Kapitel 2

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Um mich herum war alles dunkel. Zuerst hörte ich nur eine vollkommene Stille. Da war nichts, ich konnte nichts hören. Ich erinnerte mich an den Zug, an den dröhnenden Motor der immer näher kam. Die quitschenden Bremsen die versuchten rechtzeitig anzuhalten. Ich konnte mich an die Scheinwerfer erinnern denen ich entgegenblickte. Danach nichts mehr. War ich tot? Wenn ja, warum war alles so dunkel? Wieso konnte ich nichts sehen, nichts hören, nichts spüren. Mich packte Panik. Das konnte nicht der Tod sein, es fühlte sich schrecklich an. Was nach dem Tod kam sollte doch wunderbar sein, aber das hier war beängstigend. Ich versuchte tief durchzuatmen und den Panikanfall unter Kontrolle zu bekommen. Immerhin lag ich weich und bequem. Moment mal! Spürte ich etwa was? Ich versuchte mich zu bewegen, aber meine Arme und Beine wollten mir nicht gehorchen. Aber ich spürte klar und deutlich eine weiche Fläche unter mir, sie war kühl. Und etwas kitzelte an meinem Rücken. Ich konnte noch andere Dinge spüren, Leben. Ich fühlte wie unter mir sich winzig kleine Lebewesen bewegten. Ich konnte auch ein rascheln hören. Ich konnte wieder hören! Wie war das möglich, was geschah hier nur? Kehrten nach und nach all meine Sinne wieder zurück? Ich konzentrierte mich wieder auf das Rascheln. Es hörte sich an wie ein kleines Lebewesen. Es lief ein paar winzig kleine Schritte und blieb dann stehen, ich konnte seinen Herzschlag hören. Es musste ganz in meiner Nähe sein. Dann plötzlich rannte es wieder weg. Ich hörte es durch Blätter huschen, über Zweige springen. Und dann konnte ich es riechen. Es war unglaublich. Der Geruch, nein der Duft war köstlich. Was war das nur? Ich hatte sowas vorher noch nie gerochen, ich konnte es auch keinem bekannten Geruch zuordnen. Mit Hilfe meines Gehörs und meinem Geruch konnte ich sogar ausmachen wo das Lebewesen in etwa stand. Es war vielleicht zwei oder drei Meter von mir entfernt. Ich konnte den Herzschlag immer noch hören, er war schnell. Das Ding schien mich zu beobachten. Wieso konnte ich nichts sehen? Ich versuchte meine Augen zu öffnen, aber sie waren so schwer. Ich schaffte es nicht einmal sie einen kleinen Spalt anzuheben. Alles blieb dunkel. War ich blind? Konnte ich deshalb so gut hören und riechen weil ich nichts mehr sehen konnte? Aber wo war ich? Ich musste doch sehen wo ich war! Ein letztes Mal versammelte ich all meine Kräfte und versuchte die Augen zu öffnen. Alles war verschwommen um mich herum. Ich konnte nur verschwommene Umrisse erkennen. Ich blinzelte noch ein paar Mal, die Umrisse wurden immer schärfer. Ich konnte vor mir einen kleinen Stein erkennen,  zumindest glaubte ich, dass es ein Stein war. Wo zum Teufel war ich nur? Während ich blinzelte lösten sich die verschwommenen Umrisse auf und wurden durch gestochen scharfe Bilder ersetzt. Der Stein, war kein Stein. Es war eine Maus! Und nun wusste ich auch wo dieser köstliche Duft herkam und wessen Herz ich schlagen hörte. Es war die Maus! Die Maus schaute mich schockiert an und rannte sofort weg. Ich konnte sie bald nicht mehr sehen, denn sie war zwischen hohen Gräsern verschwunden, aber ich konnte sie noch einige Augenblicke lang riechen und hören. Was war nur los mit mir? Was war passiert? Hatte mich der Zug getötet und dieser Ort an dem ich mich befand war eine Art Himmel? Oder lag ich wohl behütet zu Hause in meinem Bett, neben meinem Freund und alles war nur ein Traum? Ja. Ja, das musste es sein. Ein Traum. Der Tag an dem alles schief zu gehen drohte, der Tag an dem sich die Jungs hinter mir am Bahnsteig stritten, der Tag an dem ich vor einen fahrenden Zug gestoßen wurde. Nichts davon war real. Auch wenn sich alles so verdammt real angefühlt hatte, es war nur ein Traum gewesen. Ich musste also einfach nur aufwachen und alles war wieder gut. Vermutlich hatte ich eine Schlafparalyse und konnte mich deshalb nicht bewegen. Mit aller Kraft versuchte ich meine Arme und Beine zu bewegen um mich aus der Starre zu befreien. Es gelang mir auch. Ich konnte mich wieder bewegen. Aber irgendwie fühlte sich alles anders an. Es fühlte sich nicht so an wie sonst immer. Langsam blickte ich an mir herunter und ich fing voller Entsetzen an zu schreien. Ich hatte keine Arme und Beine mehr! Stattdessen hatte ich zwei Vorder- und zwei Hinterpfoten! Als ich meine Pfoten anstarrte fuhren aus den Ballen die Krallen heraus. Ich konnte die weiche Erde unter mir spüren. Ich blickte mich gehetzt um. Ich konnte auch noch einen Schwanz erkennen der hektisch hin und herzuckte. Was zum Teufel war das? War das immer noch ein Traum? Ich schaute mir die Umgebung an. Ich lag inmitten von hohen Sträuchern und Gräsern. Ich konnte einen strengen Geruch ausmachen der nach Abgasen oder dergleichen roch. Ungefähr drei oder vier Meter von mir entfernt konnte ich Bahngleise erkennen. Ich nahm alle Kraft zusammen und versuchte aufzustehen. Das war gar nicht so leicht vier Beine zu kontrollieren. Nach kurzer Zeit hatte ich es geschafft und stand zitternd in der Wiese. Ich versuchte  ein paar Schritte zu gehen. Ich konnte ein Stück entfernt den Bahnsteig sehen. Und voller Entsetzen erkannte ich, dass es genau der Bahnsteig war an dem ich noch heute Morgen stand und auf den Zug gewartet hab! Ich konnte sogar Personen erkennen, ich konnte ihr Lachen hören, ich konnte sie reden hören. Ich konnte sogar ein paar Gerüche erkennen. Jemand hatte ein Thunfischsandwich in der Tasche. Ein anderer hatte wohl vergessen zu duschen. Ich wollte ein paar Schritte gehen, ich wollte zum Bahnsteig gehen und um Hilfe rufen. Als ich wenige Schritte gegangen war, hörte ich aus der Ferne ein Dröhnen. Dieses Dröhnen kam mir schrecklich bekannt vor. Ein Zug! Ich schaut nach rechts und tatsächlich, in einiger Entfernung kam ein Zug angerollt. Voller Panik duckte ich mich so tief wie möglich ins Gras, dabei zuckte mein Schwanz nervös hin und her. Wie konnte ich dieses dumme Ding nur dazu bringen stillzuhalten? Der Zug kam immer näher und hielt schließlich am Bahnsteig. Der  Lärm und der Geruch waren einfach furchtbar! Noch nie war mir aufgefallen wie furchtbar laut die Motoren waren und wie schrecklich sie stanken. Ich erhob mich und wollte weglaufen, mir war schon übel von dem Abgasgestank. Als ich auf allen Vieren stand, blickte ich in die glänzende Lackierung des Zuges. Was ich dort sah ließ mir das Blut in den Adern gefrieren!
Ich sah aus wie eine Katze!

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