Ein Auftrag

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Jahr 4572 des Lunor- Zyklus,

Najran 4. Mond, Tag 21,

Nachmittag,

Cadras, Narrag

Rana

Jetzt, dachte ich, als sich der dicke Verkäufer katzbuckelnd einem gut gekleideten Mann zuwandte.

Ich verließ mein Versteck hinter einem Stapel Körbe und rannte auf den Stand zu. Blitzschnell griff ich nach dem dicken Lederumschlag, den ich schon seit einer Stunde im Blick hatte. Der Umschlag war schwerer, als ich erwartet hatte. Sofort krallten sich meine Finger fester in das Leder. Auf keinen Fall wollte ich meine Beute wieder verlieren, und schon gar nicht diese!

Bevor der Verkäufer überhaupt reagieren konnte, sprang ich hoch und landete lautlos auf dem Dach des Marktstandes. Es war eine Konstruktion aus Holzstangen, über die ein dickes, braunes Tuch gespannt war. Ich war zwar nicht schwer, dennoch vermied ich es auf das Tuch zu treten und balancierte über die Holzstangen auf das nächste Haus zu.

Unter mir brach Tumult aus. Ich hörte den Verkäufer mit schriller Stimme nach den Wachen rufen. Immer mehr Marktbesucher wurden auf mich aufmerksam. Ich spürte ihre Blicke, die mir folgten. Manche neugierig, manche ängstlich. Ein Wispern ging durch die Menge.

„Die Katze, seht, sie ist wieder da!"

Ich grinste. Wieder da, das war gut. Ich war nie weg gewesen. Ich hatte lediglich ein paar Tage untertauchen müssen, um den Wachen zu entkommen. Es war wirklich nicht angenehm gewesen zu merken, wie sich die Tage in die Länge ziehen konnten, wenn man nichts anderes zu tun hatte als in einem dunklen Keller herumzusitzen!

Ein weiterer Sprung, dann stand ich auf dem Dach des Hauses. Um mich herum erstreckte sich ein Meer aus hellen staubigen Flachdächern. Ich rannte los.

Wie ich das vermisst hatte!

Lautlos übersprang ich eine schattige Gasse nach der anderen, vergaß den Lärm der Stadt unter mir. Ich spürte den Wind in meinen Haaren und die Wärme der steinernen Dächer unter meinen Füßen. Dieses Gefühl, es war fast wie fliegen!

Ich passierte die niedrige Mauer, die das Südviertel vom Ostviertel trennte, auf dieselbe Weise wie immer. Selbstverständlich ging ich nicht durch eines der Tore, die die Mauer durchbrachen, sondern suchte mir einen geeigneten Hinterhof und kletterte über die Mauer. Kaum war ich im Ostviertel, ging ich wieder auf den Dächern weiter. Das Ostviertel Narrags, Edans Viertel, war das Ärmste der Stadt. Hier war ich zuhause. Ich brauchte mich nicht mehr zu beeilen. Stehen blieb ich trotzdem nicht. Auch in Edans Viertel gab es genug Soldaten und einige von denen wussten von den Wegen über die Dächer. Erst als das breite Band des Narrakas vor mir zwischen den Flachdächern, der einfach gebauten Häuser auftauchte, blieb ich kurz stehen.

Der Fluss war die Lebensader der Stadt. Er durchfloss sie von Westen nach Osten und teilte jeweils das Viertel Edans und Najrans in zwei Hälften. Najran war der Gott des Wassers und das Westviertel unter seinem Schutz profitierte am meisten von dem breiten Strom. Von dem klaren Wasser, das dort nach Narrag herein floss war hier nichts mehr zu sehen. Braun gefärbt und stinkend brauste der Narrakas durch das Ostviertel, er war nach der Regenzeit im Herbst über die Ufer getreten und hatte die behelfsmäßigen Hütten an seinen Ufern weggespült. So wie jedes Jahr.

Nach der Regenzeit würden die Hütten und Zelte wieder aufgebaut, nur um bei der nächsten Überschwemmung wieder in den Fluten zu verschwinden. Sie wie jedes Jahr.

Doch so viel geregnet, wie in diesem Herbst, hatte es schon lange nicht mehr. Dieses Jahr hatte es Schäden in der ganzen Stadt gegeben. Von den drei Brücken, die in Edans Viertel über den Fluss führten, stand nur noch eine. Die beiden Anderen waren aus Holz gewesen, mehr schlecht als recht zusammengenagelt, da die Stadt angeblich kein Geld für weitere Brücken hätte. Die Bewohner des Ostviertels hatten andere Lösungen gefunden. In regelmäßigen Abständen überspannten Seile den Fluss, die meisten von ihnen mit Körben daran, um sich und sein Hab und Gut von der Einen zur anderen Seite zu hangeln.

Prophecy - Die Vierte Tochter des WindesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt