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Amélie saß allein in ihrem kleinen Apartment in Paris, das schwache Licht der Nachmittagssonne drang durch die halb geöffneten Vorhänge und warf lange Schatten über den Boden. Ihr Herz fühlte sich schwer an, so schwer, dass sie kaum noch wusste, wie sie atmen sollte.

Lucien war fort, und der Schmerz darüber, dass er sich für sie geopfert hatte, schnitt tief in ihre Seele. Die stille Leere, die er hinterlassen hatte, war allgegenwärtig, und sie fragte sich, wie sie je wieder in einer Welt ohne ihn leben sollte.

Die Stunden verstrichen, und Amélie fand sich immer wieder dabei, gedankenverloren aus dem Fenster zu starren, als ob sie hoffte, dass Lucien jeden Moment zurückkehren würde. Aber die Realität war unerbittlich, und sie wusste, dass er nicht mehr zurückkommen würde. Seine letzte Tat, der ultimative Ausdruck seiner Liebe, hatte ihn aus ihrem Leben gerissen, und nichts konnte diese Lücke füllen.

In den stillen Momenten, wenn die Welt um sie herum zum Stillstand zu kommen schien, erinnerte sich Amélie an ihr erstes Treffen mit Lucien. Es war eine dieser Nächte gewesen, in denen die Stadt in ein geheimnisvolles, fast magisches Licht getaucht war. Sie hatte allein durch die Straßen geschlendert, in ein Buch vertieft, das sie gerade in einer kleinen Buchhandlung in der Rue de Rivoli gefunden hatte.

Die Welt um sie herum schien zu verschwimmen, während sie in den Seiten versunken war, bis sie plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.

Als sie aufblickte, trafen sich ihre Augen mit denen eines Mannes,, der anmutig und doch irgendwie melancholisch wirkte. Lucien. Seine Augen waren tief und unergründlich, wie zwei dunkle Seen, in denen sie fast zu ertrinken glaubte. Es war, als ob die Zeit für einen Moment stillstand, und alles, was existierte, war diese Verbindung zwischen ihnen, die sich fast greifbar anfühlte.

Amélie erinnerte sich an das seltsame Gefühl, das sie damals überkam – eine Mischung aus Neugier und Faszination, aber auch eine leise Ahnung von etwas, das sie nicht vollständig begreifen konnte. Sie wusste nicht, warum, aber sie war sofort von ihm angezogen, als ob eine unsichtbare Kraft sie zueinander zog.

Sie hatte versucht, diesen Augenblick später zu rationalisieren, sich einzureden, dass es nur ein flüchtiges Gefühl gewesen war, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es mehr war.Die darauf folgenden Wochen hatten diese Verbindung nur vertieft.
Die zufälligen Begegnungen, die Gespräche über Literatur und Kunst, die langen Spaziergänge durch die nächtlichen Straßen von Paris – all das hatte dazu geführt, dass sie sich in ihn verliebte.

Es war eine Liebe, die langsam, fast unmerklich gewachsen war, bis sie ihr ganzes Wesen erfüllte. Lucien hatte etwas in ihr berührt, das sie nicht einmal wusste, dass es existierte, und sie hatte ihm ihr Herz geöffnet, ohne wirklich zu verstehen, was das bedeutete.

Jetzt, da er fort war, fühlte sie sich, als hätte man ihr einen Teil ihrer selbst entrissen. Sie verbrachte Tage und Nächte damit, die Straßen zu durchkämmen, die Orte aufzusuchen, an denen sie früher zusammen gewesen waren, in der verzweifelten Hoffnung, dass sie ihn irgendwie wiederfinden könnte.

Doch jedes Mal, wenn sie zurückkehrte, war es, als würde sie nur auf eine Leere stoßen, ein Echo seiner Anwesenheit, das sie nur noch mehr daran erinnerte, dass er nicht mehr da war.

Amélie fand sich oft in den geheimen Gärten der Stadt wieder, den stillen Oasen, die sie früher gemeinsam besucht hatten. Sie saß auf den Bänken, wo sie einmal nebeneinander gesessen hatten, und versuchte, den Trost in den Erinnerungen an jene glücklichen Momente zu finden. Aber der Schmerz seines Verlustes war zu groß, als dass die Erinnerungen sie wirklich hätten trösten können.

In den stillen Nächten lag sie wach und fragte sich, ob sie hätte etwas anders machen können. Hätte sie ihn irgendwie aufhalten können? Hätte sie ihn bitten sollen, sie zu verwandeln, damit sie gemeinsam eine ewige Existenz hätten teilen können?

Doch dann erinnerte sie sich daran, wie sehr Lucien seine eigene Unsterblichkeit verabscheut hatte, wie sehr er darunter gelitten hatte, über Jahrhunderte hinweg zu leben, während die Welt um ihn herum sich veränderte und alle, die er liebte, verblassten.

Amélie konnte sich nicht entscheiden, ob sie wütend auf ihn sein sollte oder dankbar für das Opfer, das er gebracht hatte. Eine bittere Träne rollte über ihre Wange, als sie erkannte, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Dass seine Liebe für sie so stark gewesen war, dass er bereit gewesen war, alles zu riskieren, um ihr das Leben zu schenken, das sie verloren glaubte.

Doch mit dieser Erkenntnis kam auch eine neue Art von Stärke. Lucien hatte sie gerettet, und in seinem Opfer lag eine Botschaft, die sie nicht ignorieren konnte: Sie musste weiterleben, auch wenn es schmerzte. Sie musste die Erinnerungen an ihn in ihrem Herzen bewahren, aber sie durfte sich nicht von der Trauer überwältigen lassen.

Amélie wusste, dass es ein langer, schwerer Weg sein würde, doch sie war entschlossen, Luciens Opfer nicht umsonst gewesen sein zu lassen.

Mit jedem Schritt, den sie machte, würde sie sich an ihn erinnern – an die Liebe, die sie geteilt hatten, und an die Stärke, die er ihr geschenkt hatte, als er sich entschied, sie zu retten. Und vielleicht, eines Tages, würde die Leere in ihrem Herzen durch etwas Neues, etwas Hoffnungvolles, ersetzt werden. Aber bis dahin würde sie ihn in ihrer Erinnerung leben lassen, als das größte Geschenk, das sie je erhalten hatte.


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