Kapitel 7

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Als ich das Schloss verlasse, sehe ich mehrere schwarze Raben in den Himmel Richtung Schloss fliegen. Ich beeile mich, denn ich will Mr. Shiver nicht begegnen. Als ich den Wald verlasse, ist der kleine Pfad, den ich mir "geschaufelt" habe noch da. Ich gehe den gleichen Weg nach Hause durch die kleine Schneise im Schnee. Ich kann immer noch nicht glauben, was Mr. Brown erzählt hat. Er wollte Marla nur in Schutz nehmen. Wie bitteschön wollten sie mich beschützen? Ich kann auf mich selber aufpassen. Vielleicht kann Marla mir sagen, wo ich anfangen soll zu suchen und dann schaffe ich das auch allein.

Als ich schließlich in die Küche komme, steht Marla schon wieder an einem neuen Versuch für ihre eigene Teesorte. Sie war mal wieder im Wald, um Kräuter zu sammeln und will sie jetzt wie immer in eines ihrer ekligen Gebräue verpacken. "Hallo Amy", sagt sie, als sie mich sieht, "Möchtest du eine neue Teesorte probieren? Ihr habt in eurem Wald wirklich köstliche Kräuter." Sie sieht mich mit großen Augen an. "Nein, danke Marla. Ein andermal vielleicht", sage ich schnell und schüttele den Kopf. "Tante Marla, ich muss mit dir reden", beginne ich vorsichtig. Marla sieht mich erwartungsvoll an. "Was ist denn, Schätzchen?", fragt sie. "Ich....also ich brauche deine Hilfe. Du musst mir helfen, die Winterkönigin zu finden. Mr. Brown hat gesagt, du kannst mir helfen. Ich muss nur wissen, wo ich anfangen soll zu suchen", sage ich und sehe sie mit meinem nettesten Lächeln an. Marla überlegt. Dann lächelt sie und sagt: "Aber gerne doch mein Schatz." Ich hasse es, wenn sie mich so nennt, "Lass uns morgen früh mit meinem Bus losfahren." "Gut", sage ich schnell und drehe mich zu Tür, damit sie mir nicht vor lauter Freude noch etwas von ihrem widerlichen Gebräu anbietet. Damit muss ich mich jetzt wohl die nächste Zeit zufrieden geben. Marla ist und bleibt verrückt, aber bald werde ich sie los sein. Ich hoffe es.

Ich stehe wieder in meinem Zimmer. Die Sonne ist schon lange unter gegangen. Es war ein langer Tag. Ich setze mich auf mein Bett. Diesmal starre ich nicht an die Decke. Ich blicke auf mein Bücherregal. Vielleicht muss ich mich für die Suche ja auch etwas schlau machen. Also stehe ich auf und fahre mit den Fingern über die Bücher. Die meisten hat mir Mr. Brown geliehen. Ich habe kein einziges Wort in ihnen gelesen. Viele sind sehr alt und das Papier ist schon braun. Ich nehme eines der Bücher aus dem Regal. Es ist dick und schwer. Auf dem verstaubten Buchdeckel steht in großen verschlungenen Buchstaben: Sommer & Winter. Ich öffne das Buch in der Mitte und finde Bilder und Zeichnungen vom Schloss im Wald. So perfekt hätte ich sie niemals hinbekommen, auch wenn ich früher Stunden und Tage damit verbracht habe, das Schloss zu beobachten und zu zeichnen. Jede kleinste Figur ist auf der Zeichnung zu sehen. Alle Schnörkel und Gemälde am Schloss, die Raben, bis hin zu den grauen dunklen Wolken, die meist über dem Schlossturm thronen. Ich merke, wie mir ein leichter Schauder über den Rücken läuft. Das Bild wurde im Sommer gezeichnet. Allerdings sind dort keine anderen Tiere außer den Raben zu sehen. Als ich die Seite umblättere, steht dort in den gleichen verschlungenen Buchstaben ein Text geschrieben. Leider ist das irgendeine Geheimsprache. Ich verstehe also kein Wort. Ich blättere weiter und finde immer mehr Bilder vom Wald und von magischen Wesen. Auf einem ist genauestens eine Hand gezeichnet, über der ein kleiner gelbroter Feuerball schwebt. Ich fahre mit meinem Finger über die Seite. Dann lege ich das Buch auf den Boden und öffne meine Hand. Die Wärme fährt von meinen Zehen aus durch den ganzen Körper bis zu meinem linken Arm. An meiner linken Hand bilden sich kleine Flämmchen, die an meinen Fingerspitzen aufflammen. Ich bewege meine Finger und forme die kleinen Flämmchen so zu einem Feuerball. Wie auf dem Bild schwebt der kleine gelbrote Ball jetzt über meiner Hand. Ich lächele. Es ist ein schöner Anblick, wenn man sonst nur Schnee und Eis zu sehen bekommt. Langsam schließe ich meine Hand wieder zu einer Faust und der kleine Feuerball verschwindet. Die Wärme fährt von meinen Fingern wieder zurück in meinen Körper, wo sie sich gleichmäßig verteilt. Als ich mich wieder dem Buch zuwende, ist die Hand auf dem Bild auch zu einer Faust geschlossen und der Feuerball verschwunden. Ich blättere vor und zurück, doch das Bild von vorher ist nicht mehr zu finden.

Ich will das Buch gerade frustriert zuklappen, da fällt mir ganz hinten, auf der allerletzten Seite eine Landkarte auf. Sie sieht auf allerersten Blick aus wie eine Schatzkarte. Ich kann in den Umrissen kein Land und keine Stadt erkennen. Auch die Ortsnamen, die an den einzelnen schwarzen Punkten stehen, kenne ich nicht. Eine rote Linie führt von Punkt zu Punkt und endet wieder dort, wo sie angefangen hat. Die ganze Route sieht aus wie ein Kreis. Durch ihn hindurch verlaufen ungerade, wellige Linien in blauer Farbe. Sie stellen wahrscheinlich Flüsse dar. Ist das vielleicht die Karte, die uns bei der Suche helfen kann? Verwundert klappe ich das Buch zu. Wieso habe ich in all diese Bücher noch nie einen Blick geworfen? Sie stehen dort schon Ewigkeiten. Ich stelle das Buch zurück ins Regal. Die anderen sehen auch nicht schlecht aus. Vielleicht kann ich sie gebrauchen, wenn es morgen los geht. Also gehe ich zu meinem Schrank und nehme eine alte Holzkiste heraus. Sie ist gefüllt mit nutzlosen Spielzeug und liegt schon ewig unbenutzt in meinem Schrank. Ich öffne den quietschenden Deckel und leere die Kiste auf meinem Fußboden aus. Spielzeugautos, kleine Bilderbücher, Spielfiguren und alte Puppenkleider landen auf meinem Fußboden. Anschließend räume ich die restlichen alten Bücher, geordnet nach Größe und Dicke, in die Kiste ein. Das dickste Buch, mit der Aufschrift Sommer & Winter und der Landkarte, packe ich in meinen Rucksack. Dann schließe ich den Deckel der Kiste. Hoffentlich weiß Marla wirklich so gut Bescheid, wie Mr. Brown gesagt hat. Zufrieden schalte ich das Licht aus und gehe ins Bett.

Ich wache von einem nicht endenden Klopfen an meiner Tür auf und sehe auf die Uhr. Es ist 1 Uhr nachts. "Ja?", murmele ich und ziehe mir die Decke über den Kopf. Jemand betritt das Zimmer. Unter der Decke sehe ich nicht, wer es ist. "Wir müssen jetzt los", höre ich Marlas Stimme, "schläfst du immer noch?" "Jetzt nicht mehr", sage ich genervt und strecke meinen Kopf unter der Decke hervor. "Du siehst müde aus, Amy", sagt sie, "Ich werde dir einen Tee machen." Alles, aber nur nicht das. Blitzschnell bin ich aus dem Bett aufgestanden. "Ich bin nicht müde", sage ich schnell, um nicht Einen von Marlas Tees trinken zu müssen. "Dann ist ja alles gut", sagt Marla und lacht, "Wir treffen uns in einer halben Stunde in meinem Auto." Dann geht sie aus dem Zimmer. Ich öffne mein Fenster und sehe hinaus. Draußen sieht es so friedlich aus. Ich sehe in den Himmel. Alles ist dunkel, nur der Mond erstrahlt am Nachthimmel. Abermillionen von Sternen leuchten um ihn herum. Plötzlich sehe ich eine Sternschnuppe zwischen den Sternen aufblitzen.

Jetzt darfst du dir etwas wünschen.

Wind bläst durch die Bäume. Ich beginne zu zittern. Schnell schließe ich das Fenster wieder und schnappe mir meinen Rucksack.

Nachdem ich aus dem Bad komme, laufe ich die Treppe herunter und gehe in die Küche. Auf dem Tisch in der Mitte steht meine Trinkflasche. Ich nehme sie und fülle sie mit Wasser. Dann schnappe ich mir die Tüte mit den Brötchen, die Mum gestern gekauft hat. Wenn ich weg bin, kann sie mich eh nicht mehr fragen, wo sie sind. "Gehen wir?", fragt Marla. Sie steht in der Tür, dick eingemummelt in Pullover und Jacken. Ich nicke und folge ihr nach draußen zu ihrem Bus. Er ist der einzige Klecks Farbe im Schnee. Ich wische die Kekskrümel vom Beifahrersitz und setze mich. Dann schließe ich die Tür und Marla schaltet den Wagen an. Eine dicke Rußwolke steigt aus dem Auspuff auf. "Los geht's", sagt sie triumphierend und fährt los.

Aus Feuer und EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt