Perlen vor die Säue werfen

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Angus

Ich kralle mich in dem Notizbuch fest, welches ich aus unerklärlichen Gründen mitgenommen habe, auch wenn ich es am Ende gar nicht gebraucht habe. Es fühlt sich schwerer an als zuvor, als hätten die dahinein geschriebenen Worte an Bedeutung zugenommen.

Ich starre verblüfft auf dieses in meinem Schoß nieder und versuche mich zu überreden, endlich loszugehen, weil Grandma bestimmt schon Zuhause sein muss und sich Sorgen macht, wo ich nun bin, obwohl ich doch eigentlich Hausarrest habe. Meine Füße heben sich nicht, als würden sie nicht wollen, dass ich gehe.

Vielleicht ja, weil mein Herz den Mann nicht verlassen möchte, der noch vor wenigen Minuten nach mir geschrien hat. Der nach meiner Hand gegriffen hat, als wäre ich sein Rettungsring in der stürmischen See.

Ich habe nicht damit gerechnet, dass er plötzlich aufwachen würde. Nicht nachdem ich eigentlich erfahren habe, dass es bis jetzt nicht vorkam. Ich hoffe doch, er erinnert sich nicht, dass ich hier war. Ich habe niemanden von meinem kleinen Ausflug hierhin erzählt. Ich hätte wahrscheinlich auch Eric's Vater fragen sollen, ob ich seinen Sohn überhaupt erst besuchen darf, aber dann hätte es Riley erfahren. Dann hätte es bestimmt auch Grandma erfahren und mich vielleicht gar nicht erst gehen gelassen. Oder ich wäre ihm nachhinein mit Fragen gelöchert worden.

»Angus?«

Eric's Stimme geistert mir im Kopf herum. Ich wollte nur kommen, um mich bei ihm zu verabschieden, weil ich bald gehen werde. Ich habe Grandma versprochen, das Stipendium anzunehmen, welches mir Gwen damals besorgt hat. Wenn ich es schaffe, werde ich noch diesen Herbst vor dieser Stadt fliehen.

»Angus!«

Ich schüttle den Kopf, aber es ist zu spät. Meine Gedanken getrieft in Hoffnung übernehmen die Oberhand. Immer noch spüre ich seine Hand, die nach meiner gegriffen hat. Sie konnte nicht einmal fest zugreifen. Schlapp lag sie auf meiner, hoffend, dass ich ihr meiner nicht entziehe, aber das habe ich. Fast hätte ich ihn sogar mit dem Notizbuch erschlagen, solch einen Schrecken hat er mir eingejagt.

»Angus, ich-«

Ich schüttle den Kopf fester.

»-liebe dich.«

Noch fester.

»Bitte bleib.«

Ruhig atme ich durch, während mein Herz sich nicht mehr zu beruhigen scheint. Wild veranstaltet es einen Hüpfwettbewerb und es würde mich nicht wundern, wenn es diesen auch gewinnen würde.

Ich öffne vorsichtig das Notizbuch. Sein Notizbuch, welches ich ihm nur gegeben habe, damit er nicht auf die Idee kommt in meines zu schauen und zu sehen, dass ich unsere gesamte Zukunft geplant habe, nachdem er es wieder heil aus der Einbruchgeschichte geschafft hat.

Und währenddessen ich geglaubt habe, er hätte es nicht genutzt, hat er mir darin die größte Liebeserklärung gemacht, von der ich vielleicht nie etwas erfahren hätte, hätte ich nicht die Idee gehabt, es gestern Abend zu zereißen.

