Die Angst vor dem Verlust

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Es war eine dieser stillen Nächte, in denen die Welt um das Haus herum zur Ruhe gekommen war, doch drinnen herrschte eine spürbare Anspannung.
Richard hatte den ganzen Tag über stiller gewirkt als sonst.
Die Fortschritte, die er in den letzten Wochen gemacht hatte, schienen plötzlich fern und bedeutungslos zu sein.
Paul hatte es bemerkt, aber er hatte beschlossen, Richard Raum zu geben, in der Hoffnung, dass er die richtigen Worte finden würde, wenn er bereit war, zu sprechen.

An diesem Abend, nachdem Emil und Sarah sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, saß Richard allein auf der Veranda, in Gedanken versunken.
Die Nachtluft war kühl, aber er schien die Kälte nicht zu spüren.
Er starrte in die Dunkelheit hinaus, als ob er nach etwas suchte, das ihm entglitten war.

Paul trat leise zu ihm, setzte sich auf den Stuhl neben ihn und wartete einen Moment.
Er wusste, dass Richard etwas auf dem Herzen hatte, etwas, das ihn quälte.

,,Richard", sagte Paul schließlich sanft.
,,Was geht dir durch den Kopf?"

Richard sagte eine Weile nichts, dann seufzte er tief, als ob die Worte ihm schwerfielen.
,,Ich habe Angst, Paul", flüsterte er schließlich.

Paul rückte näher zu ihm.
,,Wovor hast du Angst?"

Richard fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, seine Stimme war rau und erschöpft.
,,Ich habe Angst, den Kampf zu verlieren", sagte er, und seine Worte hingen wie ein schwerer Schleier in der Luft.
,,Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe. Dass ich euch alle enttäuschen werde, mich selbst enttäuschen werde."

Paul spürte, wie ihm ein Kloß im Hals aufstieg.
Er hatte immer gewusst, dass Richard diesen Kampf als einen unermesslich schweren empfand, aber es tat weh, ihn das so direkt aussprechen zu hören.
,,Du wirst uns niemals enttäuschen, Richard", sagte er leise.
,,Nicht, wenn du kämpfst. Nicht, wenn du dich bemühst, auch wenn es schwer ist."

Richard schüttelte den Kopf, und Paul sah die Tränen, die ihm über die Wangen liefen.
,,Aber was, wenn der Kampf zu groß ist? Was, wenn ich nicht stark genug bin? Ich wache jeden Morgen auf und es fühlt sich an, als ob alles noch schwerer geworden ist. Ich bin so müde, Paul. Ich weiß nicht, ob ich diesen Kampf gewinnen kann."

Paul konnte den Schmerz in Richards Stimme spüren, die Angst, die Verzweiflung, die all die kleinen Fortschritte in den Schatten stellte.
Er fühlte sich hilflos, weil er wusste, dass es keine einfachen Worte gab, um Richard von dieser Angst zu befreien.
Aber er konnte nicht zulassen, dass Richard sich von diesen Gedanken überwältigen ließ.

,,Richard, du musst nicht diesen Kampf allein kämpfen", sagte Paul fest, obwohl seine Stimme sanft blieb.
,,Wir sind alle hier, um dich zu unterstützen. Es ist keine Schwäche, Angst zu haben. Aber du darfst nicht zulassen, dass die Angst dich bestimmt."

Richard ließ den Kopf sinken, seine Schultern zitterten unter dem Gewicht seiner Gefühle.
,,Es fühlt sich an, als ob ich in einem tiefen Loch stecke, und egal, wie sehr ich versuche, herauszukommen, es wird immer tiefer. Ich weiß, dass ihr mich unterstützt, aber es gibt Momente, da fühle ich mich, als ob selbst das nicht genug ist."

