VI. Ruhe in der Lautstärke

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Die Welt wurde plötzlich ruhig. Ich hörte zwar immer noch viel, aber die Kopfhörer dämpften die weit entfernten Geräusche ab. So hörte Liza wahrscheinlich die Welt. Irgendwie war es beruhigend. Mit geschlossenen Augen genoss ich die Ruhe noch für einige Momente, bis ich Liza wieder ansah.

Als ich meine Hände zurück zu den Kopfhörern bewegte, schüttelte sie schnell mit dem Kopf, wobei sie sich immer noch die Ohren zuhielt. Die Bürger strömten schon an uns vorbei in Antonios Zimmer, aber so lange, wie das Feuerwerk noch anhielt, ließ mich Liza nicht ihre Kopfhörer absetzen. Erst als sie die Hände herunternahm, gab ich ihr dankend ihr Eigentum zurück. "Das hättest du nicht machen brauchen. Deine Ohren sind sensibel, du brauchst die Kopfhörer." Wieder schüttelte sie lächelnd mit dem Kopf. "Du hörst mehr", murmelte sie, was mich lächelnd ließ. Sie war so verdammt süß. Kopfschüttelnd hielt ich ihr meine Hand hin, bevor ich meinte, dass wir hochgehen sollten. Sie zögerte nur kurz, bevor sie meine Hand ergriff und wir zusammen die Treppe nach oben zu Antonios Zimmer gingen.

Wer hätte gedacht, dass ein Raum so groß überhaupt in die Casita passte. Zuerst war es noch ein ganz normaler Raum mit einem Schreibtisch und Holzböden, aber dann gingen wir in einen reinen Traum aus Grün über. In der Mitte ein riesiger Baum, wo Antonio gerade auf einem Tiger ritt.

Ich hörte, wie Liza neben mir staunte, was mich nur noch stolzer auf meinen kleinen Bruder sein ließ.

Nachdem Antonio wieder bei uns auf den Holzdielen war, machten wir alle ein Familienfoto, wofür ich leider Liza kurz stehen lassen musste. Doch danach ging ich gleich wieder zu ihr, bevor sie noch irgendwelche der Kommentare hörte, die Mateo in ihre Richtung spuckte und die ich bis jetzt versucht hatte, so gut es ging zu ignorieren. Immerhin war es recht einfach, mit den hunderten Stimmen in diesem Raum und der etwas zu lauten Musik.

"Ich bin ja so froh, dass Antonio eine Gabe hat. Was wäre nur geworden, wenn es so ausgegangen wäre, wie letztes Mal?" Meine Cousine schlechtzureden, war aber auch nicht unbedingt nett.

"Hast du Dolorian und Yuliza gesehen? Ich wusste doch, da war mehr als nur eine Freundschaft." "Ach, die standen doch nur nebeneinander. Du bildest dir wieder Sachen ein." "Aber hast du gesehen, wie er sie angesehen hat? Wenn ich es dir doch sage, Dolorian stand sicher schon vor ihrer Verlobung auf Yuliza. Das war gar nicht zu übersehen."

Die restliche Konversation ignorierte ich. Ist immerhin nicht das erste Mal, dass ich die Arten von Konversationen bezeuge. Ich glaube wirklich, dass die Leute vergaßen, dass ich alles hörte. Oder ihnen war es egal, könnte auch sein.

Besonders in dem Jahr, als Yuliza noch mit Mateo zusammen war, kamen immer mal wieder spöttische Kommentare, mit meinem Namen verziert. "Weiß Dolorian denn eigentlich nicht, dass sie verlobt ist? Das ist ja peinlich." Sie war nie verlobt und außerdem war diese Beziehung der absolute Albtraum. Ich habe nie verstanden, wie keiner das gesehen hatte.

Mateo wurde aber später noch besonders garstig, als Liza und ich zusammen tanzten. Ich hätte nie gedacht, wie schnell ein paar Worte meine ganze gute Laune verpuffen lassen können. Dabei lief der Abend gerade so gut.

"Wusste ich es doch. Erst sagt sie nein zu mir und dann hängt sie ihrem besten Freund um den Hals. Klar und ich sollte mir keine Sorgen machen. Die kleine Schlampe."

Ich bin ehrlich, da war es mir dann auch egal, ob ich das bereuen werde.

Yulizas Sichtweise

Mit einer kurz angebundene Entschuldigung stürmte Dolorian von der Tanzfläche. Ich wusste nicht, warum, schätze aber einfach, dass er irgendwas gehört hatte. Allerdings sah er ziemlich genervt aus. Was es auch war, er konnte es nicht ignorieren, bis das Lied zu Ende war. Ein Anflug von Enttäuschung breitete sich in mir aus, doch ich schluckte das Gefühl wieder herunter. Dolorian wird schon einen Grund haben. Ich hatte eigentlich nichts falsch gemacht. Glaube ich zumindest.

Ein Blick zur Tür zeigte Dolorian, der einen Arm um jemanden gelegt hatte ... war das Mateo? Verwirrt sah ich hinterher, wie Dolorian Mateo mit einem Arm um die Schulter aus Antonios Zimmer brachte. Ich wusste nicht, ob ich nachgehen oder warten sollte, doch mir wurde die Entscheidung ohnehin abgenommen, als meine Eltern neben mir auftauchten. Kurz blieb mein Blick noch an der Tür kleben, doch weder Dolorian noch Mateo waren zu sehen, weshalb ich mich zu meinen Eltern drehte.

'Du scheinst Spaß zu haben', zeigte meine Mutter und grinste schelmisch, woraufhin ich eine leichte Wärme in meinen Wangen verspürte. 'Kann man wohl so sagen.' Mein Vater stupste mich in die Seite, bevor er weiter die Hüften im Takt schwang.

Er brauchte gar nichts zu sagen und ich wusste, was er meinte, denn er hatte es schon so oft gesagt. Wäre es nicht toll, wenn die Kinder von besten Freunden zusammen kommen würden. Vor der Beziehung mit Mateo durfte ich mir das anhören und die letzten Wochen ist es auch gehäuft wieder gekommen. Allerdings hatte ich in den letzten Wochen nicht viel zu widersprechen. Vielleicht war es der Fakt, dass ich gerade aus einer toxischen Beziehung kam, aber wenn ich bei Dolorian war, fühlte ich mich sicher. Er ließ mein Herz schneller schlagen und meine Haut kribbeln, aber ich will mir auch nichts einreden.

Dolorian könnte jedes Mädchen haben, wenn er wollen würde. Warum sollte ich es dann sein? Laut Brunos Vision war Mateo mein Traummann, dementsprechend bin ich mir sicher, dass Dolorian einfach jemand anderen fand und glücklich sein würde. Auch wenn ich die Zeit mit ihm wirklich genoss.

Ich hatte meinen designierten Traummann in den Sand gesetzt und damit musste ich wohl leben.

Auch wenn es die richtige Entscheidung war.


Veränderte Zukunft (m. Dolores Madrigal - Encanto)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt