Hermine erwachte früh, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster des Gryffindor-Turms fielen. Der Schlaf hatte ihr wenig Erholung gebracht, ihre Gedanken waren unruhig durch die Ereignisse des gestrigen Tages. Snapes Kalte Bemerkungen und Malfoys verschlossener Blick lasteten schwer auf ihr. Doch sie hatte keine Zeit für Selbstmitleid - der Stundenplan war dich und sie hatte beschlossen, ihr Bestes zu geben, unabhängig davon, welche Herausforderungen auf sie warteten. Ginny lag noch tief schlafend in ihrem Bett, ein Arm hing lässig über die Bettkante. Hermine lächelte kurz, bevor sie leise aufstand und sich anzog. Sie war froh, Ginny an ihrer Seite zu haben - sie brachte eine Leichtigkeit in Hermines Leben, die sie dringend brauchte.
Nach dem Frühstück führte der Weg Hermine und Ginny in die Bibliothek. Hermine hatte noch einige Aufgaben für Verwandlung zu erledigen und Ginny wollte sich Notizen für Zauberkunst ansehen. ,,Sag mal", begann Ginny leise, während sie nebeneinander an einem der alten Holztische saßen, ,,was denkst du, was mit Malfoy los ist? Er war gestern wirklich...seltsam." Hermine legte die Feder beiseite und dachte kurz nach. ,,ich weiß es nicht. Vielleicht hat er Schwierigkeiten, sich wieder in Hogwarts einzufügen. Nach allem, was er getan hatte - oder was er nicht getan hat - könnten die anderen Schüler ihm das Leben schwer machen." Ginny zog eine Augenbraue hoch. ,,Mitleid mit Malfoy? Das hätte ich von dir nicht erwartet." ,,Es ist kein Mitleid", widersprach Hermine. ,,Es ist...Verständnis. Menschen ändern sich. Oder zumindest haben sie die Möglichkeit dazu." Ginny nickte langsam, schien aber nicht völlig überzeugt. ,,Du bist besser als ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er wirklich anders ist." Hermine zuckte mit den Schultern und vertiefte sich wieder in ihre Bücher, doch die Unterhaltung ließ sie nicht los.
Der Nachmittag brachte den Zaubertränkeunterricht mit sich und Hermine spürte, wie die Anspannung zurückkehrte, als sie den Raum betrat. Snape war bereits da, sein schwarzer Umhang wirkte wie ein Teil der Schatten, die den raum durchzogen. ,,Setzen Sie sich", sagte er ohne Gruß, sein Stimme so kalt wie immer. Die Klasse begann mit einer Analyse eines Trankes, dessen Zusammensetzung sie erraten mussten. Hermine arbeitete konzentriert, notierte sorgfältig ihre Beobachtungen und blieb dabei stets wachsam gegenüber Snapes Blick. ,,Miss Granger." Seine Stimme unterbrach die Stille und Hermine hob den Kopf. ,,Sind Sie der Meinung, dass Ihre Analyse korrekt ist?" Sie zögerte nur einen Moment. ,,Ja, Professor." Snape trat näher, nahm ihr Pergament in die Hand und überflog es mit einem Ausdruck der kaum etwas verriet. Dann legte er es zurück auf ihren Tisch. ,,Nicht schlecht", sagte er schließlich. ,,Aber Sie haben einen entscheidenden Punkt übersehen. Vielleicht sollten Sie weniger Zeit mit Ihrer Selbstgefälligkeit verbringen und mehr mit tatsächlichem Nachdenken." Hermine schluckte die Erwiderung hinunter, die ihr auf der Zunge lag und nickte nur. Doch als Snape sich abwandte, glaubte sie, einen Hauch von...Anerkennung in seinem Tonfall gehört zu haben.
Nach dem Unterricht wartete Hermine auf Ginny, die noch mit einer anderen Schülerin sprach, als Malfoy erneut auftauchte. Er lehnte an der Wand des Korridors, die Arme verschränkt, doch sein Gesichtsausdruck war nachdenklicher als spöttisch. ,,Granger", sagte er und Hermine blieb stehen. ,,Was willst du, Malfoy?" Er schien zu zögern, als ob er die Worte suchte. ,,Nur weil du eine Vorzeigeheldin bist, heißt das nicht, dass du alles über jeden weißt." Hermine runzelte die Stirn. ,,Was soll das bedeuten?" ,,Du redest über "Veränderung" und "Chancen", aber du hast keine Ahnung, was das bedeutet." Seine Stimme klang bitter und Hermine merkte, dass dies mehr war als nur ein Versuch, sie zu provozieren. ,,Dann erklär's mir", sagte sie ruhig. Malfoy sah sie an, seine grauen Augen wirkten plötzlich müde. Doch anstatt zu antworten, schüttelte er den Kopf. ,,Vergiss es." Er ging davon und Hermine blieb zurück, verwirrt und neugierig zugleich.
Später am Abend beschloss sie, ihre Gedanken zu ordnen. Die Bibliothek war wie immer ihr Zufluchtsort und als sie in den hinteren Bereich ging, um ein Buch zu holen, bemerkte sie eine vertraute Gestalt in einem der Stühle. Snape saß dort, ein dickes Buch in der Hand, das Gesicht wie immer von einem undurchdringlichen Ausdruck gezeichnet. Hermine zögerte, doch dann trat sie näher. ,,Professor?" Snape hob den Blick und ein Schatten von Überraschung glitt über sein Gesicht, bevor er wieder verschwand. ,,Miss Granger. Sollte es Sie nicht überraschen, dass ich diesen Ort ebenfalls aufsuche?" Hermine lächelte leicht. ,,Es überrascht mich nicht, Professor. Sie scheinen jemand zu sein, der Bücher zu schätzen weiß." ,,Wenigstens eine Erkenntnis, die Sie richtig getroffen haben", erwiderte er trocken. Sie wusste nicht, warum sie blieb, doch sie fühlte das Bedürfnis, etwas zu sagen. ,,Ich wollte mich für den Hinweis heute bedanken. Ich werde darauf achten, meine Analysen zu verbessern." Snape betrachtete sie einen Moment schweigend, dann nickte er. ,,Lernen Sie, Miss Granger, dass Wissen kein Privileg ist, sondern eine Last. Und nur diejenigen, die bereit sind, diese Last zu tragen, werden am Ende bestehen." Hermine spürte die Bedeutung in seinen Worten, selbst wenn sie noch nicht vollständig verstand, was er meinte. Sie nickte und ging zu ihrem Platz, doch ihre Gedanken blieben bei seinem Blick, seinem Tonfall - und den Geheimnissen, die er offenbar in sich trug.
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Gefährliche Nähe
FanfictionNach dem Ende des Krieges kehrte Hermine Granger nach Hogwarts zurück, um ihre Ausbildung abzuschließen. Doch der alte Zaubererkrieg hatte tiefe Spuren hinterlassen und Hogwarts war nicht mehr der Ort, den sie einst gekannt hatte. Professor Severus...