VII. Eine Übernachtung

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Als Dolorian später wiederkam, tat er so, als wäre nichts geschehen. Auf meinen fragenden Blick hin meinte er nur, dass ich mir keine Gedanken machen müsste.

Danach verlief der Abend so fröhlich, wie er begonnen hatte, weiter. Ich hatte viel Spaß, was größtenteils auch an Dolorian lag.

Mateo und seine Freunde waren kurz nachdem Dolorian wiedergekommen war, gegangen. Ich wusste nicht, was er gesagt hatte, aber solange es mir Mateo fern hielt, beschwerte ich mich nicht.

Der Abend dauerte noch eine Weile an, bis ich so müde war, dass ich kaum noch gerade laufen konnte. Die Müdigkeit setzte plötzlich ein, sonst wäre ich wesentlich eher nach Hause gelaufen. Doch nun lehnte ich an Dolorians Schreibtisch in seinem Zimmer und versuchte ihn zu überzeugen, dass ich noch nach Hause laufen könnte. Er ließ sich nicht überzeugen.

Ich war nicht zum ersten Mal hier drinnen und es wäre auch nicht das erste Mal, dass ich bei ihm übernachtet hätte, aber das letzte Mal ist schon fast zwei Jahre her. Und damals hatte ich keinen Gedanken daran verloren, dass ich vielleicht Gefühle für ihn hatte. Allerdings wird er die ohnehin nicht erwidern, weshalb die Übernachtung wohl nicht viel Unterschied zu unseren Übernachtungspartys von damals hatte.

Ich war stolz, dass ich überhaupt einem so langen Gedankenstrang folgen konnte, ohne zu gähnen. "Du schläfst hier. Die andere Möglichkeit wäre, dass ich dich nach Hause trage. Ich bin erstaunt, dass du überhaupt noch gerade stehen kannst. Na los. Nimm dir einfach ein paar Sachen aus meinem Schrank. Du ziehst dich um, während ich Abuela und Mama Bescheid sage, dass du hier bleibst." Als er den Türknauf in die Hand nahm, hielt er inne und drehte sich noch einmal um. "Du kannst natürlich trotzdem Option zwei nehmen, wenn du nicht hier übernachten willst." Wortlos schüttelte ich nur mit dem Kopf. Der schnellere Weg in eine waagerechte Position war eindeutig der schlauere. Ein leises glückliches Ausatmen kam aus Dolorians Richtung, bevor er meinte, dass er in zehn Minuten wieder da sei und dann seine Tür hinter sich schloss.

Ohne mir weitere Gedanken über die Situation zu machen, griff ich mir aus seinem Schrank ein Hemd und eine Hose, die mir beide viel zu groß waren, und schlüpfte hinein. Mit einem seiner Kissen und einer Decke machte ich es mir auf dem Teppich gemütlich. Immer wenn ich bei Mateo übernachtet hatte (was selten vorkam, da er noch bei seinen Eltern wohnte und erst später bei mir eingezogen war), hatte ich auf dem blanken Boden geschlafen. Dagegen war der Teppich hier purer Luxus.

Dolorian war da aber gegenteiliger Meinung, als er nach einem Klopfen hereinkam und wie angewurzelt stehen blieb, als er mich sah. "Sei nicht albern. Wenn jemand auf dem Boden schläft, dann bin ich das."

Er kniete sich vor mich, als ich leise murmelnd antwortete. An dem Moment war ich schon im Halbschlaf. Ich bin erstaunt, dass ich mich überhaupt noch daran erinnern kann. "Jetzt stehe ich nicht mehr auf." Er schnaubte nur lachend, bevor er mich mit kurzer Vorwarnung einfach hochhob und sanft aufs Bett legte. Wäre ich in einem wacheren Zustand gewesen, hätte ich sicher protestiert. Oder vielleicht auch nicht, wer weiß das schon?

"Ich liege auf dem Boden, wenn dir das lieber ist." Wenn wir ehrlich waren, wäre es mir lieber, wenn Dolorian sich neben mich legen würde und das einfach alltäglich wäre. Aber wenn wir in der Realität bleiben, murmelte ich nur, dass er sich einfach hinlegen sollte, wobei ich echt froh war, dass er aus den müden Worten überhaupt irgendetwas herausgehört hatte. Wenigstens die eine Nacht konnte ich ja so tun.

Ein leises "Gute Nacht, Liza" war das Letzte, was ich hörte, bevor ich mich im Traumland wiederfand, was vollgestopft mit allen meinen Lieblingsbüchern war.

Am nächsten Morgen wachte ich allein auf. Mich wunderte es aber auch nicht, da Dolorian schon immer ein Morgenmensch war. Allerdings sah es auch so aus, als hätte er unruhig geschlafen. Seine Bettseite war unordentlicher als normal (zumindest wenn ich mit damals verglich).

Gähnend stand ich auf, machte das Bett und suchte nach meinem Kleid von gestern, da ich ja nichts Neues dabeihatte.

Als ich umgezogen war, lehnte ich mich gegen den Bettpfosten und genoss vorerst die Ruhe. Dolorians Zimmer war im Gegensatz zu den anderen Räumen recht unspektakulär. Auf den ersten Blick könnte man denken, es ist ein normales Zimmer. Ein hölzerner Schreibtisch mit passendem Schrank und Ehebett. Nichts Außergewöhnliches. Die Farben des Raumes waren in warmen Creme- und Rottönen gehalten, was perfekt zu Dolorian passte. Hier gab es keine Fenster und trotzdem war es nie stickig, was mich immer fasziniert hatte.

Aber der Hauptpunkt, was eben mit seiner Gabe zusammen hing, war, dass der Raum schalldicht war. Es war wie, als hätte ich meine Kopfhörer auf. Dolorian meinte, dass er hier nur die Geräusche innerhalb seines Hauses hört, was eine drastische Reduktion zu seinem sonstigen Hörvermögen war. Mein normales Gehör war hier in absoluter Stille und ich liebte es.

Als Kind hatte ich ihn oft besucht, nur um in seinem Zimmer zu sitzen und zu lesen. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen bei der Erinnerung. Ihn hatte es nie gestört. Er hat meistens nur gelacht. Manchmal hatte er sich neben mich gesetzt und mich gebeten, ihm vorzulesen. Seltenst hatte ich es auch gemacht. Ich war nicht wirklich gut im Vorlesen, auch wenn Dolorian immer so aussah, als würde er mir förmlich an den Lippen hängen.

Ich schüttelte mit dem Kopf, als es an der Tür klopfte. Da ich wusste, dass Dolorian es hören würde, summte ich nur zustimmend. Doch offensichtlich war er es nicht, als die Tür nicht aufging. Ohne lange zu warten, öffnete ich sie einfach selbst, nur um Pepa vorzufinden.

Sie lächelte breit, als sie mich sah. "Du bist wach, wunderbar. Ich habe hier Sache für dich zum Anziehen. Bring sie mir einfach irgendwann zurück. Wir frühstücken in einer viertel Stunde draußen, wenn du uns Gesellschaft leisten möchtest." Damit verabschiedete sie sich wieder und ging, bevor ich die Tür wieder zumachte.

Nach dem erneuten Ankleiden verließ ich Dolorians Zimmer auf der Suche nach dem Frühstückstisch.


Veränderte Zukunft (m. Dolores Madrigal - Encanto)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt