II. Ich habe gehört

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Ich hasste Sonntage. Deshalb war ich ziemlich froh, als ich Montag wieder hinter meinem Schreibtisch in der Bibliothek saß. Sonntag hatte ich frei und Mateo kam kurz nach Mittag in die Wohnung. Ab da war dann auch mein frei vorbei.

Ich gebe ja zu, ich stelle Mateo als das größte Arschloch überhaupt dar. So schlimm ist er auch nicht. Wir sind eben nicht ganz auf Augenhöhe bei bestimmten Themen.

Er hört schlecht - ich rede leise - ihn nervt es, wenn er mich nicht versteht – der Teufelskreis geht weiter.

Er redet laut – ich habe sensible Ohren – er sieht es nicht ein, leiser zu reden – ich bin nicht wirklich gut im Diskutieren, also lasse ich ihn.

Er kann Dolorian überhaupt nicht leiden (ist aber auch umgekehrt so, insofern passt wenigstens das zusammen) – allerdings denkt er auch, dass er besser im Dorf steht, wenn er einem Madrigal im Freundeskreis hat – mich kotzt seine gespielte Freundlichkeit gekonnt an – außerdem sieht man Dolorian sofort an, wenn er jemanden nicht mag.

Ich musste meinen Gedankenstrom unterbrechen, als jemand durch die Tür kam. Nachdem ich ein Lesezeichen in das Buch, was ich gerade las, gelegt hatte (wobei mir aufgefallen war, dass ich seit bestimmt einer viertel Stunde kein einziges Wort gelesen hatte), lächelte ich der Person freundlich zu.

Mein Lächeln wurde noch ein Stückchen breiter, als ich merkte, dass es Dolorian war. Allerdings rollte ich auch mit den Augen, als er schon anfing zu reden, bevor er überhaupt an meinem Tisch angekommen war. "Du wirst es gar nicht glauben -" Ich unterbrach ihn schnell, indem ich die Hand hochhielt und dann auf das Schild neben mir zeigte. 'Bitte leise sprechen' stand auf dem Schild und daneben eine Zeichnung eines Fingers vor den Lippen.

Dolorian stockte und atmete tief durch, nachdem er fast unmerklich mit den Augen gerollt hatte. Er war schon oft genug hier und jedes Mal musste ich auf das Schild zeigen. Wie jedes Mal fing er danach erst an, leise zu sprechen. Während ich mein Buch weglegte, wurde ich über den neusten Klatsch und Tratsch aufgeklärt. Sonst war heute keiner in der Bibliothek, weshalb ich ihn auch in aller Ausführlichkeit habe reden lassen.

"Und du hast mir gestern meine Frage nicht beantwortet, weil wir unterbrochen wurden. Du hast noch keinen Antrag bekommen, oder?", fragte er vorsichtig. Ich sah ihn verwirrt an. Immerhin hörte er alles, dementsprechend hätte er das sicher mitbekommen, aber andererseits hat er ja auch nur zwei Ohren, da kann man mal etwas überhören. Mein Blick glitt zu meinen Händen, als ich den Kopf schüttelte.

Als ich keine Reaktion von Dolorian hörte, sah ich ihn wieder an. Sein Blick zuckte über den ganzen Raum und er hatte die Arme gekreuzt, während er schnell mit den Fingern auf seinem Arm trommelte. Er wusste etwas, was ich nicht wusste. "Sag schon", meinte ich nur, während ich meine Arme ebenfalls überkreuzte und mich zurücklehnte.

Erst jetzt sah er mich an und dann auf seine Hände, bevor er wieder in meine Augen sah und eine Hand in seinen Nacken legte. Sein kurzer unsicherer Blick auf meine Arme bestätigte meine langwierige Vermutung. Mein Geheimnis war gar keins, jedoch sagte ich nichts. Immerhin könnte ich mir das auch nur einbilden.

"Ich habe Mateo gehört." Seine andere Hand, die an seiner Seite hing, ballte sich zur Faust, woraufhin ich ihn nur fragend ansah. Er hörte viel, wenn der Tag lang war. "Er hat mit seinen Freunden heute Vormittag geredet und eigentlich interessiert es mich wirklich nicht, was aus seinem Mund kommt", ich musste grinsen,"aber ich habe deinen Namen gehört - oder zumindest diesen bescheuerten Spitznamen – und da konnte ich nicht anders als zuhören."

Ich legte den Kopf schief. Mateo hatte mir nie erlaubt, mit seinen Freunden zu reden. Mal interessant zu wissen, was die so über mich sagen. Und da Dolorian so unsicher aussah, konnte es nichts Gutes sein.

Mental konnte ich mich aber gar nicht darauf vorbereiten. "Er hat dich schlechtgeredet. Hat gemeint, dass du zu nichts nutze bist. Dass du nicht machst, was er sagt. Er meinte, du bist verdammt nervig und anstrengend und kannst nicht gut küssen. Den Rest erspare ich dir."

Der Rest ... da kam noch mehr. Gott. Ich sah weg und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Klar, er liebte mich nicht, das war klar, aber das hatte ich nicht erwartet.

"Außerdem meinte er, dass er nur noch mit dir zusammen ist, weil er sonst nicht von seiner Familie finanziert wird." Offensichtlich war Dolorian jetzt fertig mit erzählen, denn er ließ die andere Hand sinken und sah zu Boden. Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Der Grund, warum ich nicht mit seinen Freunden reden durfte, war, weil er schlecht über mich geredet hatte. Und das anscheinend nicht zum ersten Mal, denn ich durfte schon eine ganze Weile nicht mehr mit ihnen reden. Mal abgesehen davon, dass ich seine Freunde nicht mochte und es mich nicht gestört hatte, nicht mit ihnen zu reden.

Mein Kopf konnte das alles gar nicht so schnell verarbeiten. Anscheinend war ich so lange weggetreten, dass Dolorian das Gefühl hatte, irgendwas machen zu müssen. Denn wenig später umarmte er mich von hinten, ohne irgendwas zu sagen, damit ich nachdenken konnte.

Erst nach einer ganzen Weile sprach er. "Hilft es, wenn ich allen sage, dass er schlecht über dich redet, sodass er schlecht dasteht oder soll ich warten, bis du Schluss gemacht hast?" Als ich nicht reagierte, fügte er noch vorsichtig hinzu, während er sich wieder hinstellte: "Du wirst doch Schluss machen, oder?" Seufzend drehte ich mich zu ihm um. "Mum wird am Boden zerstört sein."

Dolorian kniete sich auf meine Augenhöhe und sah mich mit einem entschuldigenden Lächeln an. "Aber du kannst nicht bei ihm bleiben. Deine Mum wird es verstehen. Sie will nur das Beste für dich und glaube mir, er ist es nicht." Seufzend blickte ich auf meine Hände. "Ich weiß."

"Soll ich dabei sein, falls ..." Er beendete den Satz nicht, doch ich wusste, was er implizierte. Falls er mir wehtat. Ich schüttelte nur mit dem Kopf, weshalb Dolorian sich wieder erhob. "Wenn du meinst, aber wenn irgendwas sein sollte, rufst du mich, okay? Ich bin da, bevor du auch nur geblinzelt hast." Ich musste tief durchatmen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie ich Mateo konfrontierte. "Sicher, dass du mich zwischen den ganzen Geräuschen hörst?"

Dolorian lächelte nur. "Mach dir darüber mal keinen Kopf, Liza."


Veränderte Zukunft (m. Dolores Madrigal - Encanto)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt