Familie (Kapitel 17)

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Es tut mir mit jedem Besuch mehr weh, meinen Großvater so zu sehen.
Sein früher muskulöser Körper wirkte nur noch mager, dennoch strahlte er weiter eine Lebensfreude aus.
„Charlotte" begrüßte er mich freudig und drückte sich von seinem Lieblingssessel hoch. Omi legte ihr Buch beiseite und erhob sich ebenfalls.
Opis Arme legten sich um meinen Körper und ich bemerkte, dass er stärker zitterte als letztes Mal.
Lachend erwiderte ich seine Umarmung und küsste ihn auf die Wange.
Er überragte mich immer noch um gut zwei Köpfe.
Auch Omi umarmte ich und sie bekam ebenfalls einen Kuss.
„Hi. Wie geht's euch? Ich hab deinen Lieblingskuchen mitgebracht, Opa." Ich genoss die Sonntage bei meinen Großeltern.
Zunächst war ich ziemlich geschockt, als sie mir vor einigen Jahren eröffneten, sie würde in ein Altersheim ziehen.
Meinen Großvater hatte grade seinen letzten Entzug hinter sich. Ich freute mich, ihn endlich wieder richtig um mich zu haben.
Dass sie genau dann 30 Kilometer entfernt in ein, zugeben wunderschönes, Altersheim zogen, schockte mich dem entsprechend sehr.
Dennoch war es die richtige Entscheidung. Opa hatte seine Suchterkrankung endlich richtig im Griff und er konnte seine letzten Jahre genießen.
Sein Körper war zwar schwächer, doch seine Psyche hatte sich hier endgültig erholt.
So machte es mir schnell nichts mehr aus jeden Sonntag dreißig Minuten zu ihnen zu fahren und mit ihnen in ihrer kleinen Wohnung so viel Zeit wie möglich zu verbringen.
Opas Augen leuchteten als er den Kuchen sah. „Ich koche schnell Kaffee. Setzen wir uns auf die Terrasse?" Sein Vorschlag klang wunderbar.
Zusammen mit Oma deckte ich den kleinen Holztisch und brachte die Auflagen aus der Stube raus.
Zufrieden lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück.
„Du strahlst so mein Kind." bemerkt Omi und setzte sich mich und griff nach meiner Hand.
Ihr entging nichts.
„Ja ich glaube ich merke grade was für tolle Freunde ich habe." ein noch breiteres Lächeln erscheint auf meinem Gesicht.
„Nur Freunde oder auch ein richtiger Freund, Charlotte?" erklang hinter uns die strenge Stimme von Opa.
„Du sollst mich doch nicht immer so nennen!" beschwerte ich mich. „Aber ja da gibt es einen Mann."
Interessiert musterte mich jetzt auch Oma.
„Erzähl uns doch von ihm. Wie habt ihr euch kennen gelernt? Letzte Woche hast du noch nicht so fröhlich ausgesehen." ihr Fragen durchlöcherten mich.
„Cole ist toll. Ich kenne ihm aus dem Laden. Nach Lilas Unfall hat er mit seinen Jungs viel im Club geholfen und irgendwie sind wir uns dort näher gekommen." beim nächsten Teil rutschte ich unruhig auf dem Stuhl hin und her. Opa wurde immer traurig wenn er sah wie ich unter der Vergangenheit litt. „Ich hatte wieder Alpträume. Mir ging es gar nicht gut. Cole hat es als erstes gemerkt und war einfach für mich da."
Oma drückte meine Hand fester und streicht mit ihrer anderen Hand über meine Wange.
„Das klingt als hättest du endlich dein Netz gefunden."
Sie war davon überzeugt, dass jeder ein Sicherheitsnetz braucht. Eins worauf man sich immer verlassen konnte.
Zustimmend nickte ich.
Ihr Blick wurde streng. „Was sagt deine Therapeutin zu deinem Rückfall?"
Schuldbewusst sah ich auf unsere verschränkten Hände. „Ich hatte schon seit einem Monat keine Sitzung mehr mit ihr. Die Firma braucht aktuell sehr viel Aufmerksamkeit. Ich verspreche aber, sobald ich meine neue Mitarbeiterin vollständig angelernt habe, nehme ich mir wieder Zeit für die Therapie."
Opa zog verärgert die grauen Brauen zusammen. „Charlotte!" tadelte er. „Du kannst das nicht einfach von dir weg schieben!" selten wurde er streng, doch seit seiner eigenen Krankheit versteht er keinen Spaß was meine Gesundheit angeht.
„Du kannst dich nicht in der Arbeit verkriechen. Bitte achte mehr auf dich!"
Plötzlich fühlte ich mich wieder wie das kleine Mädchen, das immer mit der Fernbedienung spielte. Nichts brachte ihn mehr auf die Palme.
„Ja Opi. Ich verspreche ich achte mehr darauf." erwiderte ich mit heißen Ohren.
