Schneeglöckchen

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Snowwhite

An Snowwhites 12. Geburtstag wurden die Freuden der Feier durch einen düsteren Vorfall überschattet.
Die Königin erkrankte schwer und niemand im ganzen Land vermochte es ein Heilmittel zu finden.

Ein kalter Wind strich durch die Gänge der überdachten Terrasse.
Zwischen den große Säulen hindurch konnte man direkt auf die weiten Blumenbeete und Grünanlagen der Königin schauen. Sie waren vollständig mit Schneeglöckchen bepflanzt, die jedoch langsam die Köpfe hängen ließen, als trauerten auch sie um ihre seit bereits vier Monaten kranke Liebhaberin.
Der Anblick ließ Snowwhites Herz noch schwerer werden. was sie eigentlich für unmöglich gehalten hatte.
Sie saß, eingehüllt in einen dunkelgrauen Mantel, neben Aurora.
Die Prinzessin mit den roten Haaren war mit ihrer Mutter aus dem Süden angereist sobald sie von Emelias nahendem Ende erfahren hatten.
Sie war inzwischen bereits 15 Jahre alt und war fest entschlossen, zur großen Sorge ihrer Mutter, sich einer arrangierten Ehe entgegenzusetzen.
Sie und die Tochter des Großkönigs waren trotz ihres Altersunterschiedes, genau wie ihre Eltern, gute Freundinnen und so stand Aurora Snow auch in den Stunden vor dem nahenden Tot ihrer Mutter bei.
Noch glänzte vereinzelt Schnee auf den Wiesen und der Wind fegte immer wieder eiskalte Böen durch den Säulengang.
Beide Mädchen schwiegen, denn es gab nichts zu sagen.
Nichts würde die Lage bessern oder ändern. In Snowwhite war eine unruhige Mischung aus Angst und Leere. Sie wusste, dass es keine Hoffnung mehr für ihre Mutter gab und kämpfte bereits jetzt stark gegen die Tränen. Keinen Zauber, keine Pflanze, keine Medizin, keine gute Fee und kein Wunder, das ihr helfen würde. Aber sie war eisern und zwang sich dennoch nicht aufzugeben.
Der Wind blies wieder kalt in den Gang und ließ sie erschaudern.
Die Mädchen Schlangen ihre Mäntel noch enger um sich, man hatte ihnen gesagt sie sollten draußen auf Neuigkeiten warten, das sei das Beste.
Snows Hände zitterten, doch nicht vor Kälte. Aurora bemerkte es und nahm die kalten Hände in ihre eigenen warmen. Wie verschieden sie doch waren. Die Wärme und die Kälte. Feuer und Eis. Sommer und Winter.
Die Zeit schien ewig und doch zu kurz. Sie saß der Tochter den Königin wie der Tod selbst im Nacken. Aber waren zeit und Tod nicht oft das Gleiche?
Mit jeder Sekunde wurde das Verlangen von Snowwhite ihr Mutter vielleicht zum letzten mal zu sehen größer, aber der Arzt hatte ihr jeden Kontakt verboten. "Um die Königin nicht aufzuregen", wie er behauptete.
Ärzten wiedersetzte sich niemand. Sie genossen meist höchsten Respekt und Ehrfurcht. Mehr als manchen gut tat.
Die Sonne stand bereits tief, als Catrione in den Wintergarten gelaufen kam und die schwere Stille des Wartens beendete.
Ihr Haar war zerzaust und nicht ordentlich wie sonst, auf ihren Wangen glänzten Tränen.
"Snow, es tut mir so leid.", brachte sie schließlich schluchzend hervor.
Es herrschte eisige Erkenntniss, Aurora streckte den Arm aus um sie zu trösten, aber Snow riss sich los und stand auf. Sie musste es selbst sehen. Es durfte nicht sein.
Wie in Trance rannte sie ins Schloss, die dunkle Treppe hinauf bis zu der Tür hinter der ihre Mutter lag.
Die Fenster des Zimmers waren geöffnet und ließen die Kerzen, der aufgestellten Ständer erzittern.
Die Königin lag in ihrem Bett, die Vorhänge wehten leicht in der Briese und umhüllten ihre Ruhestätte.
Snowwhite schritt langsam zu ihrer Mutter, sie hatte Angst, glaubte im Herzen doch noch immer an ein Wunder. Das Haar von Emelia war weiß wie Schnee durch ihre Krankheit geworden, aber sonst wirkte sie noch jung und nur erschöpft.
Die Prinzessin trat ganz nah an das Bett und nahm vorsichtig ihre Hand.
Ihre Mutter öffnete schwach die Augen. "Snow, bist du es wirklich?", flüsterte sie langsam.
Snowwhite nickte und spürte gleichzeitig wie ihre Augen brannten und Tränen ihr die Sicht versperrten.
Emelia schloss kurz die Augen, doch ein leichtes Lächeln lag nun auf ihrem Gesicht.
"Nein Mutter, bitte bleib hier bei mir.", rief das kleine Mädchen ängstlich und wischte sich mit dem Ärmel über ihre Augen.
"Ich muss gehen, mir wird es dort gut gehen, auch wenn ich deinen Vater und dich sehr vermissen werde Snow.", flüsterte die sterbende Herrscherin schwach und strich ihrer Tochter sacht über die schwarzen Haare." Hör mir zu, Snow, was auch passiert, ich will das du glücklich bist.
Du bist stark und hast ein gutes Herz.
Das ist wahre Schönheit."
Sie ließ ihre Hand müde wieder zurück gleiten. "Ich werde immer bei dir sein meine Kleine.", war das Letzte was über ihre farblosen Lippen kam, ehe sie die Augen schloss und mit einem sanften Lächeln aus dem Leben schied.
Snow fühlte neue Tränen in sich aufsteigen, ihre Kehle war so zugeschnürrt wie ein Korsett und auch hier glaubte sie keine Luft mehr zu bekommen.
Die Hand ihrer Mutter lag noch immer warm in der ihren.
Nun betrat der König das Zimmer.
Er schwankte leicht und auf seiner Stirn glänzten kühle Schweißtropfen.
Als er seine Frau reglos im Bett liegen sah, torkelte er zu ihr.
"Nein Emelia, warum? Bitte nicht.", schluchzte er und wirkte dabei mehr wie ein Kind, als der Herrscher eines großen Landes.
Da brachen alle Dämme und Snowwhite konnte die Tränen nicht länger zurück halten. Hysterische Schluchzer schüttelten sie immer und immer wieder. Verschwommen nahm sie war, wie einige Leute ins Zimmer liefen und versuchten sie zu beruhigen.
"Mama bitte wach auf!", drang als letzter Hilferuf zwischen all ihren Tränen hervor, die bald das Bett durchnässten.
Doch die Königin wachte nicht auf.

Eine Woche nach dem Tod der Königin über die gesamten nördlichen Länder fand ihre Beisetzung statt.
Wieder einmal waren alle kleineren Königshäuser vertreten, aber diesmal um zu trauern.
Catrione war die vergangene Woche geblieben um auf Snowwhite zu achten. Aber ihre Versuche sie wieder aufzurichten waren an der harten Schale aus Schmerz und Trauer abgeprallt.
Der Zustand des Königs war sehr instabil gewesen. Er trank viel und war nur in wenigen Momenten nüchtern. Aber am Tag der Beerdigung riss er sich zum Wohle aller zusammen. Snow war sehr in sich gekehrt und sprach kaum ein Wort, niemand konnte ahnen wie tiefe Narben der Tod ihrer Mutter hinterlassen hatten und welche Folgen sie haben würden...
Der Sarg aus Ebenholz wurde mit Erde bedeckt und mit den letzten Schneeglöckchen bepflanzt, die unter dem unaufhörlichen Regen gefahr liefen zu ertrinken.
Snow blieb als Letzte am Grab zurück , sie weinte nicht mehr, doch in ihrem Inneren schmerzte noch immer alles.
Sie kniete sich hin und strich mit ihrer Hand über den von Blumen umrahmten Mamor. Er war so kalt und hielt die Königin für die Ewigkeit in Stein fest. Snowwhite legte ihren Kopf auf den Stein, als würde sie sich an ihre tote Mutter schmiegen, dabei fiel ihr das Medallion aus dem Ausschnitt ihres Kleides.
Sie schreckte hoch. Catrione hatte gesagt, sie solle es erst dann öffnen wenn es keine Hoffnung mehr gäbe. Der Moment musste gekommen sein. er musste einfach!
Hastig streifte sich das Mädchen die Kette über den Kopf und fuhr über das filigrane Silber.
"Nicht!",sagte eine klare Stimme hinter ihr.
Snowwhite sah Catrione flehend an.
"Der Augenblick ist noch nicht gekommen.", meinte die Königin ernst, "noch ist nicht alle Hoffnung verloren und deine dunkelste Stunde noch nicht gekommen."
"Meine Mutter ist tot.", presste Snow hervor. Ihre Augen begannen schon wieder feucht zu werden.
Catrione nickte:" Ja, aber sie würde nicht wollen, dass du aufgiebst. Sie wird immer über dich wachen. Lebe dein Leben Snowwhite. Finde wieder Freude, wie es deine Mutter gewollt hätte." Sie nahm die Prinzessin kurz in den Arm. "Wir werden uns wiedersehen.", versprach sie leise, aber in ihrer Stimme schwangen Sorge und Zweifel mit.
Snow wagte ein Lächeln und nickte stark. Sie hatte ja recht. Schnell lief dann zu ihrem Vater, der sie ebenfalls fest an sich drückte. "Wir werden das schaffen Snow, es wird alles gut.", flüsterte er ihr ins Ohr. Dann nahm er sie bei der Hand und Vater und Tochter schritten den vom Regen rutschigen Weg entlang.
Doch noch waren nicht alle Trauergäste fort.
Erstaunt sah Snowwhite eine junge Frau auf sie und ihren Vater zukommen.
Sie war groß und schlank, ihre Haut war fast so hell wie die von Snow, doch ihr Haar war hellblond, beinahe weiß und lag unter einer, zwischen all dem tristen schwarz auffalenden, dunkel violetten Kapuze.
Instinktiv klammerte die Prinzessin sich näher an ihren Vater, die Frau, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, schüchterte sie ein. Der König blieb stehen und wartete.
Die Schöne verneigte sich vor den beiden. "Mein Beileid eure Majestät", hauchte sie mit einer Stimme klar und kalt wie Glas, und schlug die stechend blauen Augen nieder.
Der König nickte und küsste ihre Hand. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden."Gestattet mir die Ehre auch euren Namen zu erfahren.",bat er.
Die Frau erhob sich, ohne auf Snowwhite zu achten.
Ihre Augen durchbohrten den Herrscher, sie glich einem Tiger, der sich gerade für sein Jagdopfer entschieden hatte.
"Natürlich. Mein Name ist Iris und ich komme von einer kleinen Insel im Nordwesten.", sagte sie ohne zu blinzeln.
"Wie interessant!", meinte der König und schlenderte neben ihr den Weg hinab her.
Das Snowwhite, seine Tochter, noch hinter ihm stand bemerkte er nicht.
Er war schon in die Falle der mysteriösen Frau getappt und würde jämerlich in ihr verenden...

The story of the Dark KingdomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt