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Lucien stand in dem kalten, sterilen Raum des Krankenhauses, umgeben von der unbarmherzigen Kälte der medizinischen Geräte, die mit monotonem Piepsen den schwachen Puls von Amélie überwachten.

Der Geruch von Desinfektionsmitteln und die leisen, gedämpften Schritte des Personals, das geschäftig durch die Flure eilte, wirkten wie ein unheimlicher Kontrast zu dem Sturm, der in seinem Inneren tobte.

In diesem Moment, als er auf das blasse Gesicht der Frau blickte, die ihm mehr bedeutete als seine eigene Existenz, wurde Lucien klar, dass er vor einer Entscheidung stand, die seine gesamte Welt aus den Angeln heben könnte.

Amélie lag reglos vor ihm, ihr Gesicht eingefasst von dunklen Locken, die auf dem Kissen ruhten wie zerbrochene Schatten. Ihr Atem war flach, fast nicht mehr wahrnehmbar, und Lucien spürte, wie sich sein Herz zusammenzog, als die Realität ihn zu überwältigen drohte.

Die Ärzte hatten ihm in ihrer kalten Sachlichkeit die grausame Wahrheit mitgeteilt: Es gab kaum Hoffnung. Die Verletzungen waren zu schwerwiegend, und jeder weitere Moment, den sie lebte, war nur ein weiteres Geschenk des Schicksals – oder vielleicht eine weitere Grausamkeit.

Doch Lucien wusste, dass es noch eine andere Möglichkeit gab, eine Option, die niemand sonst in diesem Raum auch nur erahnen konnte. Seine übernatürliche Existenz war der Schlüssel, den er so lange verweigert hatte, und nun stand er vor der Frage, ob er bereit war, das Opfer zu bringen, das von ihm verlangt wurde.

Seine Hände, die so oft stark und unerschütterlich gewesen waren, zitterten, als er sie sanft auf Amélies Wangen legte. Ihre Haut war kalt, viel zu kalt, und ein Gefühl der Verzweiflung schnürte ihm die Kehle zu. In diesem Moment schien die Unsterblichkeit, die ihn seit Jahrhunderten begleitet hatte, nichts weiter als ein Fluch zu sein – ein Fluch, der ihn an diese Welt band, während alles, was er liebte, drohte, ihm für immer entrissen zu werden.

„Amélie," flüsterte er, seine Stimme brüchig und voller Schmerz. Die Worte, die er sprach, waren für sie bestimmt, aber auch für ihn selbst, eine verzweifelte Beschwörung gegen die Dunkelheit, die sich um sie beide legte. „Ich werde alles riskieren... nur um dich zu retten."

Er wusste, was dies bedeutete. Er hatte lange darüber nachgedacht, seit dem Moment, als er das erste Mal verstanden hatte, was Amélie ihm wirklich bedeutete. Wenn er sie retten wollte, dann musste er die einzige Macht aufgeben, die ihn so lange von der Sterblichkeit getrennt hatte. Die Kraft, die ihm seine Existenz in der Ewigkeit gesichert hatte, war nun das, was ihn am meisten daran hinderte, das zu tun, was sein Herz verlangte.

Lucien fühlte, wie seine Augen brannten, Tränen, die er seit Jahrhunderten nicht mehr vergossen hatte, kämpften darum, freizubrechen. Er wusste, dass es keine leichte Entscheidung war. Sollte er sich dazu entschließen, würde es keine Rückkehr mehr geben.

Die Unsterblichkeit, die ihm so lange zur Last gefallen war, würde für immer erlöschen, und er würde ein sterbliches Leben führen müssen – aber ein Leben, das er mit Amélie teilen konnte.

Er erinnerte sich an die vielen Nächte, die sie gemeinsam in Paris verbracht hatten, wie sie unter den Sternen spazierten, in den geheimen Gärten der Stadt Zuflucht fanden, ihre Gespräche, die von einer tiefen Verbindung und einem gemeinsamen Verständnis durchdrungen waren.

Es war diese Liebe, die ihn in einem Moment der absoluten Klarheit erkennen ließ, dass kein Preis zu hoch war, um sie zu retten.Doch es gab noch eine andere Angst, die sich in sein Bewusstsein drängte: Was, wenn sie seine Entscheidung nicht verstand? Was, wenn sie ihn dafür verachtete, dass er sie an diese Welt gekettet hatte, anstatt ihr zu erlauben, in Frieden zu gehen?

Würde sie ihm vergeben können, wenn sie die Wahrheit erfuhr? Oder war seine Liebe zu ihr in ihrer Essenz egoistisch, weil er nicht in der Lage war, sie loszulassen?Lucien schloss die Augen und holte tief Luft, dann beugte er sich über Amélie und drückte einen sanften Kuss auf ihre Stirn. „Ich werde dich nicht verlieren," sagte er, seine Stimme nun fest und entschlossen. „Nicht so."

Er hatte seine Wahl getroffen. In einem letzten Akt der Hingabe entschied er sich, die Unsterblichkeit aufzugeben. Die Mächte, die ihm diese Gabe verliehen hatten, waren auch in der Lage, sie ihm zu nehmen – und Lucien war bereit, alles zu tun, um das Leben der Frau, die er liebte, zu retten.

Die Welt würde sich verändern, für immer. Aber in diesem Moment, in dem er alles riskierte, war es nicht mehr die Unsterblichkeit, die ihm wichtig war, sondern die kostbaren Augenblicke, die er mit Amélie teilen konnte – Augenblicke, die ihm mehr wert waren als ein ganzes Leben in der Ewigkeit.


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Wer hat mit dieser Entscheidung gerechnet?
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