Kapitel 6

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Wir saßen zu sechst an unserem Stammtisch -ich spreche von Tess, Marie, den drei Jungs und mir- und unterhielten uns über alles Mögliche. Eigentlich mochte ich Alex und Tom inzwischen recht gerne. Nur Luis' Verhalten ärgerte mich. Er verhielt sich immer so, als ob er was besseres wäre und wenn er mit mir sprach, war es herablassend. Alex hatte vorgeschlagen zusammen ein 'Kennenlernspiel' zu spielen, das ungefähr so ging: Der Reihe nach war jeder dran und durfte jemandem aus dem Kreis eine Frage stellen. Gerade fragte Alex Marie, was ihre Lieblingsunterwäsche war. Diese lief knallrot an und beschrieb, dass sie grau und mit Spitze war. Tess rief begeistert:

"Hey! Das ist ja die, die ich dir zu Weihnachten geschenkt habe! Ich wusste garnicht, dass du die so gerne magst!"

Dann fragte sie Luis:

"Wann hast du zuletzt mit deiner Mutter gekuschelt?" Doch anstatt die Frage zu beantworten sprang Luis auf und ging.

"Ähm... So reagiert er immer wenn man ihn auf seine Familie anspricht... Ist nicht deine Schuld...",

sagte Tom zur etwas verdutzten Tess. Aber weder er noch Alex machten Anstalten Luis hinterherzugehen, um zu sehen, ob es ihm gut ging. Ich mochte Luis zwar eigentlich nicht sehr, aber ich wollte auch nicht, dass es ihm schlecht ging, also stand ich mit der Entschuldigung auf die Toilette zu müssen auf und ging ihm nach. Zuerst wusste ich nicht sicher, wo ich ihn suchen sollte, aber dann fiel mir ein, dass er ja rauchte. Mir war aufgefallen, dass Menschen, die von Zigaretten abhängig waren, wenn sie etwas bedrückte oder wenn sie vor etwas fliehen wollten für gewöhnlich rauchen gingen. Also marschierte ich kurzerhand zum Parkplatz, wo Internatsschüler ihre Autos abstellten, wenn sie sich im Internat aufhielten, denn meistens rauchten die drei dort. Und meine Vermutung bestätigte sich. Luis stand mit dem Rücken zu mir am Parkplatz und rauchte.

"Hey, ist alles ok?", fragte ich, während ich langsam zu ihm ging. Luis bekam aus Schreck den Rauch in die falsche Röhre und fing heftig an zu husten.

"Shit es tut mir so leid! Ich wollte dich nicht erschrecken!", rief ich und klopfte ihm hilflos auf den Rücken, wie ich es bei anderen Menschen schon gesehen hatte.

"Verdammt Alice! Was machst du für einen Scheiß? Was willst du überhaupt?", fluchte Luis, als er sich endlich von seinem Husten erholt hatte. Mein Klopfen hatte aber scheinbar relativ wenig dazu beigetragen.

"Es tut mir leid, dass mich interessiert hat, wie es dir geht! Du musst mich ja nicht gleich so anfahren, du Idiot!", schimpfte ich zurück.

"Ach wird das Prinzesschen etwa frech? Kümmer' dich um deinen eigenen Kram und lass mich in Ruhe! Ich brauch deine Hilfe nicht!", fuhr er mich an.

"Das ist gut, weil so wie du dich aufführst bekommst du sie eh nicht! Was soll das eigentlich?", gab ich frustriert zurück.

"Ach hau doch ab so wie alle anderen!",

schrie er mich jetzt fast an. Das verschlug mir die Sprache. Ich drehte mich um und lief zurück ins Haus. Doch in den Speisesaal wollte ich nichtmehr gehen, denn ich hatte sowieso keinen Hunger und die anderen wollte ich jetzt auch nicht unbedingt sehen. Also beschloss ich schon ins Zimmer zu gehen und mich Bettfertig zu machen. Dieser Luis konnte mir gestohlen bleiben. Ich hatte versucht nett zu sein und er hatte mich angeschrien. Das sollte mir mal jemand erklären. Frustriert sank ich in mein Bett und schlief schnell ein. Nur war mein Traum nicht besser als die Realität.

Ich träumte, dass ich vor etwas davonlaufen wollte, ohne mich von der Stelle bewegen zu können und als ich meinen Kopf drehte um zu sehen, wer oder was mich verfolgte, sah ich eine schon fast vollständig verweste Leiche mit zwei Köpfen. Der erste war der meiner Leiblichen Mutter und der zweite gehörte meiner Adoptivmutter. Ich zuckte zusammen doch als ich meinen Kopf wieder zurückdrehen wollte, stolperte ich und fiel in einen endlosen Abgrund.

Schweißnass und vor Angst zitternd wachte ich auf und bemerkte, dass ich am Boden lag. Ich war wohl wirklich gefallen. Langsam stand ich auf und ging zum Fenster. Warum hatte ich das geträumt? Ich hatte doch überhaupt nicht an die zwei Frauen gedacht, die ich beide als 'Mutter' bezeichnen konnte, aber nicht wollte! Tess und Marie schliefen beide und da ich sie nicht aufwecken wollte aber auch nicht wieder ins Bett gehen konnte, schnappte ich mir eine Weste und verließ das Zimmer. Langsam stieg ich die Haupttreppe hinunter und auf den Eingang zu. Bevor ich diesen erreichte bog ich aber in einen Dunkeln Flur ab und ging ein weiteres Stück, bis ich an die kleine Tür kam, die in den Keller führte. Ich trat durch, ließ sie aber hinter mir einen Spaltbreit offen und ging eine weitere schmale Treppe hinunter. Am Ende der Stiegen schlich ich noch eine Zeit lang geradeaus, um dann scharf nach links abzubiegen und die kleine Türe, die man kaum sah, wenn man nicht von ihrer Existenz wusste, zu öffnen und ins freie zu schlüpfen. Als ich noch ein kleines Stück durch den Wald, der sich hinter dem Internat befand, gegangen war, kam ich endlich auf meiner kleinen Lichtung an. Dieser Platz war genauso weit vom Haus meiner Adoptiveltern entfernt wie vom Internat, also kam ich immer hierhin, wenn es mir nicht gut ging. Egal ob ich in ihrem Haus oder im Internat war. Als ich mich endlich etwas beruhigt hatte und wieder normal atmen konnte, ging ich zurück zum Internat, da ich langsam doch nochmal müde wurde.

Got your heart,  princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt