Kapitel 6

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Als ich aufwachte tat mir jeder einzelne Knochen weh. Ich blinzelte ein paar mal und fand mich in einem aus dunklem Holz eingerichtetem Wohnzimmer wieder. Es gab mehrere Bücherregale die bis unter die Decke voll mit Büchern waren. Aus einem anderen Raum hörte ich ein Scheppern. Ich schrak hoch, plötzlich erinnerte ich mich wieder an alles. Die fremde Katze die mich angegriffen und fast zerfetzt hatte. Und dann war da noch diese alte Frau die die fremde Katze verjagt hatte und mich auf den Arm hob. Sie hatte gesagt, sie würde mich mitnehmen und gesund pflegen. Ich wollte aufstehen, aber sofort fing mein ganzer Körper an zu protestieren, die Schmerzen zwangen mich wieder dazu mich hinzulegen. Ich lag in einem kleinen Körbchen das mit mehreren weichen Decken ausgestattet war. Es war wirklich bequem. Ich schaute an mir runter, ich war übersät mit Verbänden die meine Wunden abdeckten. Der Geruch verriet mir, dass sie auch eingecremt waren.
"Ah, du bist wach. Bleib schön liegen damit deine Wunden ordentlich verheilen können. Ich habe dir Ringelblumensalbe auf deine Wunden geschmiert damit sie sich nicht entzünden.", die alte Frau kam mit einem Teekessel in der einen und einer Tasse mit Tee in der anderen Hand ins Wohnzimmer. Sie setzte sich in einen alten Sessel mir gegenüber. Wieso redete die alte Frau mit mir so als ob sie wüsste, dass ich sie verstehen konnte? Dennoch blinzelte ich sie dankbar an. Ohne ihre Hilfe wäre ich jetzt vermutlich tot. Ich senkte den Kopf auf meine Pfoten, ich war immer noch unglaublich müde, sofort fielen mir die Augen wieder zu.

Ich träumte von Wäldern in denen Züge fuhren, so schnell, dass man sie mit bloßen Auge fast nicht erkennen konnte. Voller Panik versuchte ich die sichere Seite gegenüber zu überreichen ohne von einem Zug erfasst zu werden. Ich blieb ruhig sitzen und schaute mehrmals nach links und rechts um sicher zu gehen, dass auch wirklich kein Zug kam. Als die Luft rein war setzte ich zum Sprung an. Plötzlich sah ich auf der anderen Seite Claudiu, er schaute mich traurig an. Durch seinen Anblick wurde mein Sprung unsauber und ich verlor das Gleichgewicht. Ich landete mit einem dumpfen Aufprall mitten auf den Bahnschienen. Von rechts hörte ich schon das totbringende Kreischen der Motoren.

Ich fuhr zitternd aus meinem Traum hoch. Das war das furchtbarste was ich jemals geträumt hatte.
"Keine Sorge, Schätzchen, du hast nur geträumt. Bei mir bist du sicher." Die alte Dame saß immer noch in ihrem alten Sessel, auf einem kleinen Tischchen nebendran stand ihre Tasse mit Tee. Ich stellte die Ohren auf um ihr zu zeigen, dass ich ihr zuhörte. Und sofort fing sie wieder an sprechen:"Ich weiß, das muss alles sehr verwirrend für dich sein. Aber ich sage dir du wirst damit zurechtkommen. Und wann immer du Hilfe benötigst, du brauchst nur zu der alten Granny zu kommen." Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Wusste sie etwa, dass ich keine richtige Katze war, sondern ein Mensch? Ich miaute und wedelte mit dem Schwanz, ich wollte mehr hören.
"Du fragst dich sicher was so eine alte Schachtel wie ich denn von einem Katzenleben verstehe, richtig? Nun ja, ich kenne dein kleines Geheimnis."
Jetzt wurde es interessant. Sie kannte mein Geheimnis. Das musste bedeuten sie wusste sicher dass ich keine Katze war. Ich miaute nochmal, dies mal etwas lauter.
"Ja ist ja schon gut," sagte Granny lächelnd. "Du willst sicher mehr darüber wissen was mit dir passiert ist, richtig?" Sie stellte mir eine kleine Schale mit Wasser hin. Erst jetzt bemerkte ich wie durstig ich war. Seit ich eine Katze geworden bin hatte ich weder gegessen noch etwas getrunken. Granny setzte sich wieder und holte dann tief Luft um mir dann eine Geschichte zu erzählen:

"Vor vielen, vielen Jahren, im alten Ägypten lebte einmal eine Prinzessin. Sie war das schönste Mädchen in ihrer Stadt und jede Frau, egal ob jung oder alt beneidete sie. Denn die junge Prinzessin war nicht nur wunderschön und klug. Sie war auch sehr barmherzig, freundlich und hatte für jeden ein offenes Ohr. Außerdem liebte sie Tiere besonders, sie konnte keiner Fliege was zu Leide tun. Aber eine Tiergattung hatte sie besonders in ihr Herz geschloßen. Es waren die Katzen. Sie bewunderte die Katzen für ihre Klugheit, ihre Anmut und ihre Schönheit. So kam es, dass die Prinzessin jeder Katze half die sich in Not befand. Nach nicht allzu langer Zeit war ihr Hof voller Katzen. Die Prinzessin war überglücklich und dieses Glück teilte sie auch gerne mit ihrem Volk. Doch wie so oft gab es auch Bewohner die der Prinzessin ihr Glück nicht gönnten. Sie waren neidisch auf ihren Reichtum.
Eines Nachts trafen sich eben diese Bewohner um einen Plan zu schmieden, wie sie an den Reichtum der Prinzessin kamen. Sie überlegten hin und her, entwarfen viele verschiedene Pläne. Aber am Ende kamen sie nur zu einem Entschluss der wirklich sicher war. Sie mussten die Prinzessin töten! Nur dann konnten sie ungestört in ihr Schlafgemach eindringen und ihre Reichtümer stehlen. Die Bewohner warteten bis die Sonne untergegangen war. Dann schlichen sie sich an der Palastmauer entlang und kletterten an einem Baum hinauf um dann über einen tiefen Ast über die Mauer springen zu können. Alles klappte wie nach Plan und nach kurzer Zeit erreichten sie auch schon das Schlafgemach der Prinzessin. Die Tür war nicht abgeschlossen, also schlichen sich die Bewohnen unbemerkt hinein und verbarrikadierten die Tür. Vom Hof hörten sie ein leises Singen und als sie näher traten konnten sie die Prinzessin sehen, umringt von ihren Katzen. Sie sang ein Lied für sie. Die Katzen bemerkten schnell dass etwas nicht stimmte und durch die Unruhe der Katzen drehte sich die Prinzessin schließlich um. Noch bevor die Prinzessin auch nur einen Laut von sich geben konnte schnappte sich einer der Bewohner die Prinzessin und schnitt ihr mit einem langen Messer die Kehle durch. Die Prinzessin fiel leblos zu Boden und das Blut verteilte sich überall. Die Katzen waren völlig aufgebracht und sprangen wild durcheinander. Bis auf eine. Es war eine schöne silberfarbene Tigerkätzin. Sie trat langsam zwischen den anderen Katzen hindurch und setzte sich auf die Brust der toten Prinzessin. Dann öffnete sie ihr Maul und hielt es dicht über den Mund der Prinzessin. Ein feiner, glitzernder Staub wurde der Prinzessin in den Mund geblasen. Dann stand die silberne Kätzin auf und ging auf die Mauer zu, setzte zum Sprung an und sprang hinüber. Die Bewohner hatten alles mit offenem Mund mit angesehen und fragten sich was da gerade geschehen war. Doch dann erinnerten sie sich wieder an ihren Plan und rafften ihre Stoffsäcke zusammen um die Reichtümer der Prinzessin einzusammeln. Als sie alles in ihren Säcken verstaut hatten drehten sie sich nochmal zur Prinzessin um. Aber sie war verschwunden. Die Bewohner bekamen es mit der Angst zu tun dass sie vielleicht doch beobachtet wurden. Sie rannten so schnell sie konnten zur Zimmertür zurück. Doch der Weg wurde durch eine Katze versperrt die sich vor der Tür aufgebaut hatte. Sie funkelte die Bewohner böse an und fauchte:'Ihr Narren! Hättet ihr jemals gedacht ihr könntest mich so einfach beseitigen? Eine arme, kleine, schwache Prinzessin? Ihr habt aber meine treuen Freunde vergessen. Meine Katzen. Und nun werdet ihr dafür bezahlen was ihr mir angetan habt!'
Am nächsten Morgen drang man gewaltsam in das Schlafgemach der Prinzessin ein. Die Prinzessin war verschwunden, aber dafür lagen fünf Männerleichen in ihrem Zimmer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Nur einer von ihnen war gerade noch so am Leben und packte einen Helfer am Arm und flüsterte ihm zu:'Die Prinzessin....sie....eine Katze....wir wollten....sie hat...alle getötet....Rache...eine unerledigte Aufgabe...' Dann hörte der Bewohner auf zu atmen und schloß seine Augen. Der Helfer war etwas verwirrt. Er legte die Leiche des Mannes auf eine Trage ab. Als er ihn hinaustragen wollte blickte er sich nochmal im Zimmer um. Auf dem Lieblingsstuhl der Prinzessin saß eine Katze mit glühenden Augen. Der Helfer hatte das Gefühl sie irgendwo schonmal gesehen zu haben."

Ich blickte die alte Frau mit großen Augen an. Ich hatte ihrer Geschichte aufmerksam zugehört. Aber was hatte das alles mit mir zu tun? Ich hob eine Pfote und wedelte mit dem Schwanz und hoffte sie würde verstehen, dass ich noch mehr hören wollte. Aber Granny war noch nicht fertig mit ihrer Geschichte:"Die Liebe der Prinzessin zu ihren Katzen löste so etwas wie einen Zauber aus. Dadurch, dass die Prinzessin plötzlich starb und ohne jede Vorwarnung hatte sie nicht die Möglichkeit sich von ihren geliebten Freunden und ihrer Familie zu verabschieden. So wurde sie von einer altägyptischen Zauberkatze auserwählt um als Katze zurück auf die Erde zu kommen. Da die Prinzessin so gewaltsam zu Tode kam nahm sie natürlich Rache an ihren Mördern. Danach aber lebte sie ein langes Katzenleben, in Frieden. So etwas in der Art ist auch dir passiert, Liebes. Nur Menschen mit einem reinen Herzen werden von der Zauberkatze auserwählt und dürfen als Katze weiterleben um unerledigte Aufgaben zu vollenden. So wurdest auch du als Katze wiedergeboren. Du hast ein reines Herz und wohl auch eine unerledigte Aufgabe die du unbedingt zu Ende bringen solltest. Ich habe schnell gesehen dass du keine gewöhnliche Katze bist. Als dich das dämliche Mistvieh angegriffen hat warst du so schutzlos und wusstest überhaupt nicht wie du dich wehren solltest. Da war mir sofort klar dass du eine der auserwählten Katzen sein musst." Granny nahm einen Schluck aus ihrer Teetasse. Ich saß nur da, in meinem Körbchen. Mir schwirrte der Kopf von dem was ich eben gehört hatte. Eine unerledigte Aufgabe...


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