Paul schluckte hart, kämpfte gegen seine eigenen Tränen an.
,,Ich weiß, dass es sich manchmal so anfühlt. Ich weiß, dass es Momente gibt, in denen du das Gefühl hast, dass nichts besser wird. Aber das ist die Depression, die dir diese Lügen erzählt. Du bist stärker, als du denkst, Richard. Du hast es bis hierher geschafft, und das bedeutet, dass du weitermachen kannst."

Richard wischte sich über das Gesicht, seine Atmung flach und unruhig.
,,Ich will stark sein, Paul. Aber was, wenn ich nicht genug Kraft habe? Was, wenn ich irgendwann aufgebe?"

Paul packte Richards Hand, hielt sie fest und sah ihm in die Augen.
,,Du wirst nicht aufgeben, Richard. Nicht, solange du uns hast. Wir sind in diesem Kampf alle zusammen. Und ja, es gibt Tage, an denen du vielleicht das Gefühl hast, aufzugeben. Aber das bedeutet nicht, dass du scheiterst. Es bedeutet, dass du kämpfst. Und manchmal ist Kämpfen einfach das Überleben eines weiteren Tages."

Richard schloss die Augen und atmete tief ein, als ob er versuchte, die Worte zu verstehen und in sich aufzunehmen.
,,Ich habe das Gefühl, dass ich dich und die Kinder so sehr belaste", sagte er leise.
,,Als ob ich euch mit meinem Schmerz runterziehe."

Paul schüttelte den Kopf.
,,Das tust du nicht. Was dich belastet, belastet uns, ja, aber nicht auf die Art, wie du denkst. Es zeigt uns, wie sehr du dich bemühst, wie sehr du willst, dass es besser wird. Wir sind nicht hier, um perfekt zu sein, Richard. Wir sind hier, um gemeinsam durch die schwierigen Zeiten zu gehen. Du hast uns durch so viele Dinge getragen, und jetzt sind wir hier, um dich zu tragen."

Es herrschte eine lange Stille zwischen ihnen, und Richard schien in Gedanken zu versinken.
Paul wusste, dass diese Angst tief in Richard verankert war, und dass es Zeit brauchen würde, sie zu überwinden.
Aber er wusste auch, dass es Hoffnung gab.
Solange Richard darüber sprach, solange er bereit war, sich seinen Gefühlen zu stellen, gab es immer einen Weg nach vorne.

,,Ich werde es versuchen", flüsterte Richard schließlich.
,,Ich werde nicht aufgeben. Aber ich habe immer noch Angst."

Paul zog ihn näher zu sich und hielt ihn fest, spürte die Wärme seines Körpers gegen seinen eigenen.
,,Angst zu haben ist in Ordnung, Richard. Es zeigt nur, dass dir das Leben noch wichtig ist. Aber du musst wissen, dass du diesen Kampf nicht allein kämpfen musst. Wir sind hier. Immer."

In dieser Umarmung, unter dem klaren Nachthimmel, fühlte Richard zum ersten Mal seit Langem eine Art von Frieden.
Es war kein vollständiger Sieg über seine Ängste, aber es war der Anfang.
Er wusste, dass die Tage vor ihm schwer sein würden, dass die Dunkelheit nicht so schnell weichen würde.
Aber er wusste auch, dass er nicht allein war.
Und vielleicht, dachte er, vielleicht reichte das aus, um weiterzukämpfen.

Paul hielt ihn noch eine Weile fest, beide schwiegen, aber ihre Herzen schlugen im Einklang.
Die Nacht war noch lang, doch irgendwo am Horizont, hinter der Dunkelheit, wartete der neue Morgen- ein weiterer Tag, den sie zusammen bewältigen würden.

,,Du bist nicht allein", flüsterte Paul erneut, als sie schließlich ins Haus zurückkehrten.
,,Und du wirst es schaffen, Richard. Schritt für Schritt."

Und mit diesen Worten, einer kleinen, aber wichtigen Erinnerung an das, was wirklich zählte, gingen sie gemeinsam in die Nacht, bereit, den nächsten Kampf zu bestehen- zusammen.

Harmonie Der Herzen (Paulchard Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt