1 Celest

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Ich starrte aus dem Fenster des etwas muffeligen Taxis und blinzelte.

»Wow«, murmelte ich zu mir selbst und mein Blick flog über das noch entfernte Anwesen, auf dessen langer, beidseitig von abwechselnd gepflanzten Weiden- und Kirschbäumen gesäumter Einfahrt wir gerade entlangführen. Selbst heute, wo dicke, graue Wolkentürme am Himmel aufragten und baldigen Regen ankündigten, sah es wirklich romantisch aus. Fast schon idyllisch und definitiv sehr gemütlich.

Um die Strecke von dem unverschlossenen, eisernen Eingangstor bis zu dem Herrenhaus zu Fuß zurückzulegen, müsste man locker 15–20 Minuten einberechnen. Und mit ›laufen‹ meinte ich schnelles Gehen und nicht gemütliches Spazieren. Dennoch nahm ich mir vor, das definitiv mal zu tun. Vor allem, weil ich recht früh ein kleines Gebäude entdeckt hatte, das ich mir ansehen wollte. Man wusste nie, wo die wertvollsten Schätze lagerten.

Bei der alten Villa angekommen, stieg ich aus, nahm meine zwei kleinen Rollkoffer aus dem Kofferraum des Wagens und gab dem Taxifahrer sein Geld, ohne ihn wirklich anzusehen. Ich bedankte mich zwar schön brav, aber meine Aufmerksamkeit lag vollends auf dem Herrenhaus, das nun in aller Größe vor mir aufragte. Als das Auto wegfuhr, ging ich in Gedanken schon alle Daten durch, die ich auf dem Inlandsflug hierher auswendig gelernt hatte.

Gebaut wurde das Haus Mitte des 18. Jahrhunderts. Das genau Datum konnte nicht mehr nachgewiesen werden, weil ein Brand, recht früh nach der Fertigstellung, alle damaligen Dokumente vernichtet hatte. Selbst meine genaueren Forschungen und die wenigen Papiere, die der neue Besitzer mir gemailt hatten, brachten keine wirklichen Antworten. Den Kopf in den Nacken gelegt, sah ich die mannshohen Fenster an, die in weißen Rahmen in den hellen Stein der Fassade eingearbeitet waren. Dicke, dunkle, schwere Vorhänge versperrten mir den Blick in das Anwesen, doch ich wusste, dass es 45 dieser großen Fenster und 5 Kleine in den turmähnlichen Anbauten gab, die im 19. Jahrhundert als Erweiterung angebaut wurden. Kletterpflanzen rankten sich die Fassade hinauf und das Dach hat wohl auch schon bessere Tage gesehen.

Ein Lächeln zupfte an meinen Lippen. Ich liebte es jetzt schon. Nicht auszudenken, was dort in den 37 Zimmern für Schätze zu finden wären. Schätze, die ich bewerten, finanziell einschätzen, katalogisieren und nach Bedarf einpacken und verräumen dürfte. Bilder, Möbel, Schmuckstücke, Kleider und alles, was die verstorbene Hausherrin hinterlassen hatte, wartete darauf, von mir gesehen zu werden. Meine Fingerspitzen kribbelten allein bei den Gedanken daran. Als Historikerin hatte man nicht immer das Glück, einen solchen Auftrag zu bekommen, doch hier war ich.

»Ich Glückspilz«, lächelte ich und seufzte verträumt.

Tief ein und ausatmend, wandte ich mich einmal um, um die Grünanlage zu betrachten, der mehr ein Stadtpark glich, als dass, was man sich als Garten vorstellte. Kopfschüttelnd grinste ich das Grundstück an, das in erstaunlich gutem Zustand war. Wahrscheinlich kümmerten sich weiterhin diverse Gärtner um alles, denn da die Dame schon seit einigen Wochen verstorben war, müsste es eigentlich anders aussehen. Es gab kein Laub auf dem Boden und die Hecken und Busche waren sauber gestutzt. Blumenbeete standen wie Musterbeispiele da und kleine, bunte Blumen blühten darin und flatterten im stärker werdenden Wind.

Ich zog mein Smartphone, knipste aufgeregt ein paar Fotos und schickte sie sowohl meiner besten Freundin als auch Phillipe, meinem Verlobten. Ersterer sendete ich eine unzählige Menge Herzen und ein GIF, der ein aufgeregtes Kind zeigte. Meinem Verlobten hingegen schrieb ich:

ICH: ›hey, Phil, bin gut angekommen.‹

›wie schön ist es hier bitte?‹

›ich liebe dich.‹

Sobald ich es gesendet hatte, wurden die Harken blau und zeigten an, dass er es gelesen hatte. Aber ... nichts passierte. Wo eben noch gezeigt wurde, dass Phillipe online war, verschwand das Zeichen und er somit aus dem Chat. Phil ließ meine Nachrichten einfach unbeantwortet.

The Old Mansion {OC x OC }Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt