Kapitel 7

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Die folgenden Tage verbrachte ich viel mit schlafen. Ich träumte selten und wenn ich träumte dann waren es verwirrende Träume aus denen ich immer schweißgebadet aufwachte. Granny wechselte mir täglich meine Verbände und trug neue Ringelblumensalbe auf die Wunden auf. Der Kampf mit der fremden Katze war ziemlich übel gewesen. Was mir aber am meisten zu schaffen gab, war dass ich soviele Fragen hatte aber niemanden der sie mir beantworten konnte. Granny hatte mir zwar erzählt was mit mir passiert war, aber sie verstand mich trotzdem nicht. Ich grübelte den ganzen Tag nach was diese unerledigte Aufgabe sein könnte.

Als Granny sich eines Tages wieder meine Wunden ansah sagt sie:"Das sieht sehr gut aus. Ich denke du brauchst ab jetzt keinen Verband mehr. Sobald du dich bereit dazu fühlst kannst du jederzeit gehen. Bleib solange du willst, aber denk dran, du hast noch eine Aufgabe zu erfüllen." Ich streckte vorsichtig meine Glieder. Ich war tagelang nur im Körbchen gelegen und nie aufgestanden. Meine Beine fühlten sich ganz steif an. Zögerlich stand ich auf. Meine Wunden taten tatsächlich nicht mehr weh, Granny hatte ganze Arbeit geleistet. Ich lief ein paar Schritte im Wohnzimmer herum. Das tat gut! "Wenn du Hunger hast, in der Küche steht eine Schale mit Thunfisch. Ich dachte zur Feier des Tages gibt es mal was besonderes für dich."grinste mich Granny an und fuhr mir über den Kopf. Gleichzeitig leckte ich mir über die Schnauze, ich hatte tatsächlich einen riesen Hunger. Ich lief in die Küche, obwohl ich noch nie ein anderes Zimmer außer dem Wohnzimmer betreten hatte wusste ich sofort wo ich hinmuss. Ich musste einfach diesem unwiderstehlichen Thunfischgeruch folgen.
Als ich fertig gefressen hatte wollte ich unbedingt mehr von Granny's Haus sehen. Sie saß wie üblich in ihrem Sessel, neben sich ihre Teekanne mit Tee und strickte fröhlich vor sich hin. Etwas zöglicher lief ich in Richtung einem unbekannten Zimmer. Hoffentlich war es okay dass ich das Haus ein wenig erkundschaften wollte. Granny sah mich an und lächelte mir aufmunternd zu. Ich betrat das Zimmer. Es schien Granny's Schlafzimmer zu sein. Ein riesiges Himmelbett stand an der Wand. Überall im Zimmer hingen Traumfänger und Federn und irgendwelche Skulpturen die ich nicht kannte. Es war ein charmantes Schlafzimmer, irgendwie gefiel es mir. Schnell nahm ich auch noch den Rest des Hauses unter die Lupe. Das ganze Haus war aus dunklem Holz. Und die Einrichtung passte perfekt zu Granny. Als ich zurück ins Wohnzimmer kam sprang ich auf die Armlehne des Sessels. Ich wollte sehen was sie denn die ganzen Tage über strickte. Es war eine Decke mit unzähligen Katzen drauf. Ich blickte sie fragend an. "Ja mein Kind. Das sind alles Katzen die früher einmal Menschen gewesen waren. Ich habe sie alle gefunden und ihnen die Geschichte erzählt, die ich dir erzählt habe. Sie haben alle ihre Aufgabe gefunden und sind fort gegangen. Siehst du die kleine Katze hier rechts unten? Das bist du," sagte Granny liebevoll und strich mit einer Hand über die Decke. Sie hatte mich wirklich gut getroffen. Ich war eine schildpattfarbene Kätzin. Obwohl die Katzen auf der Decke nicht besonders groß waren, hatte sie mein Fellmuster perfekt abkopiert. Die Decke war wirklich wunderschön.
Nachdem ich Granny eine halbe Ewigkeit zugeschaut hatte sprang ich wieder in mein Körbchen und rollte mich zusammen. Den Schwanz legte ich sorgsam auf meine Nase und schlief nach kurzer Zeit ein.

Die Tage vergingen und ich war immer noch bei Granny. Ich war gern bei Granny. Sie sorgte sich sehr gut um mich und ich brauchte hier keine Angst vor den Gefahren zu haben die draußen in der Welt auf mich lauerten. Und ich hatte den Eindruck auch Granny freute sich über meine Anwesenheit. Sie musste immer alleine sein solange sie keine Katze bei sich hatte der sie erklären musste was mit ihr geschehen war. Von Tag zu Tag vergaß ich auch immer mehr, dass ich eigentlich darüber nachdenken sollte was meine unerledigte Aufgabe war. Aber wieso sollte ich einen Gedanken daran verschwenden? Mir ging es doch gut. Ich könnte einfach für immer bei Granny bleiben und mich um sie sorgen. Ihr würde das bestimmt auch gefallen.
Doch eines Tages kam Granny vollgepackt mit Einkaufstüten nach Hause. Als sie alles weggeräumt hatte und mich im Wohnzimmer sah sagte sie:" Ach Schätzchen. Du bist ja immer noch hier. Dir scheint es hier wohl ziemlich zu gefallen. Und um ehrlich zu sein finde ich deine Anwesenheit auch sehr schön. Aber du kannst nicht hier bleiben. Du musst noch etwas erledigen und das solltest du bald tun." Ich blickte sie mit großen, runden Augen an die soviel sagen sollten wie 'Aber was soll ich erledigen? Ich habe keine Ahnung was meine Aufgabe ist!' Granny setzte sich zu mir in den Sessel, ich sprang auf ihren Schoß und fing an zu Schnurren. Sie kraulte mich hinter den Ohren. "Wieso bist du denn immer noch bei der alten Granny, hm?" Plötzlich stockte sie und blickte mich an:"Bist du vielleicht deshalb noch bei mir, weil du gar nicht weißt was deine Aufgabe ist?" Ich miaute und schlug mit dem Schwanz. Hoffentlich verstand sie dass das ein 'ja' sein sollte. Sie kratzte sich am Kopf:"Das hatte ich nun wirklich auch noch nie. Natürlich, jede Katze brauch unterschiedlich lang bis sie ihre Aufgabe erkennt. Aber es ist mir noch nie passiert, dass eine Katze sie gar nicht erkannt hat. Nun gut Schätzchen. Dann werde ich dir eben sagen was deine Aufgabe ist. Denn du kannst einfach nicht für immer hier bleiben." Sie fing wieder an mein Fell zu glätten und sagte:"Weißt du Kleine, dein Freund, der leidet wirklich sehr. Ich sehe in ab und zu und er sieht furchtbar aus. Er scheint mit deinem Tod nicht zurechtzukommen. Dass du einfach nicht mehr da bist. Du wurdest für ihn zu plötzlich aus seinen Händen gerissen. Er hatte keine Möglichkeit sich von dir zu verabschieden. Und genau das, ist deine Aufgabe. Dein Freund kann erst seinen inneren Frieden finden, wenn er sich von dir verabschieden kann. Also ist deine Aufgabe folgende: Geh zu ihm, mach ihm verständlich dass du es bist und gib ihm die Möglichkeit sich zu verabschieden. Und dann geh. Ich weiß es wird dir schwer fallen, aber du darfst nicht bei ihm bleiben. Auch du musst loslassen. Wenn du bei ihm bleibst, wird er nie wieder ein normales Leben führen können. Und er muss unbedingt wieder zum Alltag zurückkehren. Das verstehst du doch sicher dass er das nicht kann wenn du bei ihm bleibst?" Ich schaute meine Pfoten an. Ging es Claudiu wirklich so schlecht? Ich wollte am liebsten losheulen. Ich war so dumm gewesen! So gefühlskalt. Seit meinem Tod hatte ich keine einzige Sekunde darüber nachgedacht wie es ihm erging! Nicht nur für mich war es schwer zu akzeptieren, dass ich tot war. Was ist aus meiner Familie geworden? Aus meinen Freunden? Wie ging es ihnen? Ich wollte jetzt einfach allein sein. Ich fühlte mich so schlecht, ich war ein so schlechter Mensch. Ich sprang von Granny's Schoß und lief in ihr Schlafzimmer. Dort verkroch ich mich unter dem Bett. Im Dunklen fühlte ich mich gleich besser. Ich rollte mich zusammen und dachte nach.

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