Trigger Warnung: Anspielung auf häusliche Gewalt
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Yulizas SichtweiseSchon seit ich ein kleines Kind war, war ich nie jemand, der viel und laut gesprochen hatte. Nein, ich war immer das stille, kleine Mädchen, was Schwierigkeiten hatte, Freunde zu finden.
Mein bester Freund wurde mir als kleines Kind vorgestellt. Dolorian Madrigal. Mein Vater war schon seit seiner Kindheit der beste Freund von Felíx Madrigal, Dolorians Vater. Früher oder später mussten wir ja einander vorgestellt werden. Wir verstanden uns sofort super. Das war sogar noch vor seiner Gabenzeremonie. Ich kann mich erinnern, dass er schon als kleines Kind sehr gern und viel geredet hatte. Alles, was er irgendwo aufgeschnappt hatte, wurde ohne große Umwege direkt irgendjemandem präsentiert. Über die Jahre wurde ich dann sein persönlicher Gossip-Partner.
Mit fünf bekam er dann seine Gabe, die ihn alles hören ließ. Und ich meine wirklich alles. Er kann selbst einen Schmetterling einige Kilometer weiter fliegen hören. Dementsprechend saßen wir oft zusammen und er erzählte mir jede ach so kleine Sache, die hier im Dorf herumging. Ich liebte diese Zeit mit ihm. Er war einer der wenigen Leute, die mich nicht dazu zwangen zu reden. Er wusste, dass ich liebend gern zuhörte und so war er im Normalfall derjenige, der die Konversationen leitete. Besser gesagt, derjenige, der die Monologe führte, zu denen ich wortkarg beitrug.
Mit der Zeit wurden wir beste Freunde. Ich kann mich sogar noch an den Tag erinnern, als wir uns von Bruno die Zukunft lesen lassen haben. Bruno war Dolorians Onkel, seine Gabe war, wie gesagt, dass er in die Zukunft sehen konnte. Allerdings wurde er deshalb auch verpönt, da er nicht immer die besten Botschaften überbrachte. Ich konnte dem jedoch nicht zustimmen. Meine Zukunft sah wunderschön aus.
Brunos grüner Sand zeigte mir, wie mir jemand einen Antrag machte. Ich konnte den Mann nicht genau erkennen, seine ganze Gestalt war leicht verschwommen, doch ich sah, wie er auf einer mit wunderschönen Blumen bewachsenen Wiese kniete und mir eine Ringschatulle mit einem filigranen Ring entgegenhielt. Ich lächelte, als ich sah, wie mein zukünftiges Ich rasant nickte und den Mann erst umarmte, bevor sie ihn küsste.
Der Gedanke, dass auch ich die Liebe finden würde, beruhigte mich, denn manchmal hallten immer noch die Stimmen der gleichaltrigen Kinder in meinen Ohren, die meinten, dass mich nie jemand lieben würde. Dementsprechend fand ich eine gewisse Erleichterung in dem Wissen, dass ich in einer glücklichen Beziehung sein würde. Zumindest konnte ich das nur hoffen.
Ich saß gerade gemütlich auf meinem Sessel, während sich Dolorian mir gegenüber auf der Couch breit gemacht hatte. "Und übrigens, weil ich dir das anscheinend noch gar nicht erzählt habe, Isabela und Mariano Guzmán sind jetzt auch verlobt. Oder auf dem besten Weg dahin." Ich zog die Augenbrauen fragend zusammen, da ich davon wirklich zum ersten Mal hörte. Dolorian biss genüsslich an einem Keks ab, den er vorher aus der Schale auf dem Tisch genommen hatte. Da heute mein freier Tag war, dachte ich, ich könnte etwas backen. Sie waren immer noch warm aus dem Ofen. Dolorian stöhnt leise, als er den ersten Bissen nahm und ich konnte nur lächeln. "Wie kannst du nur so gut backen? Das ist der absolute Himmel." "Nicht so gut wie Julieta", murmelte ich, woraufhin er mit dem abgebissenen Keks auf mich zeigte. "Tia Julietas Essen kann Wunden heilen, aber diese Kekse sind das Beste, was ich je gegessen habe. Versuch gar nicht zu widersprechen." Er grinste breit, als er sich den Rest des Kekses in den Mund schob und die Augen schloss. Er sah verdammt süß aus. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Als er mich wieder ansah, deutete ich mit einer Handbewegung an, dass er weiterreden soll.
