Kapitel 9

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Mein Freund und ich wohnten im obersten Stockwerk. Vor lauter Freude konnte ich es kaum abwarten und stürmte die Stufen bis ganz nach oben hoch. Ich setzte mich vor die Wohnungstür und wartete ungeduldig auf meinen Freund. Währenddessen überlegte ich mir einen Plan, wie ich ihm klar machen konnte wer ich war. Alles wäre so einfach wenn ich sprechen könnte. Ein paar Sätze und alles wäre wieder gut. Aber was sich für mich wie eine verständliche Sprache anhörte, hörte sich für die Menschen einfach nur nach willkürlichem Miauen an. Ohne Sinn.
Mein Freund erreichte das oberste Stockwerk und ich schob den Gedanken erstmal beiseite. Ich freute mich endlich wieder hier zu sein. Alles kam mir so vertraut vor, ich fühlte mich so sicher. Claudiu schloss die Tür auf und ich flitzte sofort durch den kleinen Türspalt. Aber meine Freude bekam sofort einen Dämpfer. Ich blieb wie angewurzelt im Flur stehen. Es roch überhaupt nicht mehr so wie früher in unserer Wohnung. Es roch muffig und gammlig. Gelüftet wurde wohl schon eine Weile nicht mehr. Verunsichert blickte ich nach links ins Wohnzimmer. Auf dem kleinen Couchtisch stapelten sich leere Pizzakartons in denen noch kleine Reste übrig waren. Der gammlige Geruch kam eindeutig aus den Kartons. Der Blick nach rechts ins Badezimmer war nicht schöner, überall lag schmutzige Wäsche auf dem Boden. Ich lief den Flur entlang, dann bog ich nach rechts in die Küche ab. Auch hier standen überall faulige Essensreste rum. Es war furchtbar, meinem Freund musste es wirklich schlecht gehen wenn er sich so hängen ließ. Immerhin schien er noch arbeiten zu gehen. Ich drehte mich zu ihm um und blickte ihn mitfühlend an. Er grinste schief und meinte:"Du kannst dir gerne ein paar Essensreste schnappen wenn du möchtest." Ich rümpfte angewidert die Nase. Ja, ich hatte Hunger, sehr großen sogar. Aber um nichts in der Welt würde ich dieses halb vergammelte Zeug noch essen. Ich würde einfach warten, bis er sich wieder etwas bestellt und dann würde ich dort mitessen.
Claudiu ging ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Erschöpft strich er sich durchs Gesicht. Ich sprang zu ihm auf die Couch und legte mich dicht an sein Bein. Ich schmiegte mich ganz nah an ihn und sog seinen Geruch durch die Nase. Ich hatte ihn so vermisst. Er fing an mich zu kraulen und ich begann zu schnurren.

Ein leckerer Duft stieg mir in die Nase. Ich schlug die Augen auf. Claudiu stand mit einem Pizzakarton im Zimmer und stellte ihn gerade auf dem Couchtisch ab. Ich musste eingeschlafen sein. Mit einem lauten Grummeln signalisierte mir mein Magen dass er dringend etwas zu essen haben wollte. Ich stand auf und streckte mich, dann setzte ich mich ganz nah an den Tisch und legte den Schwanz um die Pfoten. Er blickte erwartungsvoll auf die Pizza. "Du möchtest wohl etwas von meiner Pizza, was? Naja, ich schaffe so wie so nicht alles. Also was soll's, hier bitte schön", mein Freund legte mir ein großes Stück Pizza vor die Pfoten. Ich schlang es so schnell ich konnte hinunter so großen Hunger hatte ich.

Als wir fertig gegessen hatten lagen wir beide mit dicken Bäuchen auf der Couch. Ich gab mir einen innerlichen Ruck und erinnerte mich daran, warum ich eigentlich hier war. Wie könnte ich meinem Freund zu verstehen geben wer ich war. Ich blickte mich im Wohnzimmer um. Im Regal sah ich ein Bild von uns beiden. Ich konnte mich noch gut an den Tag erinnern an dem das Bild entstand. Wir verbrachten einen wirklich wunderschönen Tag im Zoo. Wir waren so glücklich, niemand hätte an diese Tragödie gedacht die nun geschehen war. Da kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich stand auf und sprang ins Regal. Ich setzte mich direkt neben das Bild und wedelte mit meinem Schwanz drum  herum. Gleichzeitig fing ich an zu miauen. Mein Freund blickte zu mir. Sein Blick verschwamm und verlor sich im Nirgendwo. "Das ist meine Freundin. Ich meine, das war meine Freundin. Sie ist tot", er sah mich mit ausdruckslosen Augen an. Es brach mir das Herz ihn so zu sehen. Ich schluckte meine Trauer hinunter, es gab jetzt wichtigeres. Aber offenbar verstand er nicht was ich ihm mitteilen wollte. Ich öffnete das Maul und nahm den Bilderrahmen zwischen die Zähne. Ich wollte damit zu ihm springen und ihm zeigen, dass ich es war. Aber er sprang wie von der Tarantel gestochen auf und fing an zu schreien:"He! Was soll denn das? Lass sofort das Bild los du Mistvieh! Das ist alles was ich noch von ihre habe!" Er hob eine Hand hoch und wollte nach mir ausholen. Aber ich war schneller, ich lies schnell das Bild wieder los und sprang vom Regal. Ich stürzte mich unter den Schreibtisch und kroch weit nach hinten an die Heizung wo er nicht mehr hinkam. Ich zitterte am ganzen Körper, so hatte ich Claudiu noch nie erlebt. Ich beobachtete ihn aus der Deckung heraus. Er fiel zurück auf die Couch und vergrub das Gesicht in den Händen. Ich hörte ihn leise schluchzen. Am liebsten würde ich jetzt zu ihm gehen und ihn trösten, aber ich traute mich nicht aus meinem Versteck. Ich gab ihm Zeit sich wieder zu beruhigen.

Ich weiß nicht wie lange ich dort unter der Heizung verharrt hatte. Aber nach einer Weile stand mein Freund auf und kam unter den Schreibtisch gekrochen so weit er konnte. "Hey, sorry, ich wollte dich nicht so erschrecken. Du kannst gerne wieder unter der Heizung rauskommen. Es ist nur so, ich vermisse sie so schrecklich. Ich begreife nicht, dass sie nicht mehr da ist. Ich klammere mich an alles was mich an sie erinnert." Ich kam unter der Heizung hervor und schmiegte mich mit meinem warmen, weichen Fell an seine Wange. Vielleicht konnte ich ihm ein wenig Trost spenden, das schien er momentan am meisten zu brauchen. Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf. Was war, wenn ich Claudiu nicht nur verständlich machen musste wer ich war, sondern ihm auch helfen musste zurück ins Leben zu finden? Vielleicht konnte ich ihm über diesen Umweg zeigen wer ich bin und dass es mir gut geht.

Nach ein paar versöhnlichen Streicheleinheiten legte sich Claudiu ins Bett. Ich hüpfte zu ihm und rollte mich auf seinem Bauch zusammen. Er kraulte mir noch ein bisschen den Kopf und bald hörte ich seine gleichmäßigen Atemzüge die mir verrieten, dass er eingeschlafen war. Ich rührte mich keinen Millimeter. Stattdessen grübelte ich darüber nach, was ich als Katze tun könnte um ihm zurück ins Leben zu helfen. Nach einiger Zeit reifte in meinem Kopf ein Plan an. Das musste einfach funktionieren. Wenn das nicht funktioniert, weiß ich auch nicht weiter. Ich schloss die Augen. Auch ich musste schlafen, der morgige Tag würde sicherlich anstrengend werden. Ich redete mir ein dass alles gut gehen würde und schlief bald darauf ein.

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