Bedrohliche Veränderungen

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Edanna

Der Gestank war unerträglich. Eine Mischung aus bitterer Fäulnis und totem Tier. Er stach in die empfindlichen Nasen der zwei Jäger und verscheuchte ansonsten alles was kreuchte und fleuchte.
Die Stille war fast greifbar und lag schwer über der vom nächtlichen Regen feuchten Erde.
Edanna und Lias achteten auf jeden ihrer Schritte. Fast lautlos liefen sie unter den hohen Bäumen entlang.
Eine leichte Briese strich durch die rot-braunen Blätter. Edanna hoffte, dass sie den stechenden Geruch mit sich fortnehmen würde. Leider tat sie das Gegenteil und der Geruch wurde nur immer stärker und bitterer, was zu ihrem Leidwesen jeden Wildgeruch überlagerte und eine Jagd eigentlich unmöglich machte.
Aber sie waren Wölfe und wollten nicht aufgeben, bevor sie nicht wussten, wer in ihr Revier eingedrungen war.
Die Jäger verweilten kurz und Lias sog den Geruch tief ein. Er machte die Quelle des Übels aus und sie liefen leichtfüßig weiter.
Je näher sie ihr kamen, desto verlassener und seltsamer erschien der Wald. Einige Blätter zeigten schwärzliche Stellen und andere waren aschgrau.
Edanna nahm eines zwischen die Finger und zerrieb es zu feinem Staub, den der Wind mit sich fortnahm. Es stimmte sie traurig. Was konnte so mächtig sein, dass es diesen Wald, alt wie die Zeit, angriff?
So etwas war nicht natürlich, sondern ein fremder Einfluss, den weder sie noch der Wald und seine Bewohner kannten.
Die beiden Werwölfe huschten lautlos weiter, während sich ihre Umgebung immer weiter veränderte und zu sterben schien.
Erst als sie zu einer Stelle mit dichtem Gestrüpp, voller fauliger Beeren kamen, erahnten sie Geräusche in der Stille.
Es klang wie das Knacken von Ästen im Feuer und gleichzeitig wie das raue Mahlen von Stein auf Stein.
Sie setzten ihren Weg fort und bald drang eine seltsame Melodie an ihre  Ohren. Das Lied wurde immer lauter und die Stimmen, die es sangen immer derber und rauer.
Hinter einer Baumgruppe blieben sie stehen und lugten hinter den dicken Stämmen hindurch.
Edanna blieb bei dem Anblick, der sich ihnen bot fast das Herz stehen.
Vor ihnen lag eine plattgewalzte Schneise, die quer durch den ganzen Wald zu laufen schien.
Auf diesem Weg liefen Wesen, wie die Wölfe sie noch nie zuvor gesehen hatten....

Sie waren riesig, halb so hoch wie die Bäume, aber sie sahen nicht aus wie Riesen. Ihre Haut hatte die Farbe von mit Moos und Flechten bewachsenen Felsen und die Beschaffenheit von Schlangenhaut.
Ihre Körper waren muskelbepackt und schwerfällig und aus ihren Schädeln wuchsen spitz zulaufende Hörner. Die Kleidung der Kreaturen war zusammengeflickt aus metallenen und ledernen Teilen von Rüstungen und Leinen. An ihren Gürteln hingen grob, aber scharf geschmiedete Messer und Beile.
Sie wurden begleitet von starken Pferden und ochsenartigen Wesen, die vollbeladene Karren hinter sich herzogen.
Die beiden Wölfe beobachteten fassungslos und fasziniert zugleich wie die Wesen in einem nicht enden wollenden Trott an ihnen vorbeizogen. Von ihnen kam scheinbar auch das fremdartige Lied, das nun so laut war, dass es ihnen beinahe in den Ohren schmerzte.
Eda runzelte die Stirn. Sie fragte sich, was diese Wesen hier wollten. Friedlich wirkten sie jedenfalls nicht.
Der Blick von Lias verriet ihr, dass er sich wohl das gleiche fragte.
Ihr Kopf war wie lahm gelegt, nichts erklärte das Auftauchen der Kreaturen, bis ihr plötzlich auffiel in welche Richtung der Tross marschierte.
Sie stieß Lias in die Seite und legte ihm einen Finger auf die Lippen, damit er ruhig blieb.
"Sie laufen in Richtung unseres Lagers!", flüsterte sie ernst und nickte zu den Ungeheuer. Lias Augen weiteten sich. "Wir müssen irgendetwas tun. Ins Dorf laufen und die anderen warnen.", sagte sie leise und eindringlich. Seine Augen zuckten unruhig hin und her. Er schien das Risiko abzuwägen und war offenbar hin und her gerissen.
Aus Erfahrung wusste Edanna, dass ihr Freund ein ziemlicher Hitzkopf sein konnte. Viele sagten, dass er eines Tages Clananführer werden würde. Er war der beste Jäger, stark und immer um andere besorgt.
"Lias! Lass uns bitte gehen. Wir haben keine Zeit mehr!", flehte sie warnend.
Die Kreaturen stampften weiter, ihr Lied machte Edanna noch nervöser.
"Wir haben keine Chance, es sind zu viele!", redete sie weiter auf ihn ein, "das wäre reiner Wahnsinn. Wir müssen die anderen warnen!"
Lias sah sie an. In seinen braunen Augen funkelten Bedauern und Entschlossenheit. Edanna packte ruckartig seinen Arm, aber ehe sie noch etwas anderes tun konnte, um ihn aufzuhalten riss er sich los und stürmte zwischen die Reihen der Monster.
Edanna war wie festgefroren.
"Lias!", rief sie nach einigen Sekunden panisch, aber die Kreaturen hatten ihn schon bemerkt.
Ihr Trupp war fast am Ende angelangt, nur die letzten vier hielten an und blickten den jungen Mann erwartungsvoll aus ihren Augen an. Lias hatte seinen Jagdbogen gespannt und zielte damit wütend auf die Wesen vor ihm.
"Verschwindet!", brüllte er.
In seinen Augen glänzten Panik und Verzweiflung.
Das letzte der Ungeheuer lachte, was klang wie das Brechen von Ästen und das Mahlen von Donnern von Gewittern. Er grölte seinen Kumpanen etwas zu, die ein Nicken andeuteten und weitergingen.
Edanna sah unruhig und von Anspannung zitternd zwischen den Geschöpfen hin und her. Sie konnte nicht tatenlos zusehen wie diese Ungeheuer ihren Freund töten würden. Eda atmete tief durch und trat dann ebenfalls aus dem Gesträuch hinter den Bäumen hervor, ihren Bogen fest in der Hand.
"Tut was er sagt!", rief sie mit fester Stimme und sah jedem der eigenartige  Wesen warnend in die Augen. Sie waren so leuchtend gelb wie Schwefel. Verstanden sie überhaupt ihre Sprache?
Das größte der zurückgegeben Ungeheuer mit Hörnern verzog sein Maul zu einem boshaften Lächeln, wobei es seine langen und scharfen Zähne zeigte, und murmelte jedem seiner Artgenossen etwas zu.
Ihre Stimmen schienen mehr aus Geräuschen als aus Worten zu bestehen.
Lias sah Edanna verzweifelt an.
"Geh!", zischte er.
"Ich lasse dich nicht alleine mit denen!", meinte sie und wies mit dem Bogen hoch zu den Kreaturen, unsere Chance ist so schon schmal genug."
Ihr Freund nickte nachgebend und stellte sich an ihre Seite.
Die Ungeheuer hatten ihren Plausch beendet und sahen zu ihnen hinunter.
Einen furchtbaren Moment lang herrschte feindseliges Schweigen. So nahe an den Kreaturen war der ätzende Geruch noch schlimmer.
Edannas Herz schlug schnell, ihr Atem ging etwas hektischer als gewöhnlich, ihr ganzer Körper war bereit zum Angriff.
Als sie es beinahe nicht mehr aushielten, holte eine der Kreaturen aprubt mit einer riesigen Keule, aus schwerem Holz, aus und ließ sie in beachtlicher Geschwindigkeit auf die Jäger niedersausen.
Glücklicherweise waren ihre Reflexe weitaus schneller, als die der ihrer Rivalen, was ihnen einen kleinen Vorteil verschaffte und die Waffe ohne Schaden zu Boden krachen ließ.
Edanna wich ihr flink aus und schoss mit Lias ein paar Pfeile nach oben zu ihren Angreifern.
Einige trafen bloß die dunkle Schlangenhaut, in der die Wesen offenbar keinen Schmerz empfanden, denn sie machten sich nicht einmal die Mühe sie herauszuziehen.
Nur einer traf das viel empfindlichere Auge der kleinsten Kratur.
Das Moos- und Steinfarbene Wesen brüllte Ohrenzerreißend auf und ließ sein langes Messer fallen.
Aus seinem Auge, das er mit seinen klobigen Händen bedeckte, sickerte schwarzes Blut.
Die Wölfe wichen erschrocken und überrascht zurück, immer noch gefasst auf die nächste Reaktion der Kreaturen. Auch die Kumpanen des Verwundeten waren einige Sekunden lang fassungslos. Unheilspürend verfolgte Edanna das Mienspiel ihrer gesprenkelten Gesichter, in die immer mehr Wut zu treten schien.
Plötzlich verfielen die drei größeren Ungeheuer in ein kreischendes Angriffsgebrüll und machten mit ihren Beilen und Messern einen ruckartigen Sprung in die Richtung der jungen Jäger.
Lias und Eda zuckten zusammen.
Die anfangs so schwerfälligen Geschöpfe zeigten nun eine beeindruckende Geschwindigkeit und hieben und schlugen mit ihren Waffen nach ihnen aus.
Angst, kalt und giftig, drohte Edanna zu übermannen, aber sie kämpfte hart dagegen an und schaffte es mit Lias den Attacken zu entwischen, was ihre Feinde noch mehr anspornte.
Sie versuchten die beiden in ihre Mitte zu treiben und nur mühsam wandten sie sich immer wieder knapp aus der Lage.
Edannas Herz hämmerte hart gegen ihr Brustbein, ihre Nerven waren stramm wie Drahtseile und ihr Verstand erhitzt.
Sie mussten irgendeinen Weg finden, sich aus dieser Lage wieder heraus zu manövrieren oder sie würden tot und blutüberlaufen am Waldboden enden.
Das gößte Problem bestand darin, dass die Kreaturen eine bemerkenswerte Ausdauer hatten, während Eda bereits bemerkte wie die Kräfte sie und Lias langsam im Stich ließen.
Verzweifelt sprang sie hinter eines der Wesen und schoss erneut einen Pfeil nach oben zu seinem Kopf.
Ihre Finger waren feucht und zwittrig, was das Spannen des Jagdbogens deutlich erschwerte.
Wo war Lias? Von weitem war das Schnaufen der Ungeheure und das dumpfe Aufprallen von Pfeilen zu hören.
Sie konnte ihn nirgends sehen.
Ihr Geschss prallte an einem der stählernen Rüstungsteile, das die Schulter der Kreatur bedeckte, ab.
Der Koloss drehte sich um und stach mit seinem Messer nach ihr.
Die junge Frau zuckte zurück und spannte einen neuen Pfeil. Ihr Atem ging schnell, sie versuchte ihn zu beruhigen. Sie musste treffen!
Die gelben Augen der Kreaturen glühten angriffslustig und sie ließ ihr scharfes Messer erneut vorschnellen.
Eda schaffte es die Sehne loszulassen, bevor sie getroffen wurde und machte einen Satz zur Seite.
Der Pfeil fand zischend sein Ziel im rechten Auge und entlockte seinem Opfer ein schmerzerfülltes Brüllen.
Die Jägerin atmete tief durch und lächelte grimmig. Sie versuchte ihre Gedanken wieder zu sammeln.

Lias tat sein bestes nicht zerhackt oder aufgespießt zu werden, aber selbst sein Tempo ließ inzwischen merklich nach und er entkam den Hieben und Stößen jedes Mal knapper. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß und seine Finger waren Wund.
Edanna suchte hektisch mit den Augen das Szenario ab, bis sie ihren Freund links von dem größten, noch kampfesfähigen, Wesen entdeckte.
"Pass auf!", schrie sie gegen den Lärm des Gefechts an und legte einen neuen Pfeil an ihre Sehne.
Er wandte den Kopf nach ihr um und wich einem Keulenschlag aus und schoss einen Pfeil vergeblich nach seinem Angreifer. Die Rothaarige rannte auf ihn zu und feuerte nach dem gelben Augenpaar das bedrohlich auf sie herab stierte.
Der junge Mann wollte seinen Bogen ebenfalls wieder spannen, aber als er in seinen Köcher langte, griff er ins Leere.
Neue Panik stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Seine braunen Augen zuckten hilfesuchenden umher. Ein erneuter Keulenhieb riss sie fast zu Boden, gefolgt von einem Beilhieb des rechten Ungeheuers.
Lias ließ den Bogen fallen und knurrte dunkel.
In seiner Verzweiflung sah er nur noch einen Weg sich zu verteidigen.
Seine Hände wurden größer und beharrt, während sein Gesicht sich in die Länge zog. Seine Haare wurden länger und wuchsen seinen Körper hinab. Ein durchdringendes Heulen drang aus seiner Kehle.
Eda duckte sich vor einem Beilschlag und lächelte, als sie den Wolf knurrend zwischen den Kreaturen sah. Er gab ihr Kraft. Sie waren die Herren dieses Waldes und würden niemals aufgeben!
Sie packte ihren Bogen und spannte ihn, um nach dem linken Geschöpf zu schießen, aber in diesem Moment machte sein Freund einen schnellen Satz nach hinten und traf sie mit seiner Keule hart am Kopf.
Die junge Frau keuchte und schlug unsanft auf den Boden.
Ihr Schädel brummte und ihr Körper brannte wie Feuer. Sie wollte nach Lias rufen, aber der Aufschlag hatte alle Luft aus ihren Lungen gepresst.
Der Wald verschwamm immer mehr und wurde dunkler.
Sie hörte dumpfe Schläge, das metallische Summen von vorschnellendem Metall und das schmerzerfüllte Jaulen eines Wolfes, dann wurde die Welt schwarz und stumm.

Das erste was Edanna fühlte, als sie wieder zu sich kam, war die Welle von Schmerz, die wie heiße Eisen durch ihren Körper lief.
Sie verzog das Gesicht und richtete sich so langsam wie möglich auf.
Ihr Haar war zerzaust, ihre Kleidung voller Dreck und ihre Wangen feucht von salzigen Tränen.
Sie stützte sich vom Boden ab und sah sich um.
Alles war still, nur der Staub der zerfallenden Blätter fiel wie Asche leise auf den Boden.
Die Kreaturen waren fort, aber in der Luft lag noch immer ihr ätzender Gestank.
Sie blinzelte einige Mahle und fuhr sich über die müden Augen.
Als sie bemerkte, was auf dem Boden lag, blieb ihr fast das Herz stehen.
Nicht glauben wollend was es war, rannte sie so schnell sie konnte darauf zu.
Der grau-schwarze Wolf lag völlig reglos da. Der Boden unter ihm färbte sich rot von dem Blut, das langsam aus seinem Bauch sickerte.
Edanna fiel auf die Knie und sah in die Augen, die ihr vertraut und schmervoll entgegen blickten.
Sie spürte Tränen in sich aufsteigen.
Ihr Kopf war leer.
Sanft strich sie über das weiche Fell des Tieres, fast um zu prüfen ob es echt war.
Das ganze erschien ihr so surrral.
Es musste, es konnte nur ein Alptraum sein.
Einer, der sich real anfühlte, aber aus dem man erwachte und dann merkte, dass es nur ein böser Traum war.
 Nichts als eine Ausbrütung des Verstandes.
Aber sie wusste, dass es keiner dieser Träume war. Ihr leises Schluchzen klang in der toten Stille so einsam wie sie sich fühlte. Lias war ihr bester Freund gewesen. Seit sie denken konnte war sie mit ihm durch den Wald gerollt und hatte ihm alles erzählt. Das Gute und das Schlechte.
Wahrscheinlich wäre er ihr Gefährte geworden, wäre sein Leben nicht zu früh ausgeblasen worden...
Sie vergrub den Kopf an seiner Seite und krallte sich haltsuchend in das schmutzige Fell, hoffte doch noch aufzuwachen.
Aber Lias war tot wie der Wald und sie gehörte nicht in diese Welt des Zerfalls.
Eda erhob sich und trocknete ihre Tränen.
Ihre Kehle war wie zugeschnürrt.
Vorsichtig schloss sie die starren Augen des jungen Wolfes und klaubte seinen Bogen vom Boden auf.
Ihr eigener war zerbrochen, wahrscheinlich war ein schwerer Fuß der Ungeheuer darauf gelandet.
Edanna hob den Kopf. Ihre grünen Augen voller Wut und Trauer.
Sie wollte Rache! Vergeltung für das Leben ihres Freundes.
Die junge Frau blickte ein letztes Mal zurück.
"Lebe wohl mein Freund.", flüsterte sie leise, dann lief sie los.
Sie musste ihr Dorf warnen, bevor es zu spät war...

Hey:)
Ich möchte mich mal an dieser Stelle für die im Schnitt nun über 500 Reads bedanken!
Damit hätte ich echt nicht gerechnet. Danke für eure netten Kommentare und Vorschläge!
Ich hoffe ihr bleibt dran;)
LG eure Soilsethuaid







The story of the Dark KingdomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt