Hermine erwachte früh, der sanfte Klang der Eule, die in der Nähe der Fensterbank einflog, weckte sie aus einem unruhigen Schlaf. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihren Geist verwirrt und der Morgen war der einzige Moment, an dem sie ihre Gedanken wenigstens halbwegs ordnen konnte. Schnell sprang sie aus dem Bett, zog sich an und schlich hinaus, um sich in der Bibliothek auf den Tag vorzubereiten. Ginny schlief noch tief, ihr Atem ruhig und gleichmäßig. Hermine konnte nicht anders, als ihre Freundin für ihre Fähigkeit zu bewundern, so gut zu schlafen, während ihre eigenen Gedanken wie ein wirbelnder Sturm in ihrem Kopf kreisten.
Die Bibliothek war ruhig und fast leer, als Hermine eintrat. Nur eine Handvoll Schüler hatte sich früh auf den Weg gemacht und die meisten davon waren mit ihren Aufgaben beschäftigt. Sie fand schnell ihren gewohnten Platz am Tisch in der hinteren Ecke, der von sanftem Licht durchflutet wurde. Doch heute war sie nicht wie üblich fokussiert auf ihre Studien. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu den letzten Begegnungen zurück - zu Professor Snape und zu Malfoy. Was hatte Snape gemeint, als er sagte, dass Wissen eine Last sei? Und was wollte Malfoy von ihr? Sie hatte das Gefühl, dass sie bei beide mehr sah, als sie zugeben wollten. Aber was genau, wusste sie noch nicht. Hermine versuchte sich zu sammeln und nahm ihr Zaubertrankbuch zur Hand. Es war ein Trank, der in der letzten Stunde behandelt worden war und sie wollte sicherstellen, dass sie alle Details richtig verstand. Doch bevor sie weiterarbeiten konnte, hörte sie Schritte hinter sich. ,,Miss Granger." Die Stimme war tief und kalt. Hermine drehte sich schnell um und begegnete den schwarzen Augen von Professor Snape, der sich scheinbar ohne Eile zu ihrem Tisch begeben hatte. ,,Professor", antwortete sie, überrascht, aber nicht ganz unvorbereitet. Snape setzte sich ohne zu fragen auf den Stuhl gegenüber von ihr, sein Umhang wirbelte um seine Beine. Ein Moment der Stille trat ein und Hermine wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ungewöhnlich, dass er sich in einem so entspannten Zustand zeigte, ohne irgendeinen offensichtlichen Grund dafür. Normalerweise war er entweder schroff oder wortkarg, aber jetzt wirkte er nachdenklich. ,,Haben Sie Ihre Hausaufgaben schon erledigt?", fragte Snape nach einer Weile und seine Stimme war zwar scharf, aber auch mit einem Hauch von Neugierde. ,,Ja, Professor", sagte Hermine und nickte. ,,Ich habe mich mit dem letzten Trank beschäftigt, den wir behandelt haben." Snape nickte und betrachtete sie aufmerksam. ,,Ich hoffe, dass Sie Ihre Schlussfolgerung gründlich gezogen haben. Die oberflächliche Analyse reicht bei einem Trank wie diesem nicht aus." ,,Ich habe alle Zutaten und deren Wirkung detailliert untersucht", sagte Hermine mit einem Anflug von Stolz, aber sie hielt sich zurück. Es war klar, dass Snape nach mehr verlangte als nur eine einfache Antwort. Er musterte sie einen Moment lang, bevor er das Thema wechselte. ,,Miss Granger", begann er, ,,manchmal ist es besser, sich weniger auf Bücher zu verlassen und mehr auf das zu hören, was um einen herum passiert." Hermine war für einen Moment verwirrt. ,,Was meinen Sie, Professor?" ,,Ich meine", fuhr Snape fort, ,,dass Sie zu oft glauben, dass Wissen allein ausreicht, um die Welt zu verstehen. Es gibt Dinge, die man nicht aus einem Buch lernen kann." Hermine öffnete den Mund, um zu antworten, doch dann fiel ihr auf, dass Snape ihr nicht wirklich eine Frage gestellt hatte. Stattdessen war es mehr eine Bemerkung - eine, die so viel mehr implizierte, als er zugeben wollte. ,,Ich verstehe", sagte sie schließlich, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit erzählte. Snape war undurchschaubar, wie immer. Bevor sie weiter drüber nachdenken konnte, gab Snape ihr ein knappes Nicken und stand auf. ,,Lassen Sie sich nicht ablenken, Miss Granger. Sie haben viel zu tun." ,,Ja Professor", sagte sie, obwohl ihre Gedanken noch immer bei seinen Worten und seiner seltsamen Bemerkung verweilten.
Der Unterricht am Nachmittag war kaum weniger herausfordernd. In Verwandlung hatte Professor McGonagall eine komplexe Zauberformel eingeführt, die Hermine sowohl faszinierte als auch frustrierte. Ihre Gedanken sprangen immer wieder zu Snape zurück, dessen Worte ihr im Kopf schwirrten. Was hatte er gemeint? War es eine Warnung? Ein Hinweis? Doch als der Unterricht vorbei war, stand sie wie immer auf und machte sich auf den Weg zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum. Die Gedanken a Snape waren noch immer nicht ganz verschwunden, als sie plötzlich eine bekannte Stimme hinter sich hörte. ,,Granger." Sie drehte sich u und sah Malfoy, der sich in einer der Gänge gegen die Wand lehnte, die Hände in den Taschen seiner schwarzen Roben. Sein Gesicht war nicht mehr so herablassend wie früher, aber er sah trotzdem aus, als ob er etwas sagen wollte, doch sich nicht traute. ,,Was willst du?", fragte Hermine mit leichtem Ärger, obwohl sie wusste, dass er in letzter Zeit nicht mehr so viel Anlass zur Sorge gab. ,,Du bist immer so direkt", sagte Malfoy, seine Stimme weich, aber dennoch von einem Hauch von Ironie durchzogen. ,,Ich wollte nur wissen, wie du dich fühlst. Du siehst aus, als ob du ein Geheimnis trägst." Hermine starrte ihn an. ,,Ich trage kein Geheimnis, Malfoy." ,,Oh, ich weiß", sagte er und seine Lippen zogen sich zu einem dünnen Lächeln. ,,Aber du bist immer so...gut darin, die Geheimnisse anderer zu entschlüsseln. Warum versuchst du nicht mal, ein wenig in deinen eigenen Kopf zu sehen?" Hermine hatte das Gefühl, dass er mit seinen Worten etwas mehr meinte, als er preisgab. Doch bevor sie etwas entgegnen konnte, drehte er sich um und verschwand in den dunklen Gängen von Hogwarts.
Hermine stand noch einen Moment lang da, ihren Gedanken nachhängend. Was wollte er von ihr? Und warum kam er immer wieder in ihre Nähe? Mit einem Seufzen wandte sie sich schließlich ab und ging den Korridor entlang. Ihre Fragen waren noch lange nicht beantwortet und sie wusste, dass sie noch viel mehr herausfinden musste. Doch zu welchem Preis? War sie wirklich bereit, all das herauszufinden? Als sie sich ihrem Schlafsaal näherte, fühlte sie die Schwere der Fragen, die sie im Kopf trug. Doch in diesem Moment wusste sie nur eines: Das Spiel hatte begonnen. Und sie war mittendrin.
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Gefährliche Nähe
FanfictionNach dem Ende des Krieges kehrte Hermine Granger nach Hogwarts zurück, um ihre Ausbildung abzuschließen. Doch der alte Zaubererkrieg hatte tiefe Spuren hinterlassen und Hogwarts war nicht mehr der Ort, den sie einst gekannt hatte. Professor Severus...