"Stimmt. Jedenfalls steht ja Mariano schon ewig auf Isabela und nun hat Abuela das Angebot von Señora Guzmán angenommen. Die beiden werden also in kurzer Zeit heiraten. Natürlich kommt vorher noch der Antrag. Ach, hat Mateo dir eigentlich schon -?"
Wenn man von ihm sprach, so kam er auch. "Bunny! Bin zu Hause! Was gibt's zu essen?" Ich hielt mir die Ohren zu. Dolorian tat das Gleiche. Mein bald-Verlobter Mateo war noch nie der leise Typ gewesen. Allerdings hörte er auch schwer, weshalb ich ihm das nicht übel nehmen konnte.
"Hör bitte auf zu schreien, Mateo. Ich bin im Wohnzimmer", sagte ich anscheinend zu leise, weshalb ich gleich ein lautes "Was?" zu hören bekam. Dolorian stöhnte genervt. Er konnte Mateo wirklich nicht leiden, aber er blieb trotzdem zivil. Wenn ich allerdings meine Ärmel auch nur ein Stückchen weiter hochkrempeln würde, würde sicherlich auch der friedliche Dolorian Mateo an die Gurgel gehen. Aber Männer, die schwer arbeiten, haben eben auch einen festeren Griff; daran gewöhnt man sich schnell. "Wohnzimmer", rief Dolorian etwas lauter, woraufhin Mateo dann auch gleich durch die Tür kam.
Das Ganze war eine arrangierte Beziehung. Zwar hatte Mateo den Antrag bisher nicht gemacht, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er nicht mein Seelenverwandter war. Zumindest hoffte ich das. Und selbst wenn er den Antrag genauso ausschmückt, wird meine Reaktion sicher nicht so ausfallen. Außer vielleicht meine Mutter steht daneben, die ja nur das Beste für mich wollte. Schade nur, dass Mateo nicht der beste Mann für mich war. Aber das konnte ich ihr wohl kaum sagen. Das würde ihr das Herz brechen.
Jedoch meinte Bruno damals, dass ich meinen Traummann finden und heiraten würde. Aber Mateo war es nicht. Mein Blick glitt hinüber zu Dolorian, doch ich schlug mir den Gedanken, der aufkam, gleich wieder aus dem Sinn. Immerhin war ich in einer Beziehung, ob es jetzt die richtige war oder nicht. Außerdem wäre Dolorian besser bei den hübschen, selbstbewussten Frauen aus dem Dorf aufgehoben als bei mir. Ich kann nicht einmal meinem Freund und meiner Familie sagen, dass ich diese Beziehung nicht will.
"Ich sehe, wir haben Besuch. Schön, dich zu sehen, Dolorian. Wie geht's dir?" Mateo lächelte ihm zu, bevor er mir einen Kuss auf den Scheitel drückte. So lieb und nett ist er auch nur, wenn Besuch da ist. Ich war ganz froh, dass Dolorian hier war. Er seufzte, bevor er unberührt mit den Schultern zuckte und lächelte. Wahrscheinlich war ihm wieder eingefallen, dass er als Madrigal nett zu jedem aus dem Dorf sein muss, egal ob er die Person besonders leiden kann oder nicht. "Kann mich nicht beschweren."
Plötzlich drehte er den Kopf zur Seite und sah an eine Stelle an der Wand. Er hörte wieder irgendwas. "Ich muss los. War schön, mit dir geredet zu haben. Danke noch mal für die leckeren Kekse." Ich nickte lächelnd und winkte, als Dolorian aus der Tür verschwand. Soviel zum Besuch.
"Und wo ist jetzt mein Essen, Bunny?" Ich mochte den Spitznamen nicht, aber das war gerade mein geringstes Problem, denn ich hatte noch nichts gekocht. Kommentarlos zeigte ich nur auf die Kekse und machte mich schon für den Anpfiff bereit, der gleich kam. "Kekse, ernsthaft? Du hast frei und bekommst es nicht einmal hin, was Ordentliches zu kochen? Gott, ich glaube, ich spinne." Er atmete genervt aus und zog mich am Arm hoch. Der blaue Fleck vom letzten Mal tat immer noch weh.
"Na los, ab an die Arbeit."
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Veränderte Zukunft (m. Dolores Madrigal - Encanto)
FanfictionAls Dolorian seiner besten Freundin Yuliza nach viel zu langer Zeit aus ihrer arrangierten, toxischen Beziehung half, konnte keiner vorhersehen, was als Nächstes geschah. Oder wusste es doch jeder und nur die beiden nicht? Cover: Original von Net au...