III. Wahre Gesichter

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Kurz nach dem Gespräch mit Dolorian war meine Schicht dann auch beendet und ich durfte nach Hause gehen. 'Ich musste' traf es wohl eher. Die letzte Stunden hatte ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich es Mateo sagen sollte, ohne dass er sauer wurde, doch bis jetzt war mir noch kein einziges Szenario eingefallen. Wahrscheinlich werde ich ihm einfach alles an den Kopf werfen, was Dolorian gehört hatte und hoffen, dass er versteht, dass das so nicht geht. Jetzt musste ich mich nur noch dazu aufraffen, ihm das zu sagen.

Allerdings gab er mir gar keine Chance, als ich die Tür aufschloss. Er stand schon mit einem breiten Lächeln hinter der Tür und nahm mich am Arm, nachdem ich die Tür geschlossen hatte. Der Griff war fest, aber nichts, was ich nicht aushalten würde. Er zog mich durch den Flur, dann durch die Hintertür in den Garten. Als ich anfing und meinte, dass wir reden sollten, winkte er nur ab und sagte, dass wir später reden könnten.

Im Garten erwarteten mich seine, sowie meine Eltern, die ebenfalls fröhlich zu uns lächelten.

Ich war zwar überfordert in der Situation, trotzdem wagte ich noch einen weiten Anlauf. Ich war schon stolz auf mich, dass ich überhaupt einen zweiten Anlauf in so kurzer Zeit gemacht hatte, aber auch dieser wurde abgeblockt, jedoch minimierte sein Lächeln sich sichtlich, als er seufzte und sich vor mich stellte. Er nahm meine Hände in seine, wobei ich leicht nervös wurde.

"Okay, eigentlich wollte ich noch warten, aber da du es eilig zu haben scheinst, halte ich mich kurz, Bunny. Ich denke, unsere Familien haben damit auch kein Problem." Ein kurzer Blick zu meinen Eltern zeigte sich nur nickten, während meine Mutter 'Sieh ihn an' in Gebärdensprache zeigte.

Vorsichtig drehte ich mich wieder zurück und da kniete er schon. Ich stockte und hielt mir die Hand vor den Mund. Nicht, weil ich mich extrem freute, überglücklich war oder weinte, sondern weil mich diese Szene nur zu sehr an die Vision erinnerte. Im Garten kniete er vor mir, mit einer Ringschatulle in der Hand, während ich mit der Hand vor dem Mund vor ihm stand, doch ich wusste, dass ich nicht hektisch nicken und ihm glücklich entgegenspringen würde.

Er fragte die Frage und sprach mich wieder mit diesem bescheuerten Spitznamen an, doch ich antwortete erst nicht. Die Stille wurde, je länger sie anhielt, immer unangenehmer, weshalb ich dann endlich meine Antwort aussprach. "Nein."

Ich hörte schon die anderen scharf Luft holen, während mein Blick auf Mateo fokussiert war. Das Lächeln war verschwunden und er stand mit wütendem Blick auf. "Was hast du gesagt?" Einmal holte ich noch tief Luft. Es waren andere Leute hier, mir konnte nichts passieren.

"Nein, ich heirate dich nicht." Und auch wenn ich gerade meinen Vision-Traummann in den Sand gesetzt habe, soll es mir egal sein. "Du erzählst deinen Freunden, dass du mich von Grund auf nicht leiden kannst und willst mich trotzdem heiraten? Vergiss es."

Er sah aus, als würde ihm gleich eine Ader an der Stirn aufplatzen, während er die Ringschatulle laut zuklappte. Doch bevor er sprach, atmete er tief durch. Sichtlich beruhigte er sich, aber seine Stimme zischte nur so. "Dein kleiner Freund ist eifersüchtig und erzählt dir scheiße. Ich mache so was nicht. Du solltest mich wirklich besser kennen, Bunny."

Wie habe ich es überhaupt ein Jahr mit dem Typen ausgehalten? "Meine Antwort ist nein." Mehr sagte ich dazu auch nicht mehr. Gerade als Mateo eine Hand hob (ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was er machen wollte), kam mein Vater und griff sein Handgelenk in der Luft auf.

"Erklär dich oder verschwinde", warnte er nur, ohne den Griff zu lockern. Ich nutzte den Moment, um einige Schritte zurückzutreten und durchzuatmen.

"Ach, wissen Sie, Señor Pérez, sie ist doch mit Dolorian Madrigal befreundet und er mag mich nicht besonders. Wahrscheinlich hat er ihr einfach irgendwas erzählt, um mich blöd dastehen zu lassen. Ich würde doch niemals schlecht über ihre Tochter sprechen." Bevor mein Vater auch nur ein Wort glauben konnte, zog ich meine Ärmel nach oben und ein weiteres kollektives scharfes Luftholen zog durch die Runde, als alle alten und neuen blauen Flecke zum Vorschein kamen. Bei einem hätte man sogar Mateos Hand drauflegen können und der blaue Fleck wäre der perfekte Abdruck gewesen. Es sah schlimmer aus, als der Schmerz in Zwischenzeit war.

Mateo riss die Augen auf und wollte gerade anfangen, sich wieder herauszureden, doch mein Vater unterbrach. "Verschwinde und komme nicht wieder in die Nähe meiner Tochter. Habe ich mich klar ausgedrückt?"

Ich sah kurz zu Mateos Eltern. Sein Vater massierte sich die Nasenwurzel und schüttelte fast unmerklich mit dem Kopf. Seine Mutter sah ihn enttäuscht an. Meine schien einfach nur entsetzt und sah mich entschuldigend an.

Mateo schoss mir den finstersten Blick zu, den er in der kurzen Zeit, bis mein Vater ihn aus meinem Sichtfeld verfrachtet hatte, zustande bekam. Aber selbst das jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Das war hier noch nicht vorbei. Ich spürte es.

Mateos Mutter entschuldigte sich noch überschwänglich bei mir. Im Endeffekt waren es seine und meine Mutter, die das Ganze in die Welt gesetzt hatten, auch wenn bei der Beziehung anscheinend noch eine Finanzierung auf seiner Seite dahintersteckte.

Als dann nur meine Eltern und ich im Garten standen, zog ich meine Ärmel wieder herunter und atmete tief durch. Meine Mutter stand schnell vor mir und zeigte immer wieder das Symbol für Entschuldigung in Gebärdensprache. Sie ist stumm, müsst ihr wissen. Was auch einer der Gründe war, warum ich so sensible Ohren hatte. In unserem Haushalt wurde nie viel gesprochen, obwohl mein Vater und ich sprechen und meine Mutter ganz normal hören konnte. Wir haben schon immer lieber in Gebärdensprache kommuniziert.

'Schon okay', zeigte ich nur zurück, aber sowohl meine Mutter als auch mein Vater schüttelten mit dem Kopf. "Du hättest uns das sagen sollen. Ich hätte das nie ..." Mein Vater seufzte mit Blick zur Tür, bevor er wieder zu mir sah. "Wir dachten, wir helfen dir, aber offensichtlich nicht."

Meine Mutter entschuldigte sich erneut und fügte dann noch hinzu: 'Ich werde so etwas nie wieder zustimmen. Du entscheidest selbst. Du weißt es am besten.'

Sie sah so traurig aus, weshalb ich meine Mutter einmal fest umarmte, bevor ich meinte 'Ich nehme es euch nicht böse. Ihr wolltet nichts Schlimmes.'

Das 'Danke' kam von meinen Eltern synchron, bevor ich mich in einer Familienumarmung wiederfand.


Veränderte Zukunft (m. Dolores Madrigal - Encanto)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt