Kapitel 6

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~Der Druck steigt, Atem blockiert.
Wir scheitern immer schöner
Sind Versager mit Stil.~

Luke führte mich über eine Treppe nach oben. Ich bekam es immer noch nicht ganz mit, ließ es aber zu. Ich war enttäuscht von mir selber und ich merkte ,dass ich weinte. Meine schlechten Erinnerungen hatten gewonnen. Tränen flossen über meine Wangen. "Du musst kurz stehen okay?" Ich nickte schwach und merkte, dass er mich die ganze Zeit getragen hatte. Wieso ließ ich ihn mich so sehen? Ich schluchzte wieder auf. Schwäche war die Antwort. Zu schwach alles zu verdrängen. Er kam wieder zurück und diesmal bestand ich dadrauf alleine zu gehen. Nicht, dass ich nicht lieber getragen worden wäre, nein das war es nicht, ich wollte meinen Stolz noch ein wenig aufrecht erhalten. Er nickte verständnisvoll, sah aber für einen Augenblick so aus als würde er es trotzdem tun. Gut, dass er es nicht tat, denn ich hätte nichts weiter gegen unternommen. "Dann komm." Wir gingen um die Ecke und zu einer Leiter, die weiter nach oben führte. Wind und kalte Luft wehten mir entgegen. Er fing an zu klettern und ich tat es ihm nach trotz dass ich zitterte. Luke zog sich mit Leichtigkeit über die Schwelle, aber ich schaffte es nicht. Er streckte die Hand aus und deutete ein Lächeln an. Ich packte sie und ließ mich von ihm hochziehen. Und da waren wir. Er führte mich weiter übers Dach, dadrauf bedacht, dass ich nicht fiel. Meine Hand ließ er nicht los bis wir den höchsten Punkt erreicht hatten. Ich starrte auf die fielen Lichtpunkte die sich in der Ferne abbildeten. Auf die Stadt, die man von hier aus so gut sehen konnte. Ich hatte aufgehört zu weinen bei dem Anblick. Er bedeutete mir mich hinzusetzen und das tat ich dann auch, lehnte mich an ihn und schaffte es zu verdrängen. "Hatten sie recht?" Ich blickte nach unten und schwieg. Er wusste was das bedeutete. "Das macht dich nicht zu einem Freak." Ich blickte ihn jetzt direkt an, in seine eisblauen Augen, die mich zu durchbohren schienen. "Vielleicht nicht zu einem Freak, aber zu etwas anderem." "Ist anders sein so schlimm?", erwiderte er. Eine Träne floss wieder über meine Wange und ich nickte langsam. "Man wird von der Gesellschaft bestraft wenn man anders ist. Man wird nicht akzeptiert, manchmal ausgegrenzt." Unsere Gesichter trennten nur Milimeter. Die Gesichter zweier sich fremden Personen, die alleine der Augenblick band. Er schien mich auf eine Art zu verstehen. "Ist dir das passiert?", fragte er. "Hm", war das Einzige was ich darauf antworten konnte. Luke wusste was es bedeutete. "Wieso?" Ich sah ihn verwirrt an. "Was wieso?" Er seufzte. "Wieso warst du in der Psychatrie?" "Wieso ich irre war oder bin?" Ich holte tief Luft. "Die Welt. Die Menschen. All das macht mich fertig." Er nickte. "Ich weiß was du meinst." "Ja. Das was sie eben gesagt hat-psychotic- es stimmt, irgendwie bin ich es noch immer." "Attraktiv sein vergeht auch meistens nicht", war das Einzige was er dazu sagte. "Was?" Er schmunzelte leicht. "Überleg mal. Das Wort psychotic enthält das Wort hot." Ich fing ein wenig an zu lachen, so bescheuert war das was er eben gesagt hatte und schüttelte den Kopf. "Ja klar." Ich verlor mich wieder in den Augen des fremden Jungens vor mir, fühlte mich betrunken, überemotional. Einerseits war ich innerlich am bluten, von all dem was wieder hochgekommen war, andererseits genoss ich das ganze. Hier auf dem Dach zu sitzen mit der besten Aussicht und einem Jungen, der mich ehrlich zum lachen brachte. Ich stand auf und lehnte mich über den Abgrund. Kurz vorm Fall oder wieder der Weg zurück? Die Lichter schienen so hell in der Dunkelheit, beleuchteten unseren Platz. Ich atmete ein. Ich atmete aus. Meine Hände lagen auf dem kalten Geländer vor mir. Ein Meter trennte mich und den Tod- die Klippe. Ein. Aus. Ich schloss die Augen für einen Moment. Aufeinmal streifte etwas sanft über meinen Nacken und mein Atem stoppte. Er legte die Hände auf meine Hüfte, drehte mich langsam zu ihm. Ich war wie elektrisiert, genoss dieses Gefühl. Meine Hand streifte sein Gesicht-ein schönes, markantes Gesicht mit einer gewissen Weichheit. Die eisblauen Augen schienen jedes Detail von mir aufnehmen zu wollen, seine  Hand wanderte weiter nach oben. Er beugte sich näher ran. "Vergiss nicht zu atmen, Prinzessin ." Er lachte leise und ich musste automatisch lächeln. Wir verharrten einfach so, sahen uns gegenseitig in die Augen in dem Versuch zu verstehen was der andere dachte. Wir überbrückten die letzten Milimeter und unsere Lippen berührten sich sanft. Irgendwas regte sich in mir. War das glücklich sein? Wenigstens für einen Moment? Wir entfernten uns wieder voneinander, doch ich zog ihn zu mir und wieder trafen unsere Lippen aufeinander. Meine Hand fuhr durch seine kurzen, weichen Haare. Wir hielten uns wie zwei Ertrinkende, wir waren das Rettungsboot für den jeweils anderen. Die Küsse wurden intensiver. "Ich kannte diesen Jungen doch garnicht", schrie mir meine denkende Seite des Gehirns zu. Aber ich ignorierte sie. Er küsste meinen Hals und mein Atem wurde schneller. "Nein", sagte ich dann aufeinmal. Er reagierte und entfernte er  sich. "Nein?" Ich schüttelte den Kopf. "Wir kennen uns nicht." "Es tat dir gut." "Ja." Mehr sagte ich nicht. Er kam wieder rüber. "Danke", flüsterte ich leise. "Ich würde es wieder tun,"erwiderte er. Und dann ging ich.

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