Lieber Angus,
Ich bin ein Küken.
Weißt du noch? Das hast du geschrieben. Und auch wenn ich damals nicht ganz verstanden habe, was du damit meinst, glaube ich nun, es verstanden zu haben. Ich kann es nachempfinden.
Ich bin ein Küken.
Ich bin der Sohn einer Duck und eines Polizisten. Ich bin der Sohn einer Verräterin und eines Verlorenen. Ich bin der Sohn einer Frau, die sich an keine Regeln halten wollte, und eines Mannes, der stets glaubte Recht und Gerechtigkeit wäre dasselbe. Ich bin der Sohn einer Toten und eines Untoten. Ich bin der Sohn einer Frau, die unfassbar gerne leben wollte aber nicht durfte, und ich bin der Sohn eines Mannes, der innerlich bereits gestorben ist, aber dazu verflucht ist, nicht den Planeten verlassen zu können.
Ich bin ein Küken.
Aber ich bin keine Duck.
Ich bin der Sohn zweier Menschen.
Aber ich bin nicht sie.
Ich bin ich.
Ich bin Eric Collins. Ich bin 21 Jahre alt und habe am 18. Februar Geburtstag. Ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, also habe ich mit Juz begonnen. Ich wusste nicht, was ich über den Sommer mit mir selbst anfangen sollte, also kam ich zurück in meine Heimatstadt, um meinem Vater beizustehen, da es ihm seit Jahren nicht mehr gut geht. Ich wusste nicht, was ich mit unserer kleinen aber doch verwirrenden Begegnung anfangen sollte, also habe ich es den falschen Leuten weitererzählt. Ich wusste nicht, was ich mit der Zwicklage anfangen sollte, in die ich mich selbst gebracht habe, also habe ich mitgespielt und dabei zu viele Menschen in Gefahr gebracht. Ich wusste nicht, wie ich mich wieder daraus befreien sollte, also habe ich alles auf eine Karte gesetzt und dabei alles verloren. Nun zweifle ich jedoch an meinen Entscheidungen, da ich mal wieder nicht weiß, was ich nun damit anfangen soll.
Ich wusste nie, was ich mein ganzes Leben lang tun wollte, aber ich weiß nun eines, ich hätte es niemals erfahren, hätte ich nicht den Menschen getroffen, den ich am liebsten für immer neben mir stehen sehen würde.
Dem ich meine geheimen Lieblingsorte zeigen möchte. Dem ich Unmengen an Cream Soda kaufen würde, auch wenn er sie gar nicht so gerne mag, aber durch seine Notlüge auch nicht mehr mit der Wahrheit ins Licht kommen kann. Dem ich stundenlang zuhören könnte, wenn er mir von Geschichten erzählt. Dem ich in die Augen sehen und Ich liebe dich sagen kann. Dem ich nicht vorlügen muss, mutig zu sein, auch wenn ich es gar nicht bin. Dem ich bewusst machen kann, wie wichtig er nicht nur mir sondern auch vielen Menschen um sich herum ist. Dem ich erklären kann, warum die ganze Aktion auf mich plötzlich wie eine Schnapsidee wirkt, bei der ich nicht mehr verstehen kann, wer hier gut oder böse ist. Den ich verzweifelt fragen kann, woran man erkennt, wer wirklich Recht hat. Jemand, den ich niemals gehen lassen könnte, da mein Herz schon an unserem ersten Treffen begonnen hat, in demselben Takt des seines zu schlagen.
Jemand, der keinen anderen Namen trägt, als den eines Engels. Deinen.
Ich wollte es dir sagen. Alles. Aber jedes Mal, wenn ich dachte, die Chance zu haben, wurden wir auf irgendeineweise unterbrochen und ich habe mich nicht getraut. Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe. Enttäuschen werde. Dass ich tun werde, was ich glaubte, das Richtige zu sein.
Ich liebe dich, Angus.
Ich würde nichts lieber tun, als mit dir zu fliehen. Zu hoch zur Sonne zu fliegen und zu tief zu fallen, bis ich mir einbilde die Freiheit auf meiner Zunge schmecken zu können. Solange du neben mir bist, gehe ich, wohin du auch willst. Auch wenn du es jetzt wahrscheinlich nicht mehr möchtest, ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als dir bis ans Ende der Welt zu folgen. Plötzlich weiß ich, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Ich möchte es nutzen, um deines zu erfüllen.
In Liebe,
Eric

-///-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt