Morgennebel

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Edanna

Es herrschte Stille. Die vollkommene Ruhe eines kühlen Frühherbstmorgens. Nicht mal die Vögel sangen, die meisten von ihnen waren bereits unterwegs in den Süden.
Manche blieben in den Wäldern und Wiesen zurück, doch noch war es zu früh für ihren ersten Flug.
Über einem der Seen im Herzen des Waldes lag dichter, kühler Nebel der jeden Blick auf seine Ufer versperrte. Das Wasser lag vollkommen ruhig und kühl da, ein beliebter Ort in der Morgenstimmung für Wild.
Noch war niemand außer ihnen wach, der ihre Ruhe stören konnte und so konnten die außer Gefahr ihren Durst stillten.
Ein ganzes Rudel Rotwild war im Schutz des Nebels an den kleinen See zum Trinken gekommen. Unter ihnen zwei Hirsche, einige Hirschkühe und wenige, fast ausgewachsene Jungtiere.
Sie hatten sich zusammen gerottet, denn bald würde es Zeit für die Brunft der Hirsche werden und dann würde der Wald wieder von dem durchdringenden Röhren der Männchen erfüllt sein, doch bis dahin war noch einige Zeit.
Das Wasser des Sees war köstlich und würde sie für den bevorstehenden Tag stärken.
Eine der Hirschkühe trat ganz nah an die gräulich, trübe Oberfläche und schnupperte zunächst mit ihrer rauen Nase, ehe sie gierig begann zu trinken.

Das Rudel stillte seinen Durst ungestört, sich in naiver Sicherheit wiegend.
Zugegeben, es gab nicht viele Jäger die bereits so früh auf den Beinen waren, doch wenn man im Wald lebte musste man sich den Bedingungen anpassen.
Hinter einigen Steinen und hohem Gras, fast unsichtbar, lauerte jemand, der das genau wusste und sich gut mit den Plätzen seiner Beute auskannte.
Der Jäger hatte es auf das Vorderste der Rehe abgesehen. Noch hatte es nichts bemerkt und nahm weiter Wasser mit seiner Zunge auf.
Über den Rest des Rudels machte sich der versteckte Angreifer keine Sorgen. Wenn er eines der Tiere tötete, würde der Rest fliehen.
Der Jäger brachte sich langsam in die richtige Position.
Das Reh spitzte die Ohren, es schien nun doch etwas wahrgenommen zu haben. Langsam hob es seinen Kopf.
Aber bevor es ihn ganz heben, geschweige denn die anderen warnen konnte, wurde sein Hals von einer Sekunde auf die andere von einem Pfeil durchbohrt.
Der Rest des Rudels ergriff, wie erwartet, durch das wiederhallende Geräusch sofort die Flucht und rannte in den Wald hinein, während die Hirschkuh bereits tot am See lag.

Der Jäger erhob sich rasch und eilte zu der gegenüberliegenden Seeseite.
Der Nebel hing noch immer dicht und verbarg ihn gut.
Schließlich tauchte aus den weiß, gräulichen Schwaden ein junges Mädchen auf.
Es war höchstens vierzehn, fünfzehn Jahre alt, doch die dunkelgrünen Augen und die roten, praktisch nach oben gesteckten Haare, ließen es wesentlich älter wirken.
Es kniete sich neben das tote Tier und zog dann mit einem Ruck den braun befiederten Pfeil aus seinem Körper. Anschließend murmelte es etwas und schloss dem Reh die starren Augen.
Mit dem Pfeil ging es zum Ufer und wusch das dunkle Blut von der Eisenspitze.
Das Mädchen trug eine enganliegende Hose und darüber braune Stiefel.
Zu ihrer Kleidung gehörten zudem ein schlichtes Oberteil aus Leinen und eine enge, geschnürte Bluse, die ebenfalls aus Leder gefertigt war.
Nachdem sie den Pfeil von dem Blut befreit hatte, begann sie auch ihre Hände zu säubern. Das kalte Wasser des Sees stach ihr in die Hände, aber das war sie gewöhnt. Die junge Jägerin hob ihren Blick über das Wasser, sie liebte die Morgenstunden, wenn der Tag noch frisch und unberührt war und die Stille langsam erfüllt wurde von den Geräuschen des Waldes. Er war schon immer ihr zu Hause gewesen und inzwischen konnte sie sich nicht mehr vorstellen woanders als unter Bäumen zu schlafen.
In einer alten Fichte über ihr begann eine Drossel ihr morgendliches Lied zu pfeifen und erfüllte damit die Stille.
"Und warst du erfolgreich Eda?", riss eine vertraute Stimme die Jägerin aus ihren friedlichen Gedanken. Das Mädchen wandte den Kopf und konnte wie erwartet die verschmitzten braunen Augen eines Jungen hinter ihr sehen. Er hatte schwarzes, kurzes Haar und trug wie sie Jagdkleidung.
Lias war zwei Jahre älter als sie und ihr bester Freund, obwohl sie sich eingestehen musste das da inzwischen vielleicht noch ein wenig mehr war. Sie musste lächeln.
"Das siehst du doch, oder hast du keinen Verstand in dem Ding was auf deinem Hals sitzt?", fragte sie neckend. Mit gespielter Empörung kam Lias auf sie zu." War das etwa eine Beleidigung? Und das an diesem besonderen Tag! Ich hab gehört das bringt Pech, der Mond wir nicht ganz runt oder...". Er stöhnte auf, als ihm Eda fest in den Bauch boxte. "Na warte!", rief Lias und rannte ihr hinterher, während sie lachend vor ihm davon lief." Du weißt das ich schneller bin als du Amadán!", rief sie lachend und lugte hinter einer Kiefer hervor. Lias erwiderte nichts, sondern riss sie mit einem Ruck zu Boden."Gewonnen!", meinte er und grinste sie von oben herab an."Niemals!", erwiderte Eda und rollte ihn herum, sodass sie nun oben saß. " Ich gebe auf, du bist zu gut für mich!", sagte Lias ergeben. Die junge Jägerin schwieg, sie sah in Lias dunkle Augen. Braun, wie der Stamm einer Eiche. Sie waren beide älter geworden, längst keine Kinder mehr, er war bereits Erwachsen und heute Abend würde auch ihr Moment kommen.
Lias lachte nicht mehr und sah sie nun ebenfalls versonnen an und strich ihr Gedanken verloren eine rote Strähne hinter ihr Ohr, die sich gelöst haben musste. Eda vergaß alles um sich herum. Doch ehe die Lippen der beiden sich berühren konnten wurden sie durch ein lautes Knacken aus ihrer Trance gerissen.
Ein alter und etwas rundlicher Mann mit kaum noch Haaren auf seinem runden Schädel trat zu ihnen und räusperte sich vernehmlich.
"Guten Morgen, Ewer.", seufzte Lias und erhob sich.
"Morgen ihr zwei, was fällt euch ein Zeit zu vertrödeln! Gerade du Edanna, an so einem gerade für dich wichtigen Tag!", nörgelte er. Das Mädchen ließ schuldbewusst ihren Kopf sinken."Ja ihr habt recht Ewer, ich mache mich sofort auf den Weg zurück ins Lager." Der Mann nickte: "Und du!", er zeigte anklagend auf Lias, " hilfst ihr dabei klar."
Der junge Mann nickte, musste sich jedoch höllisch anstrengen nicht laut loszusachen, denn Ewer war alles andere als furchteinflößend mit seinem roten Kopf und der aufgeregten Stimme. Zudem hatte er die Angewohnheit immer mit seinen Händen wild in der Luft herum zu wedeln, wenn ihn etwas aufregte.
Der alte Mann schien nichts zu bemerken, oder überging es einfach, jedenfalls lief er, auf eine recht Trampel hafte Weise, zurück in den Schutz der Bäume.
Der Junge konnte nicht länger an sich halten und brach in lautes Gelächter aus. Eda konnte sich ihr lachen ebenfalls nicht verkneifen und stimmte mit ein.
" Na komm, er hat ja recht. Ich sollte mir heute in der tat nicht zu viele Fehltritte erlauben und die Jagd schon zu beginn allzu spät abzuliefern kommt sicherlich nicht sonderlich gut an bei den anderen.", räumte sie ein und machte sich daran, das tote Reh mit einem Seil an einen dicken Ast zu knoten. Ihr Freund nickte und begann mit geschickten Fingern, das zweite paar Beine am Stock fest zu ziehen.
" Mach dir nicht zu viele Sorgen Eda, es wird schon alles gut gehen und anschließend gehörst du ohnehin zu den anderen Erwachsenen.", meinte er und lächelte sie aufmunternd an, wie er es immer tat, wenn Edanna sich Sorgen machte. Sie nickte."Ja, ich sollte mich wahrscheinlich einfach freuen. Wie ist es, wenn man sich das erste mal verändert?", fragte sie und zog den letzten Knoten fest.
Lias sah sie fest an," es fühlt sich an, als ob du dich selbst verlierst und das macht dir Angst, aber es dauert nicht lange und dann ist da nur noch die Freiheit und die Stärke in deinem Körper. Das überwiegt die Angst."
Eda nickte wieder und strich über das Fell des Rehes." Danke Lias, für alles was du für mich tust und das du für mich da bist.", meinte sie abwesend.
Der junge Mann schwieg, dann sagte er ernst:" Das ist für mich keine Last, du bist mit sehr wichtig und ich würde nie zulassen, dass dir etwas passiert. Ich denke, das weißt du."
Edanna hob den Stock auf der einen Seite und Lias die andere hoch. "Ja ich weiß, trotzdem wollte ich sicher gehen, dass du es auch weißt. Ich habe keine Angst vor der Verwandlung sondern davor, dass sich bald alles verändert. Nicht nur im Wald, sondern überall, ich spüre es. Und ich fürchte mich davor dadurch alles zu verlieren was mir irgendetwas Wert ist.", erwiderte sie.
Sie betraten, mit dem Reh auf ihren Schultern den schmalen Pfad der in den Wald hinein führte.
Lias hielt inne und sah ihr erneut fest in die Augen. Auch so eine Art von ihm, wenn er ernst wurde.
" Die Angst etwas durch Veränderung zu verlieren hatte ich damals auch, aber wir werden älter und irgendwann bemerkst du, dass auch Veränderungen ihre guten Seiten haben. Ohne sie sind wir für immer festgenagelt, unfähig zu leben oder uns und die Welt zu sehen. Du warst immer stark Eda und das wirst du auch heute sein, wenn du die Chance hast zu sehen wer du wirklich bist und egal was passiert, ich werde dir dabei helfen wenn du willst."
Eda hob den Kopf und sah ihn nun ebenso fest an." Danke Lias.", sagte sie. Nicht mehr, aber sie meinte es ernst und das genügte um ihm zu zeigen, dass sie es ehrlich meinte.
Die Zwei setzten ihren Weg fort und bald hatte Lias das für ihn typische lächeln aufgesetzt." Was glaubst du, was wird Ewer den anderen erzählt haben, als wir noch nicht gekommen sind?" Eda grinste und nahm einen schmollenden Gesichtsausdruck an." Diese verzogenen Kinder. Immer kommen sie zu spät! Aber mein Bauch kann nicht warten. Sie müssen sie bestrafen, schneidet ihnen einen Finger ab oder besser die ganze Hand." Lias prustete los, denn Eda war eine wahre Meisterin darin den armen Ewer auf sehr treffende und gemeine Art nachzuahmen.
Das Mädchen lächelte nun auch wieder und die Freunde liefen lachend und scherzend weiter ins Herz des grünen Waldes, der sie bald wie ein Ungeheuer verschluckt hatte.

Hey ihr;) danke das meine Geschichte lest und bewertet!!!!
Ich würde mich sehr über Rückmeldungen freuen:)
LG eure Soilsethuaid

The story of the Dark KingdomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt