Du hast Dich für einen Prompt der Writers Challenge entschieden: Den Künstler, dessen Figuren nachts lebendig werden.
Dafür schon einmal ein Lob, dass Du Dich an diese Herausforderung gewagt hast, das war sicher nicht ganz einfach. :)
Deine Grundidee vom einsamen, etwas verschrobenen Töpfer, der durch seine Figuren ins Leben findet, hat mir an sich gefallen. Positiv möchte ich außerdem hervorheben, dass Deine Geschichte nahezu fehlerfrei ist, selbst Kommata werden fast immer richtig platziert. :)
Handwerklich sehe ich allerdings leider ein paar Baustellen.
Deine Geschichte beginnt mit einem Prolog, einer Art Gedicht. Auch nach dem Lesen der vollständigen Geschichte muss ich allerdings sagen, dass sich für mich der Sinn dieses Prologs nicht ganz erschlossen hat. Ich verstehe zwar, dass er das „Erwachen" des Protagonisten andeutet, sehe darin aber dennoch keinen wirklichen Mehrwert für Deine Geschichte und würde deswegen empfehlen, ihn zu streichen, da er Dir die Chance auf einen spannenden Einstieg verbaut.
Die eigentliche Kurzgeschichte beginnt damit, dass der Ich-Erzähler Raffael seine Lebensgeschichte erzählt.
Raffael berichtet von seiner Kindheit, seiner Leidenschaft fürs Töpfern und davon, dass er ansonsten keine wirklichen Interessen hegte, schlecht in der Schule und auch eher einsam war, was ihm zunächst jedoch nicht wirklich bewusst zu sein scheint.
Nach dem Beenden der Schule hält er sich die meiste Zeit in seinem Atelier im Keller auf, töpfert, und vermeidet menschliche Kontakte, so gut es geht. Arbeiten muss er offensichtlich nicht, da seine Familie vermögend ist.
Eines Tages besucht ihn seine Schwester Katja im Keller, und da er Platz braucht, schenkt er ihr sein Meisterstück, einen getöpferten Zauberer, und mehrere weitere Figuren. Nachdem sie wieder weg ist, wird er sich scheinbar zum ersten Mal seiner Einsamkeit bewusst.
Am nächsten Morgen, nach unruhigen Träumen, stellt er fest, dass seine verbliebenen Figuren anders angeordnet sind. Kurz darauf beginnen sie mit ihm zu sprechen und ihm Vorwürfe zu machen, weil er die anderen Figuren verschenkt hat - und nicht nur das: Auch Morddrohungen gegen die Schwester werden ausgesprochen.
Schließlich kann er sich nicht mehr gegen seine Schöpfung durchsetzen und ruft Katja an. Diese ist darüber erleichtert, da sie ebenfalls von den Figuren bedroht wird.
Gemeinsam mit seiner Familie findet er eine Lösung, mit der am Ende alle zufrieden sind. Raffael springt über seinen Schatten, erkennt, dass er das Leben an sich hat vorbeiziehen lassen, und öffnet sich für seine Familie und andere Menschen.
Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung sind, wie bereits erwähnt, im Großen und Ganzen einwandfrei. Ich habe nur wenige Fehler gefunden, weshalb ich Dir hier guten Gewissens die volle Punktzahl geben kann.
Abzug musste ich Dir bei der Wortwahl geben. Der Ton ist an vielen Stellen bemüht hochgestochen („meines achtzehnjährigen Daseins auf dieser Erde"), an anderen Stellen wiederum sehr umgangssprachlich, fast schon salopp („keine Ahnung, ob sie mich übers Ohr gehauen haben"), eine Mischung, die mich beim Lesen immer wieder irritiert hat und stolpern ließ. Es hat auch dafür gesorgt, dass in meinem Kopf keine richtigen Bilder entstehen konnten, weil einfach die nötige Konsistenz gefehlt hat. Teilweise werden Wörter auch falsch verwendet (z. B. sind „ergometrisch" und „ergonomisch" zwei unterschiedliche Dinge).
Ein paar spezielle rhetorische Mittel sind mir aufgefallen, es gab z. B. mal die ein oder andere (möglicherweise bewusst gewählte) Wiederholung oder rhetorische Frage (z. B. „Was hatte ich getan?"), außerdem scheinst Du eine Vorliebe für die Akkumulation zu haben. :) (Realistisch - irreal - fantasievoll - märchenhaft)

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Ideenzauber 2024 - Kritikbüchlein
KurzgeschichtenIn diesem Büchlein finden die Teilnehmer*innen des Ideenzauber-Wettbewerbs ihre Kritiken - anonym und jederzeit einsehbar