„Wir machen uns nur sorgen um dich mein Schatz." besänftigte mich Oma. „Uns geht es hier zwar gut aber manchmal ist es schwer so weit von dir weg zu sein."
Mit feuchten Augen küsse ich sie auf die Stirn. „Macht euch nicht zu viele Sorgen. Mir geht es wirklich gut und ich bin glücklich mit meinem Leben."
Opa goss mit zittrigen Händen Kaffe ein.
„Hast du ein Bild von diesem Kerl?" jetzt war er wieder ganz der knallharte Beschützer, den ich kannte.
Schon als ich noch ein kleines Kind war nahm er jeden männlichen Freund ganz genau unter die Lupe und nichts schien gut genug für mich zu sein.
Grinsend zeigte ich ihm das Bild, was wir gestern Abend nach dem ersten Glas Wein gemacht hatten.
Zustimmend brummte er „ er sieht zumindest aus wie ein richtiger Mann für dich. Nicht so ein Weichei wie dein Ex Freund."
Oma klaut mir das Handy und musterte neugierig das Bild.
„Ist auf jeden Fall was fürs Auge." funkelte sie mir entgegen.
„Omi!" rief ich empört und wir drei brachen zeitgleich in Gelächter aus.
Wir sprachen noch eine Weile über Cole und Opi wirkte immer begeisterter. Er mochte schon immer Männer, die gerne mit ihren Händen arbeiteten.
„Wie geht es denn Lila. Wann kann der blöde Gips ab?" erkundigte sich meine Großmutter auch nach meinen besten Freunden.
Sie hatten miterlebt, wie sich unsere Freundschaft und das Geschäft entwickelte.
Beide waren von Anfang an begeistert von meinen Freunden und fieberten auch die letzten Wochen mit.
„Noch mindestens vier Wochen. Danach muss sie erstmal wieder die Muskeln aufbauen. Also sie hat noch einen langen Weg vor sich. Langsam wird sie auch echt ungeduldig."
„Ja das kann ich mir bei der Kleinen wirklich gut vorstellen." bemerkte Opa schmunzelnd „Nina wird alle Hände voll zutun haben um die Kleine ruhig zu halten. Schon früher konnte sie keine Minute still sitzen."
Ich lächelte in meine Kaffeetasse.
Oma schaut verträumt auf den See vor ihrer großen Terrasse.
„Ja Lila war schon immer aufgeweckt. Sie hat es damit aber immer wieder geschafft dich aus deinen tiefsten Löchern zu holen."
Stille legte sich über uns, als wir den Kuchen aßen und den Kaffee genossen.
Mein Handy piepte.
Cole hatte mir ein Bild von sich und James geschickt. Beide in dreckigen Werkstattklamotten und mit einer Flasche Bier in der Hand.
„haben wir uns wirklich erst vor ein paar Stunden gesehen? Fühlt sich viel länger an. P.S. Liebe Grüße an deine Großeltern."
Schrieb er dazu.
Lächelnd zeigte ich meinem Opa das Bild.
Er war schon immer eine coole Socke gewesen, somit öffnete er die Innenkamera und schoss selbst ein Bild von uns.
Bevor ich auch nur irgendetwas tun konnte, tippte er was dazu und schickte das Bild ab.
Erst dann gab er mir das Handy zurück.
Coles Antwort kam noch bevor ich Opas Nachricht lesen konnte.
„Natürlich Sir! Ich würde mich freuen Sie kennen zu lernen."
Schnell öffnete ich den Chat und las den Text.
„Hallo Cole. Unsere Jolina scheint sehr begeistert von dir zu sein. Ich hoffe wir können uns davon nächste Woche selbst überzeugen! Grüße Jolinas Opa."
Das Bild von uns dreien war wirklich schön. Ich hatte meinen Arm um Omi gelegt und lächelte glücklich in die Kamera. Opa strahlte auch sehr zufrieden.
„Opa... Du hättest mich auch einfach fragen können ob ich ihn nächstes Mal mitbringe." bemerkte ich grinsend.
Er zuckte nur mit den Schultern. „Dir wären doch nur Ausreden eingefallen. Du hast mich wirklich neugierig auf den Kerl gemacht." natürlich konnte ich ihm da nicht böse sein, also gab ich auf.
Wir saßen noch zusammen, bis die Sonne langsam unterging.
Es fiel mir jedes Mal schwerer, wenn ich mich von ihnen verabschieden musste.
Ich war dankbar für meine Freunde, doch vom letzten Rest Familie weg zu fahren war nie einfach.
Zuhause angekommen kochte ich mir noch einen Tee und öffnete meinen Laptop.
Seufzend arbeitete ich die gut dreißig Mails ab. Die letzte sprang mir ins Auge.
Lächelnd überflog ich den Text und leitete ihn an Nina weiter.
Das klang nach etwas wirklich interessantem Angebot. Keine Zehn Minuten später klingelte mein Telefon.
„Hätte ich gewusst, dass du heute noch arbeitest, hätte ich dir es erst morgen geschickt." lachte ich.
Nina kicherte ebenfalls. „Ja ich wollte auch erst morgen wieder starten aber Lila schläft schon seit einer Stunde und ich bekomme einfach kein Auge zu. Aber ist das dein Ernst? Sag mir bitte ich träume."
„Naja die Bilder, die er mitgeschickt hat sprechen doch für sich oder? Wir sind doch schon seit längerem auf der Suche nach einem neuen Möbelhersteller. Linus hat ja nur noch den Club ausgestattet bevor er in Rente ist. Die Sachen sind zwar noch super, doch einige in der Mail sehen wirklich interessant aus. Außerdem ist die Idee mit den Kursen gar nicht so schlecht."
Nina brummte zustimmend. „das Stimmt. Wenn ich das richtig gelesen habe sind seine Schreiner auch alle Doms. Die könnten uns dabei unterstützen. Die Kurse würden nochmal zusätzlich Werbung bringen."
„Okay. Dann telefoniere ich Morgen mal mit dem Geschäftsführer. Wie geht es Lila? Oma und Opa haben nach ihr gefragt." Wechselte ich das Thema.
Nina seufzte. „Sie wird langsam echt unausgelastet. Der Laden und der Klub fehlen ihr wirklich sehr. Da hat der Samstag eher weniger bei geholfen."
Mir kam eine Idee. „Mag sie vielleicht im Büro helfen? Also nur wenn es ihr gut genug geht. Wir könnten die Hilfe gebrauchen und du könntest sie dort im Auge behalten." schlug ich vor.
In Ninas Stimme war der Zweifel wirklich gut zu hören.
„Ich denke nächste Woche noch nicht. Wenn ich ihr das jetzt vorschlage, möchte sie gleich Morgen anfangen. Außerdem kann ich sie hier schon kaum ruhig halten im Laden wird das nur noch schwieriger. Dabei muss sie sich noch viel ausruhen."
Ich versuchte nicht allzu enttäuscht zu klingen. Natürlich vermisste ich die Beiden.
„Na klar. Das kann ich völlig verstehen. Das war ja nicht grade ein kleiner Unfall."
Nina seufzte. „Es tut mir Leid Joli. Wir versuchen sie schnell wieder auf die Beine zu bekommen. Doch ich habe einfach Angst sie zu überfordern."
Schnell winkte ich ab. „Nein euch muss nichts leid tun." Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Die Anderen wollen ja auch weiter helfen. Ich vermisse euch nur so schrecklich." gab ich zu.
Wieder ein seufzen. „Wir dich auch süße. Kommst du morgen Abend zum Essen zu uns?"
„Ähm..." Ich stockte. „Ich wollte eigentlich morgen in den Club."
Kurz legte sich schweigen über uns. „Wow." unterbrach meine beste Freundin die Stille. „Du willst wirklich zum Schulabend?" Ich hörte das Lächeln deutlich in ihrer Stimme.
Schnauben antwortete ich ihr. „Jetzt tu nicht so überrascht. Ihr wolltet doch dass ich mich mehr in den Club einbringe. Das habe ich auch vor."
Jetzt entwich ihr tatsächlich sogar ein Kichern. „Ja ich merke es. Kaum zu glauben, was Cole mit dir anstellt."
Entnervt brummte ich. Als hätte ich Jahre lang auf dem Mond gelebt.
„Sorry Joli. Das ist einfach so neu für uns. Geht Cole denn morgen Abend mit?" sie schlug einen entschuldigenden Ton an.
„Ja ich hatte nicht vor alleine in die Höhle der Löwen zu gehen." erklärte ich.
„Ich denke ich sollte aber jetzt langsam mal ins Bett gehen. Ich muss morgen früh raus und der Tag wird lang." ein Blick auf die Uhr gab mir recht. 23:30 Uhr. Um 6 wollte ich wieder aufstehen.
„Übertreib es bitte nicht." da war die Bärenmutter wieder. „Das hältst du sonst nicht lange durch Joli."
Ich wusste ihre Sorge zwar zu schätzen, dennoch verdrehte ich meine Augen. „Ja keine Sorge. Gute Nacht Nina. Ich hab dich lieb!"
„Gute Nacht Süße. Wir schreiben okay?"
Zustimmend brummte ich und legte auf.
Nina und Lina waren so viel mehr als Freunde für mich.
Sie gehörten zu meiner Familie und der Rest war auch grade auf dem besten Weg dahin, einen ähnlichen Status zu erreichen.
Diese Nacht schlief ich mit einem breiten Lächeln auf den Lippen ein.
Vielleicht auch, weil mein Schlafzimmer noch beruhigend nach Cole roch.

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