Drei (Donnerstag, 12. September 2013, Ipswich, England)
Gina:
Ich bin schon den ganzen Tag, genau wie die letzten Tage, ganz hibbelig. Ich warte nämlich auf den Anruf von Mrs. Maren. Ich hoffe einfach nur das meine leiblichen Eltern, mich kennenlernen wollen und nicht sagen das sie sich damals richtig entschieden haben, und somit auch nicht wollen das ich zu ihnen gehöre sondern bis ans Ende meines Lebens nicht wissen werden wer sie sind und wie es mit ihnen gewesen wäre. Eindeutig zu viel 'hätte' und 'wenn' am frühen Morgen.
„Gina was sagst du denn dazu?" reißt mich meine Geschichtslehrerin aus den Gedanken, wobei ich sie nur verwirrt angucke. „Könnten Sie bitte die Frage wiederholen?" frage ich, wobei ich weiß, dass sie sauer ist, da ich ihrem Unterricht nicht aufmerksam folge. „Hättest du aufgepasst, wüsstest du es. Aber ich wiederhole es nochmal, da ich auf eine fachkundige Antwort hoffe. In welchem Jahr ist Marie Antoinette gestorben?"-„Marie Antoinette ist am 16. Oktober 1793 in Paris gestorben, da sie im Zuge der Französischen Revolution geköpft worden ist." Rattere ich herunter ohne wirklich nachdenken zu müssen. Sie nickt. „Nochmal Glück gehabt Miss Hastings. Ich erwarte jedoch für den Rest der Stunde, Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit!" Keift sie und wendet sich wieder dem Rest der Klasse zu.
So in etwa vergeht auch der Rest des Tages, bis mich das Schulklingeln nach der letzten Stunden gnädig erlöst. Ich springe sofort auf und schnappe mir meine Tasche. „Wo will denn unser Streber so schnell hin? Du hast noch nicht mal Freunde zu denen du so schnell wollen könntest. Willst du zu deiner Mami, oder was?" ruft mir Nick hinterher, wobei dessen Kumpels lachen. Ich ignoriere ihn was mir nach fast drei Jahren Erfahrung schon ziemlich leicht fiel. Wobei er ja schon irgendwie Recht hat, nur versteht mich dieser Vollidiot ungefähr so viel wie eine Telefonzelle.
Zu Hause angekommen erwartet mich ein noch viel größerer und vor allem viel wütender Vollidiot, alias mein Dad beziehungsweise Mike. „Was?!" schleudere ich ihm genervt entgegen, woraufhin er mich noch wütender anfunkelt und mich fragt „Wieso ruft mich das Jugendamt an und will mit dir sprechen?"-„Weil dich das nichts angeht, weil du nicht mein Vater bist!" zische ich und verschwinde mit dem Telefon in mein Zimmer. Mit vor Aufregung zitternden Fingern wähle ich die Nummer die Mrs. Maren mir gegeben hat. Nach dem Zweiten klingeln hebt sie ab. „Jugendamt Ipswich, Mrs. Maren, Adoptionsabteilung. Wie kann ich Ihnen helfen?"-„Hier ist Gina Hastings..." sie unterbricht mich mit ihrer typisch quietschigen Stimme. „Ach Gina, ich habe so Gute Nachrichten für dich, du wirst dich freuen. Deine Eltern wollen dich sehen." Ich kann es nicht glauben, sie wollen mich sehen. Ich weiß jedoch nicht, ob ich mich freuen oder Angst haben soll. Mrs. Maren setzt ohne auf mich einzugehen ihren Monolog fort. „Ich kann dir deren Nummer geben, damit du sie erreichen kann. Hast du etwas zum Schreiben?" Etwas überrumpelt setze ich mich an meinen Schreibtisch und nehme mir meinen Block und einen Kugelschreiber, währenddessen Antworte ich ihr mit einem „Ja." Sie sagt mir die Nummer an, wünscht mir viel Glück und legt dann schließlich auf. Ich bleibe erstmal auf meinem Schreibtischstuhl sitzen und versuche meine Gedanken zu ordnen. Sie wollen mich wirklich sehen. Ich fasse all meinen Mut zusammen und wähle die besagte Nummer und atme noch einmal tief durch bevor ich den grünen Hörer drücke und mir das Telefon an mein Ohr halte. Durch jedes weitere Klingeln, bei dem keiner abhebt, werde ich immer nervöser. Als ich schon alle Hoffnungen aufgegeben habe, meldet sich auf einmal eine leicht genervte weibliche Stimme. „Payne!" zischt sie ins Telefon. Ich bin mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie mich wirklich sehen wollen. Ganz leise, um die Stimme nicht noch mehr zu verärgern fing ich an zu sprechen. „Ich weiß nicht, ob sie informiert wurden, aber hier ist Gina." Mit einer deutlich weicheren Stimme antwortet sie mir. „Ach du bist es, ich bin so froh, endlich wieder deine Stimme zu hören. Wir freuen uns alle so dass du nach uns gesucht hast." Wer sind wir alle? Das ist mein erster Gedanke. Doch ich antworte mit etwas brüchiger Stimme. „Ich hätte euch doch gar nicht suchen müssen, wenn...." Doch ich wurde durch die Stimme unterbrochen. „Gina, ich weiß was du meinst, doch ich hoffe du bist nicht allzu wütend. Wir würden uns so sehr wünschen, dass du uns besuchen kommst, aber du musst dich jetzt auch nicht gezwungen fühlen zu kommen, wir verstehen es wenn du nicht herkommen willst, aber eins musst du mir glauben." Man hört sie schlucken. „Wir wollten dich nie weggeben, wir lieben dich!" Mittlerweile läuft mir auch schon eine Träne die Wange herunter. „ Ich würde euch sehr gerne besuchen kommen, aber ich habe eine Frage, wer sind wir alle?" Frage ich sie mit meiner leicht zitternden Stimme, dabei wische ich mir die Träne weg, was keinen Sinn hat, denn weitere fließen nach. „Wir alle sind dein Vater Geoff, deine zwei großen Schwestern Nicola und Ruth, dein Großer Bruder Liam und ich deine Mutter, Karen." Ich schluchze einmal kurz auf, ich kann es immer noch nicht glauben, ich rede gerade mit meiner Mom, meiner echten Mom und dazu habe noch zwei Schwestern und einen Bruder. „Gina-Maus bitte weine doch nicht, ich wollte nicht das du weinst." – „Wann kann ich denn am besten kommen? Ich möchte euch so gern kennenlernen." Ich glaube meine Mom an der anderen Seite kurz schluchzen zu hören, aber wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein. „Du kannst immer kommen wann du willst. Du bist hier immer willkommen. Wie wäre es wenn du erstmal für ein Wochenende kommen würdest?" – „Nichts lieber als das. Wäre es denn okay wenn ich morgen schon kommen würde, ich möchte einfach nur so schnell wie möglich zu euch." Das ganze wird von einem Schluchzen meinerseits noch abgerundet. „Natürlich kannst du morgen schon kommen, von wo würdest du denn kommen?"-„von Ipswish, ich weiß nicht, ob das dir etwas sagt aber es ist an der östlichen Küste. Und ihr wohnt in Wolverhampton, oder?" Frage ich sie. „Ja wohnen wir, aber nicht alle. Liam ist mit seinen besten Freunden nach London gezogen, aber du kannst ihn trotzdem auch besuchen gehen." – „Okay, kannst du mir dann eure Adresse geben?" frage ich etwas schüchtern. Sie antwortet. „Wir wohnen in der 17. Park Avenue in Wolverhampton, ich würde dir empfehlen mit dem Zug zu kommen, von dort kannst du dann einfach ein Taxi nehmen, ach nein, Nicola kann dich auch einfach vom Bahnhof abholen, dann lernst du sie gleich kennen. Ruf einfach an wenn du da bist. Ich freue mich schon so sehr auf dich, bis morgen."-„Bis morgen, Mom?" Irgendwie fühlt es sich bei ihr normaler an als es sich bei "Mom" je angefühlt hat. Sie klingt gerührt als sie zum Abschied sagt. „Wir sehen uns morgen, Süße." Und wir dann schließlich auflegen.
Ohne das Zimmer nochmal zu verlassen, mache ich mich fürs Bett fertig und falle in einen erholsamen Schlaf.
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Irresistible
FanfictionIn schweren Situationen stehen uns Freunde bei. Gina jedoch nicht. Sie ist in ihrer Klasse in etwa so beliebt, wie eine Kellerassel. Dazu kommt, dass sie erfahren muss, dass sie im Alter von drei Jahren adoptiert wurde und eigentlich eine Schwester...