Frei wie der Wind

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Edanna

Sie hatten das Lager sicher erreicht und auch das Reh war unversehrt angekommen. Der alte Ewer hatte sich in der Tat ausgiebig bei den Klan Anführern beschwert.
Doch da er dies recht häufig tat war der erwünschte Eindruck eher ausgeblieben.
Edanna hätte die Zeit bis zu ihrer Zeremonie gerne gemeinsam mit Lias verbracht, aber nur wenige Augenblicke später nach der Ablieferung des Rehes war ihre Mutter aufgeregt angelaufen gekommen und hatte sie für ihre Vorbereitungen mit sich fortgenommen.
Gemeinsam waren sie in ihrer kleinen Hütte, die hoch oben im Stamm einer Eiche lag verschwunden.
Alle Mitglieder von Edas Volk lebten in solchen Hütten und das hatte Gründe, wie ihre Mutter ihr immer wieder einbläute. Zum einen schüzte die Höhe sie vor wilden Tieren und feindlichen Stämmen, zum anderen waren sie eine ideale Tarnung, so dass keine Kutsche, selbst wenn sie sich in diesen dunklen Teil des Waldes traute, nichts von ihrem Leben im verborgenen mitbekam.
Das gesamte Leben der jungen Jägerin hatte bisher aus zahlreichen Geheimnissen bestanden. Viele lösten sich mit jedem Tag den sie älter wurde, andere würde sie wohl nie ergründen können.
Im einzigen Wohnraum der Hütte hatten bereits ihr Vater und ihr älterer Bruder auf sie gewartet.
Sie hatten gelächelt, eine Eigenschaft die bei ihrem Vater eher selten war und ihr voller Stolz einen neuen Bogen aus Eschenholz, etwas das jeder bei seiner Zeremonie erhielt, sowie eine einzige Haarnadel, geschnitzt aus Knochen und verziert mit einer einzigen geschwungenen Ranke, überreicht. Beides Zeichen für den Eintritt ins Erwachsensein, wobei die Nadel bei Männern durch eine verzierte Gürtelschnalle ersetzt wurde.
Sie hatte alles dankend entgegen genommen, wofür ihr ihre Mutter jedoch auch nicht allzu viel Zeit gelassen hatte.
Sie hatte die gesamte Familie zur Eile angetrieben, daran war sie wirklich gut und nicht anders als die meisten anderen Mütter, Edanna angewiesen sich zu waschen, und dann wieder zu ihr zu kommen.
Die junge Frau war diesen Dingen nachgekommen, gerne hätte sie den anderen mehr beim Aufbau und Vorbereitungen geholfen, doch am Tag ihrer Zeremonie, durfte sie nichts über die Vorbereitungen erfahren, die bei jeder Zeremonie ein wenig anders verliefen.
Sie vertrieb sie sich die Zeit mit dem Schärfen ihres abgewetzten Jagdmessers und mit Nachgrübeln darüber, was sie wohl erwarten würde.

Endlich, als es bereits dunkel wurde betrat Edannas Mutter die stille Holzhütte und meinte es werde Zeit.
Eda ließ sich auf einem alten Holzschemel nieder, während ihre Mutter sich daran machte ihren strengen Knoten zu lösen, sodass sich die roten Wellen wie ein Meer über Edannas Rücken ausbreiteten.
Ihre Mutter begann die Strähnen langsam und gewissenhaft mit einem Kamm zu teilen und zu entwirren während sie leise eine Melodie sang die sie ihrer Tochter, als diese noch winzig klein war, schon vorgesungen hatte.
Eda versuchte sich zu entspannen, was ihr nicht leicht viel, obwohl das Lied ihr schon oft in den Schlaf geholfen hatte. Es erinnerte sie an ihre Kindheit. An die wilden Spiele und kämpfereinen mit Lias, die Lehren ihres Vaters, ihre erste Beute und das Fischen in klaren Flüssen während der wärmeren Sommertage. War sie wirklich bereit dafür erwachsen zu werden?
Ihre Mutter zog den Kamm ein letztes mal durch ihre Haare und bedeutete ihr dann aufzustehen. Sie reichte Eda einen groben Kittel aus braunem Fell. Die einzige Bekleidung, die sie während der Zeremonie tragen würde. Edanna legte ihre Jagdkleidung ab und schlüpfte in den Überwurf. Zuletzt verstrich ihre Mutter um ihre Augen und auf ihrer Stirn schwarze Kohle.
Eda wusste nicht ob sie sich unwohl fühlte, oder ob das ihre Aufregung war, die ihr heiß und kalt über den Rücken lief und sie mit Gänsehaut überzog.
Ihre Mutter trat einen Schritt von ihr zurück und lächelte sie an. Ihre Augen glänzten wehmütig." Ich kann nicht glauben, das aus meinem kleinen Mädchen nun schon eine so schöne und starke Frau geworden ist. ", sagte sie und strich ihrer Tochter über die Wange.
Auch die junge Frau hatte nun Mühe die Tränen zurückzuhalten, lächelte aber und drückte ihre Mutter fest an sich. " Ich bin ja nicht aus der Welt.", flüsterte sie, auch um sich selbst zu beruhigen. Ihre Mutter ließ sie los und nickte ihr aufmunternd zu.
Mit zittrigen Händen öffnete Edanna die Holztür und trat vor die Tür. Der Schritt kam ihr wie eine endgültige Entscheidung, die letzte Möglichkeit umzukehren vor.
Draußen war es bereits dunkel, nur der volle Mond leuchtete durch die Bäume. Sie schluckte und begann den rauen Stamm an der heruntergelassenen Holzleiter hinab zu klettern. Aus einiger Entfernung schimmerte ihr der warme Widerschein von vielen Fackeln entgegen.
Vorsichtig schritt sie mit ihren bloßen Füßen über den feuchten Waldboden darauf zu. Es dauerte nicht lange, da kam sie auf den schmalen Hauptpfad, der durch das gesamte Lager führte.
Er war beleuchtet von unzähligen Fackeln die an den Stämmen der alten Bäume angebracht waren. Ihr Licht spendete ihr Zuversicht und halfen ihr aufrecht den Pfad hinab zu schreiten.
Die Fackeln wurden immer mehr, bis sie schließlich durch eine aus Bäumen gebogene Pforte auf eine große Lichtung trat.
Auch hier hingen die Bäume voller leuchtender Feuer. Am Rand verteilt saß der gesamte Clan. In der Mitte war eine breite Schneise frei geblieben die direkt an das hintere Ende führte, wo die blinde und waise Stammesälteste Cassily auf sie wartete. Edanna zögerte, sie fürchtete sich vor dem was kommen würde und der erhabenen Stille, die über der Versammlung hing.
Langsam betrat sie den für sie bestimmten Weg und schritt ihn vorsichtig und aufrecht entlang. Mit den Augen hielt sie nach Lias Ausschau, aber sie konnte ihn nirgends entdecken.
Am untersten Ende saß das Clanpaar Coinin und seine Frau Oidhche. Ebenso wie die anderen blickten sie stur geradeaus und schienen Eda gar nicht zu bemerken.
Schließlich entdeckte sie Lias braune Augen in der hintersten Reihe, was ihr ein wenig Zuversicht gab und zwang nicht stehen zu bleiben.
Sie erreichte das Ende der Schneise und trat zu Cassily an den gewaltigen Eichenstamm.
Die alte Frau fuhr mit ihren Händen vorsichtig über ihr Gesicht um sie zu erkennen, dann wandte sie sich dem Clan zu und erhob ihre schwere Stimme:" Mein Clan, ich spreche zu euch am Abend des letzten Vollmondes im dritten Monat des Jahres. Wir haben uns heute versammelt um ein Mädchen zu einer Frau zu machen," sie wandte sich zu Edanna und ließ sie niederknien.
Es war totenstill nicht einmal der Wind blies durch die dichten Blätterdächer der Bäume. " Edanna, dein Name bedeutet in unserer Sprache kleines Feuer. Du hast mit diesem Mondzyklus dein sechzehntes Lebensjahr vollendet. Damit hast du das Alter einer Erwachsenen erreicht und wirst in deren Gemeinschaft aufgenommen. 
Du musst nun deinen eigenen Weg finden, dem Clan dienen und helfen wo du kannst. Dabei werden wir dich begleiten." Cassily hob feierlich ein weinrotes Bündel vom Boden auf.
Wie sich herausstellte war es ein langer, mit Kapuze versehener Mantel, denn sie Edanna nun um die schmalen Schultern legte.
" Der Mantel rot wie dein Blut, soll dich bewahren und dich schützen. Er zeigt, dass du zu unserem Clan gehörst." Cassily zog Eda die Kapuze auf den Kopf, die sich dort sehr mit ihrem Haar biss." Hiermit wirst du zu einem vollwertigen Mitglied unseres Clans.", sagte sie und hob ihre Hände zum Himmel wo der Mond bald seinen Zenit erreicht hatte.
Eda leckte sich nervös über die trockenen Lippen, was würde gleich mit ihr geschehen?
Der Mond stieg weiter nach oben.
Als er seinen Höhepunkt erreicht hatte und die Lichtung in weißes Licht tauchte, durchriss ein plötzlicher Schmerz Edannas gesamten Körper. Sie schrie auf. Jede Sehne ihres Körpers schien zu brechen und am falschen Platz zu sein. Der plötzliche Krampf zwang sie auf alle viere.
Der Schmerz ließ ihren Verstand verschwimmen und drang durch ihren Kopf und ihr schneller schlagendes Herz.
Sie nahm am Rande, das unbestimmte Gefühl war, das sich ihre Hände und Füße verlängerten.
Sie erschrak und wollte sich dagegen wehren, aber der Schmerz lähmte sie noch immer. Ihr gesamter Körper schien sich in die länge zu ziehen und auf einmal erschien ihr, der Fellumhang als überfüssig. Sie riss ihn mit ihren Zähnen hinunter und plötzlich erfasste sie das Gefühl in ein Loch zu fallen.
Eine Weile hatte sie zu viel Angst sich zu bewegen, doch sie bemerkte, dass der Schmerz nachließ und öffnete ihre Augen. Was sie sah, erstaunte sie noch mehr als alles andere.
Statt ihrer schmalen Hände sah sie nun auf größere, grau beharrte Pfoten. Die Angst drohte sie wieder zu überrollen, aber dann begann sie die Kraft in ihrem neuen Körper zu spüren, ihre scharfen Sinne, die ausdauernden Füße.
Eda hob die Augen in den Himmel, von wo ihr der Mond entgegen schien.
Ein plötzlicher Wunsch frei und wild durch den Wald zu jagen ergriff bei diesem Anblick Besitz von ihr.
Sie hob den schmalen Kopf und ließ ein lautes Heulen zum Mond ertönen.
Der Rest des Clans stimmte ein, ehe sie begannen zu laufen. Zu rennen, durch eine ewige Nacht...

The story of the Dark KingdomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt