Kapitel 6: Eine Einladung zum Abendessen

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Hermine fühlte sich in den letzten Tagen immer mehr von der Atmosphäre in Hogwarts überwältigt. Es war, als ob das Schloss selbst eine seltsame Energie ausstrahlte, die ihre Gedanken in eine Richtung lenkte, die sie nicht vollständig verstand. Die Begegnungen mit Professor Snape, die zu Beginn ihrer Rückkehr noch gewöhnlich und neutral schienen, waren plötzlich von einer Spannung durchzogen, die sie nicht ignorieren konnte. Es war nicht nur sein kaltes, unverwechselbares Auftreten, das sie in den Bann zog, sondern auch diese kleinen, fast imperceptiblen Momente, in denen er sie ansah. Es war, als ob er auf der Suche nach etwas war - vielleicht nach einer Reaktion, vielleicht nach einer Wahrheit, die sie noch nicht kannte. An diesem Morgen war Hermine besonders nachdenklich, als sie durch den Korridor auf dem Weg zu ihrer nächsten Stunde war. Die Worte von Snape aus der letzten Stunde hallten in ihrem Kopf nach: ,,Es gibt Dinge, die man nicht aus einem Buch lernen kann." ,,Was meint er damit?", fragte sie sich leise und ignorierte dabei die neugierigen Blicke ihrer Mitschüler. Sie wusste, dass sie nicht die Einzige war, die sich von den Gesprächen mit Snape beeinflussen ließ. Sogar Ginny hatte bemerkt, dass etwas anders war. ,,Hermine, du siehst aus, als ob du den ganzen Tag in Gedanken bist. Was ist los?" Ginny sprach sie an, als sie sich gemeinsam durch den Gang begaben. Hermine bemerkte, dass ihre Freundin sie besorgt musterte, doch sie konnte ihr nicht alles erklären. ,,Es ist nichts, Ginny", sagte Hermine abwesend und versuchte, sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. ,,Ich denke nur über die Unterrichtsstunden nach." ,,Hm, natürlich", antwortete Ginny mit einem skeptischen Lächeln. ,,Aber ich weiß, dass du viel mehr im Kopf hast. Es hat etwas mit Snape zu tun, oder?" Hermine zuckte zusammen, als sie merkte, dass Ginny die durchschaut hatte. ,,Es ist kompliziert", antwortete sie leise und senkte den Blick. ,,Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Irgendetwas ist anders zwischen uns." Ginny schien einen Moment lang nachzudenken. ,,Anders?" fragte sie schließlich. ,,Du redest doch nicht etwa von...Gefühlen, oder?" Hermine fühlte ein unangenehmes Ziehen in ihrer Brust. ,,Das ist nicht möglich", murmelte sie, mehr zu sich als zu Ginny. ,,Er ist mein Lehrer und er ist... er ist Snape." ,,Das sagt nichts", sagte Ginny und drehte sich zu ihr. ,,Aber pass auf dich auf, Hermine. Es ist nicht leicht, bei ihm zu wissen, was er wirklich will. Und du solltest dich nicht von irgendetwas täuschen lassen." ,,Ich werde vorsichtig sein", versprach Hermine, auch wenn sie wusste, dass es schwieriger war, als es schien.

