Als ich den Raum betrat, in dem ich Nachsitzen musste, hoffte ich immer noch, dass wir eine gnädige Aufsichtsperson hatten. Als mein Blick daher auf Mr Savely fiel, der friedlich schnarchend in der Klasse saß, die Beine überkreuzt und fein säuberlich auf dem Tisch platziert, atmete ich erleichtert auf. Ich war mir sicher, dass er uns keine extra Aufgaben geben würde und wir auch dem Putzpersonal nicht helfen mussten. Kurz überlegte ich, ob ich ihn aufwecken sollte, um ihn bestätigen zu lassen, dass ich da war und beschloss dann, dass ich das tun sollte. Gerade stand ich etwas unschlüssig vor seinem Tisch, da ich nicht wusste, wie ich ihn aufwecken sollte, als Luis den Raum betrat. Als er sah, was ich gerade tun wollte, schüttelte er heftig den Kopf, um mir zu symbolisieren, dass ich es nicht machen sollte. Ich hielt inne und sah ihn fragend an.
"Nicht aufwecken! Das ist wirklich das einzige, was du nicht tun solltest! Sein Schlaf ist ihm heilig. Vertrau mir ich kenn' ihn.",
flüsterte er laut genug, dass ich ihn von der anderen Seite des Raumes noch hören konnte aber so leise, dass es noch als Flüstern durchgehen konnte. Das warf einige Fragen auf. Zum Beispiel warum ich den Lehrer nicht aufwecken sollte. Oder woher Luis Mr Savely und seine Schlafgewohnheiten kannte? Ok das war eine dumme Frage -Luis war offensichtlich nicht zum ersten Mal beim Nachsitzen. Was hatte er vor? Schlief Mr Savely immer während er eigentlich Schüler beaufsichtigen musste? Warum war Luis überhaupt da, wenn er wusste, dass die Aufsichtsperson schlafen würde? Oder wusste er es nicht? Waren wir die einzigen, die heute Nachsitzen mussten oder waren die anderen auch einfach wieder gegangen? Ich fuhr fort Luis fragend anzusehen, da ich nicht sicher war, wo ich anfangen sollte oder ob ich mich wieder stoppen konnte, wenn ich einmal angefangen hatte Fragen zu stellen. Außerdem wusste ich nicht, wie tief Mr Savely schlief. Luis rollte nur mit den Augen ohne eine Einzige meiner Fragen zu beantworten. Das wäre ihm auch schwer gefallen, da ich ja keine einzige von ihnen ausgesprochen hatte. Stattdessen schlenderte er langsam auf mich zu, bis er mir direkt gegenüber stand. Sein Atem streifte mein Gesicht und blies einige Haare, die mir lose ins Gesicht hingen, da sie sich aus meiner Frisur gelöst hatten, zur Seite. Ich war sehr versucht einfach einige Schritte nach hinten zu machen und seiner Nähe so auszuweichen, doch ich riss mich zusammen und blieb an meinem Platz, da ich weder schwach wirken, noch ihm diesen Sieg über mich eingestehen wollte. Stehen zu bleiben kostete mich zwar einige Überwindung, denn Luis schien eine seltsame Anziehungskraft auf mich zu haben - auch wenn ich eigentlich zornig auf ihn war- und ich wollte dieser so schnell wie möglich entkommen, aber ich beschloss, dass es das Wert war. Noch immer sagte er nichts und ich wusste nicht, ob er mir den Kampf, der in mir tobte, ansehen konnte, doch er wirkte sehr amüsiert. Böse sah ich ihn an -nicht zuletzt, da ich weder wollte, dass ihm auffiel wie mein Körper auf seine Nähe reagierte, noch wie unsicher ich eigentlich war. Er starrte mir einfach in die Augen und wartete bis ich aufgab, doch diesen Gefallen würde ich ihm nicht tun. Wenn er hoffte, dass ich aufgeben und zuerst wegsehen würde, nur weil er mich ein bisschen anstarrte -mit seinen wunderschönen türkisblauen Augen, in denen ich mal wieder zu versinken drohte-
Konzentrier' dich Alice! Wenn du nicht möchtest, dass er so eine Macht über dich hat, darfst du sie ihm einfach nicht zugestehen!
Also: wenn er hoffte, dass ich so schnell aufgeben würde, nur weil er mich ein bisschen anstarrte, konnte er lange warten. Das schien auch er nach ein paar Minuten des Starrens einzusehen, da er:
"Eins muss man dir lassen Ally -belly! Das war länger als die meisten es ausgehalten haben...",
sagte und dann nach kurzem überlegen:
"Eigentlich länger als alle... Jede Andere hätte wohl schon nach ein paar Sekunden aufgegeben und angefangen mich zu küssen...",
hinzufügte. Während dem Reden hatte ein verschmitztes und doch kindisches Lächeln seine Züge übernommen, ein verspieltes Funkeln lag in seinen Augen und seine Lippen waren meinen noch näher gekommen. Meine grünbraunen Augen verließen seine unglaublich blauen und wanderten zu seinen vollen Lippen, die keine fünf Zentimeter von meinen entfernt waren. Das Atem fiel mir schwer und ich musste mich sehr anstrengen einen klaren Gedanken zu fassen. Doch als es mir endlich gelang, sah ich süß lächelnd wieder zu seinen Augen hinauf und flüsterte leise, mit meiner Hand erst seinen Arm hinauf und dann langsam über seine harte, durchtrainierte Brust streichelnd:
"Ich bin eben nicht wie jede Andere..."
in sein Ohr. Ich sah und spürte genau, welchen Effekt ich auf ihn hatte und es machte mir Spaß, dass sein Spiel nicht nur in eine Richtung funktionierte. Ich machte einen Schritt zurück, um etwas Abstand zwischen uns zu bringen und fragte dann, fröhlich und unbeschwert:
"Also, warum soll ich ihn nicht aufwecken?"
Luis fing sich schneller wieder als erwartet und antwortete, leichtfertig mit den Schultern zuckend:
"Das ist eine ungeschriebene Regel. Solange wir ihn nicht aufwecken, ist es ihm egal, wo wir sind oder was wir tun. Er verpetzt uns nicht wenn wir ihn nicht verpetzten."
Ich nickte kurz, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte und drehte mich dann am Absatz um, um mich auf den Weg in mein Zimmer zu machen. Ich hatte allerdings noch keine zwei Schritte gemacht, da zog mich Luis an der Hüfte zurück und sagte leise, seine Stimme klang unglaublich sexy:
"Vorsicht, Prinzessin. Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich"
Die letzten Worte flüsterte er schon fast und berührte dann ganz leicht mit seinen Lippen meinen Hals. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter und ich wusste, dass Luis ihn bemerkt hatte, denn er hatte wieder sein siegessicheres Grinsen im Gesicht. Er zwinkerte mir noch ein letztes Mal zu und ging dann ohne sich noch einmal umzudrehen an mir vorbei und den Flur hinunter. Das war wohl auch gut so, denn ein Comeback hatte ich nicht parat. Eines war mir klar: Was auch immer wir hier für ein Spiel spielten -er würde es mir nicht einfach machen zu gewinnen.
***
"Er hat was?!",
fragte Tess geschockt, als ich Marie und ihr von meinem seltsamen Erlebnis mit Luis erzählte.
"Du hast mich schon gehört!",
antwortete ich erschöpft auf ihre Frage. Eigentlich wollte ich nicht wirklich darüber reden und es war mir ziemlich peinlich, den beiden jetzt davon zu erzählen, aber ich fand, dass sie es als meine Freundinnen wirklich verdienten, alles, was vorgefallen war zu wissen. Sie hatten sich mein Vertrauen mühsam erkämpft und ich fand, dass man Freundinnen alles erzählen können sollte. Ich wusste dass ich den beiden alles anvertrauen konnte und hätte ihnen auch ohne mit der Wimper zu zucken mein Leben anvertraut. Das hieß aber nicht, dass es einfach war, über Luis zu reden. Wir saßen gerade in unserem Zimmer und machten uns für die 'Party', auf die wir eingeladen waren, fertig. Nach dem, was heute Nachmittag zwischen Luis und mir vorgefallen war, wollte ich dort zwar noch weniger hin, aber Tess und Marie bestanden darauf, dass wir trotzdem hingingen -nicht zuletzt um Luis zu zeigen 'wie wenig mich unsere Konversation beeindruckt hatte', wie Marie es ausdrückte. Ich überlegte, ob ich nicht so tun konnte, als wäre ich krank, kam aber zu dem Schluss, dass Marie und Tess mir sofort auf die Schliche kommen würden. Seufzend zog ich das Kleid an, das Tess für mich rausgelegt hatte und schminkte mich sogar ein bisschen. Es war mir aber eigentlich vollkommen egal, wie ich aussah und ich zögerte nicht, auch Marie und Tess zu zeigen, wie ich von alledem dachte, doch das schien die beiden überhaupt nicht verschrecken zu können.
"Alice! Das ist doch viiiiiiel zu wenig!!! Willst du, dass Luis sich in dich verliebt oder willst du, dass er sich in dich verliebt?!",
rief Marie gespielt frustriert. Geschockt sah ich sie an.
"Will ich.... Was?!,
rief ich überrascht. Ich konnte nicht glauben, welche Schlüsse sie aus meiner Geschichte gezogen hatte! Tess warf Marie einen bösen und skeptischen Blick zu.
"Öhm... ach, nichts! Vergiss es einfach...",
sagte Marie schnell, nahm mir aber trotzdem die Schminke aus der Hand und begann mein Gesicht anzumalen. Als sie endlich fertig und zufrieden mit ihrem Werk war, warf sie alles einfach achtlos in eine Ecke des Zimmers und sagte überschwänglich wie immer:
"Gehen wir! Eine Party wartet auf uns -und Partys lässt man nicht warten!"
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Got your heart, princess
RomantizmAlice Graymark ist auf einem strengen Privatinternat, hat Eltern, die sich nie richtig um sie kümmern und viele Menschen, die sie bewundern, aber wenige, die sie kennen. Sie öffnet sich nur wenigen Menschen, denn damit hat sie nicht so gute Erfahrun...