Jahr 4572 des Lunor- Zyklus,
Najran 4.Mond, Tag 21,
Morgen
Cadras, Narrag
Der Vermummte
Im Versteck der Füchse, tief unten in den weitläufigen, düsteren Gewölben der alten, verwinkelten Stadt Narrag, lief ein junger Mann unruhig hin und her. Er trug einen schwarzen, wallenden Umhang, dessen Kapuze er über seine hellen Haare bis tief ins Gesicht gezogen hatte. Auch der Rest seiner Kleidung war schwarz wie die Nacht.
Das einzige Andersfarbige an ihm war ein breiter Armreif aus gehämmertem Silber, den er an seinem rechten Handgelenk trug und der ihn als den Vermummten, den Anführer der Füchse, auswies. Eine einsame Fackel in ihrer eisernen Halterung an der Wand ließ verzerrte Schatten über die steinernen Wände tanzen. Das Dämmerlicht ließ die grauen Augen des Vermummten beinahe so schwarz und leblos erscheinen wie seine Kleidung.
Er wartete und ging dabei auf und ab. Elf Schritte bis zur Tür, elf Schritte wieder zurück. Immer und immer und immer wieder lief er hin und her. Seine Hände öffneten und schlossen sich nervös. Er hasste es, wenn man ihn lange warten ließ. Und das geschah leider nur allzu oft. Diese verdammten Straßenkinder konnten nur eines gut. Stehlen und lügen. Aber sonst... Sonst waren sie zu nichts fähig!
Von der Tür kam ein zögerndes Pochen.
Der Vermummte überprüfte den Sitz des Tuches, das sein Gesicht verbarg, straffte sich und rief: „Herein!"
Ein kleiner, schmächtiger Junge, mit feuerrotem, nach allen Seiten abstehendem Haar und zerschlissener Kleidung trat ein.
„Ihr habt mich gerufen?", fragte er schüchtern und ließ seinen Blick unruhig in der steinernen Kammer umherwandern, als erwarte er in jeder Nische ein Gespenst oder ein Monster, wobei der Vermummte in seinen Augen wohl zu Letzteren zählte. Der Junge fühlte sich so tief unter der Erde definitiv nicht wohl. Das sah man von weitem. Fast hätte der Vermummte gelächelt.
Er war wohl der Einzige, der sich in der ewigen, kalten Dunkelheit und Stille der alten Gänge und Hallen unter Narrag wohl fühlte. Den Stützpunkt der Füchse in das unterirdische System zu verlegen hatte aber auch andere Vorteile.
Nichts fürchteten die Soldaten des Fürsten mehr, als sich in den endlosen Gängen und Hallen zu verlaufen. Noch nie war eine Patrouille weiter, als der Schein einer Fackel reicht, hier hereingekommen. Und wer es doch einmal wagte, wurde von den Füchsen erfolgreich in die Irre geführt. Wem das passierte, der kam nie wieder zurück an die Erdoberfläche.
„Du hast mich warten lassen!" entgegnete der Vermummte scharf. „Du weißt doch wie sehr ich das hasse! Und ja, ich habe dich gerufen. Vor mehr als zwei Stunden!" Der Vermummte verschränkte die Arme und sah mit eiskaltem Blick auf sein Gegenüber hinunter. Dieser schien noch kleiner zu werden als er ohnehin schon war und schaute auf seine nackten, von dunklem Staub überzogenen Füße.
„Verzeihung, Herr", murmelte er.
Der Rotschopf wusste, dass der schwarz Vermummte nicht nur der unumstrittene Anführer der Füchse, der größten Diebesbande Narrags, sondern auch ein kaltblütiger Mörder war, der keinen Spaß verstand, wenn man Fehler machte.
Oder ihn zu lange warten ließ! Der Fürst, Ardal Narrag, dessen Namen die Stadt trug, hatte schon lange hohe Geldsummen auf den Kopf des Vermummten ausgesetzt. Die Reichen und Adeligen jedoch machten so manches verbotenes Geschäft mit ihm. Auf Kosten anderer natürlich.
Aber niemand kannte sein Gesicht. Niemand wusste wer er wirklich war und schon gar nicht woher er kam. Und das war auch gut so. Denn das war sein größtes Geheimnis, von dem er hoffte, dass es nie jemand in dieser Stadt herausfand. Auf diesem Geheimnis baute sein gesamtes Leben.
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Prophecy - Die Vierte Tochter des Windes
FantasyEin Mädchen aus unserer Welt, Eine Diebin, halb Mensch, halb Sassyhre, Und eine uralte Prophezeihung, die Beide früher oder später zusammenführen wird. Mira hat keine Ahnung, wie sie sich verhalten soll, als sie plötzlich in einer Welt aufwacht, in...