Die folgenden Tage vergingen und die Begegnungen mit Snape blieben ebenso rätselhaft wie zuvor. Doch an einem Abend, nach dem Abendessen, als der Gemeinschaftsraum voll von Schülern war, überraschte er sie mit einer Einladung, die Hermine so nicht erwartet hatte. ,,Miss Granger." Hermine drehte sich um, als sie den vertrauten, tiefen Klang seiner Stimme hörte. Snape stand an der Tür, sein Gesicht war in den Schatten des Korridors gehüllt und seine schwarze Robe schimmerte im schwachen Licht. ,,Professor Snape", antwortete sie, ihre Stimme war ein wenig nervös. ,,Kann ich Ihnen helfen?" ,,Ich hoffe es", sagte Snape mit einem sarkastischen Lächeln, das jedoch keine wirkliche Freude vermittelte. ,,Ich möchte Sie zu einem Abendessen einladen. Ein kleines Treffen, nur wir beide." Hermine blinzelte überrascht. ,,Ein Abendessen?" wiederholte sie, unsicher, was sie davon halten sollte. ,,Ja", sagte Snape mit einer Spur von Geduld in seiner Stimme, als ob er sich seiner Wirkung auf sie bewusst war. ,,Ich denke, es gibt noch einiges, das wir besprechen müssen." ,,Ich verstehe", sagte Hermine, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie wirklich verstand. Warum sollte er ausgerechnet sie einladen? Sollte sie sich darüber freuen oder lieber misstrauisch sein? ,,Es wird in der Nähe des alten Saals sein", fuhr Snape fort. ,,Um neun. Sehen wir uns dort." Bevor Hermine eine Antwort geben konnte, war er schon verschwunden.

Hermine ging an diesem Abend allein durch die Korridore. Ihr Herz pochte schnell als gewöhnlich und die Gedanken in ihrem Kopf wirbelten durcheinander. Was sollte sie tun? Es war kein offizielles Ereignis, kein Treffen im Rahmen des Unterrichts. Warum wollte Snape sie wirklich sehen? Als sie den alten Saal betrat, war der Raum von gedämpftem Kerzenlicht erleuchtet. Snape stand bereits am Tisch und auf ihm lag ein einfaches Abendessen, das im Vergleich zu den üppigen Mahlzeiten in der Großen Halle bescheiden wirkte. ,,Setze Sie sich, Miss Granger", sagte Snape, als er sie bemerkte. ,,Ich hoffe, Sie haben keine anderen Verpflichtungen." Hermine setzte sich langsam, ihre Hände nervös im Schoß faltend. ,,Ich habe keine", antwortete sie schließlich. ,,Warum wollten Sie mich sehen, Professor?" Snape schaute sie kurz an, dann wandte er sich ab und begann, sich einen Teller zu füllen. ,,Es gibt Dinge, die Sie wissen sollten", sagte er nach einer Weile. ,,Manchmal erfordert es mehr als Unterricht, um die Wahrheit zu verstehen." Hermine starrte ihn an. ,,Die Wahrheit über was?" ,,Über alles", sagte er mit einem leichten Lächeln, das keine Wärme ausstrahlte. ,,Über das, was Sie lernen müssen. Über Dinge, die nicht in Bücher geschrieben stehen." Seine Worte machten es noch schwieriger, ihn zu verstehen. Hermine wusste, dass er sie zu einer wichtigen Erkenntnis führen wollte, aber sie konnte nicht genau sagen, worum es ging. Stattdessen starrte sie auf ihren Teller und fragte sich, ob sie diesen Abend als Chance oder als Falle sehen sollte. Sie wusste, dass sie tief in diesem Spiel war - ein Spiel, dessen Regeln sie noch nicht verstand, aber von dem sie wusste, dass sie es nicht alleine gewinnen konnte.

Die restliche Mahlzeit verlief in einer gespannten Stille. Keiner von ihnen sprach viel, doch die Fragen in Hermines Kopf häuften sich. Was erwartete Snape wirklich von ihr und warum schien er ihr so viel Aufmerksamkeit zu schenken? Als sie später den Saal verließ, blickte sie auf den dunklen Korridor vor sich. Ihre Gedanken waren noch immer von den Worten des Professors erfüllt. Sie hatte das Gefühl, dass dieses Abendessen nur der Anfang von etwas war, das sie nicht kontrollieren konnte. Und doch konnte sie sich nicht dazu bringen, sich zu distanzieren - etwas an diesem Spiel zog sie magisch an. Hermine wusste, dass sie noch viele Antworten finden musste. Doch je mehr sie versuchte, sich zu entscheiden, desto mehr wurde sie von den Schatten der Vergangenheit und den unsichtbaren Fäden, die Snape um sie herum zog, verstrickt.

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