Stimme meiner Arbeitskollegin und Freundin von draußen.

Ich drehe den Schlüssel im Schloss und rutsche ein bisschen beiseite, damit sie durch den geöffneten Spalt hinein huschen kann.

"Oh Gott, Liebes, was ist denn mit dir passiert?"

Sie geht in die Hocke und streicht mir mütterlich über den Kopf. Fürsorglich nimmt sie die Taschentuchpackung aus meiner Tasche, zieht ein einzelnes Tuch heraus und tupft mir liebevoll die Tränen aus dem Gesicht.

"Was ist passiert, Liebes? Hat dir jemand was angetan?"

Ich schüttele den Kopf und schluchze. "Mir wird gerade einfach alles zu viel. Ich will diese Affäre mit Nyaz beenden, doch er lässt mich nicht. Dann ist da dieser wundervolle Mann, den ich kennengelernt habe, aber nicht daten kann, weil Nyaz mich unter Druck setzt und dann bin ich zur Krönung auch noch im Fahrstuhl stecken geblieben."

"Ich habe dir schon immer gesagt, dass Nyaz nicht alle Tassen im Schrank hat", knurrt sie und streicht erneut über meinen Kopf. "Er besitzt dich doch nicht, Süße. Wenn du gehen willst, kannst du das jeder Zeit tun, scheißegal, was er sagt und will. Wer ist der, dass er dir das verbieten will?"

Ein verzweifeltes Lachen entweicht meiner Kehle. "Du verstehst das nicht, Dila."

Sie will gerade widersprechen, das erkenne ich in ihren wütend funkelnden Augen, da klopft es an der Tür.

Scheiße, ist das etwa schon Nicolas?

"Wie spät haben wir?", zische ich Dila zu. Mein Herz klopft aufgeregt gegen meine Brust. Die zierliche Blondine wirft einen schnellen Blick auf die Apple-Watch an ihrem Handgelenk. "8 Uhr", flüstert sie.

Das kann nicht Nicolas sein, unser Termin ist erst in zwei Stunden.

Schnell wische ich mit dem Tempo über mein gerötetes Gesicht und meine verheulten Augen, erhebe mich vom Boden und öffne mutig meine Bürotür ein Stück weit.

Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich geradewegs in Tuans sanfte, braune Augen sehe. Sein Blick ist besorgt, seine Stirn in Falten gelegt. Er mustert mich, dann schweift sein Blick zu Dila, die neben mich getreten ist. Er stutzt.

Die Blondine bedeutet ihm mit einer Handbewegung wortlos hereinzukommen und er folgt ihrer Anweisung. Sein süßes Parfum erfüllt den kleinen, stickigen Raum, sobald er die Tür hinter sich schließt. 

"Scheiß Timing, wie immer, aber jetzt kann ich dir endlich meinen Bruder Tuan vorstellen. Er arbeitet hier seit ein paar Tagen als Sicherheitskraft. Abi, das ist Yael", ergreift meine Freundin das Wort.

Ich falle fast aus allen Wolken und muss mich zusammenreißen, nicht laut aufzuschreien.

Tuan ist Dilas Bruder?

Lieber Gott, kann es denn noch schlimmer kommen?

Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass Tuan seiner Schwester jetzt nicht offenbart, wie gut wir uns bereits kennen, doch meine Sorge scheint unbegründet zu sein.

"Hallo Yael, freut mich", lächelt Tuan souverän und reicht mir seine Hand. Wie in Trance schüttele ich sie und starre ihm in die Augen. Sein Lächeln ist aufgesetzt; es umspielt seinen Mund, doch es erreicht seine Augen nicht.

"Ich wollte nach dir sehen, du bist gerade einfach so weggelaufen", spricht er sanft. Meine Augen weiten sich und ich bete, dass er dicht hält.

Als hätte er meine Gedanken gehört, dreht er sich zu Dila und erklärt: "Wir sind gerade zusammen im Fahrstuhl stecken geblieben."

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