Gefangen (Teil 1)

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Jahr 4572 des Lunor-Zyklus,

Najran, 4.Mond, Tag 22, Mitternacht,

Cadras, Narrag,

Rana

Was für eine verflixte Situation, schoss es mir durch den Kopf, als ich die schwarzen Bodenplatten anstarrte, die einen sicheren Weg durch diesen Gang darstellten. Leider gab es enttäuschend wenige dieser Bodenplatten. Seit fast fünf Minuten stand ich schon auf dem Sockel einer Statue, umgeben von weißen Bodenplatten. Ich hütete mich davor, diese Steine auch nur zu berühren. Ich hatte die kleinen Öffnungen in der Wand längst gesehen und die Falle durchschaut. Trat man auf die falsche Stelle, so wurde man aufgespießt!

Ich schaute den Gang zurück. Der Weg bis hierhin war erstaunlich leicht zu finden gewesen. Anscheinend vertraute man der Wirkung der Fallen. Plötzlich fiel mir etwas auf. Im ganzen Gang standen in regelmäßigen Abständen Statuen aus buntem Glas.

Und zwischen den Statuen und der Wand war jeweils soviel Platz, dass sich eine schmale Person dazwischen zwängen konnte. Ich untersuchte die Wand hinter der Statue auf deren Sockel ich stand. Und wie ich vermutet hatte, waren hinter der Statue keine Öffnungen für Pfeile und Speere vorhanden. Ich band meine Tasche los und quetschte mich hinter die Statue. Es war so eng, dass ich kaum noch richtig atmen konnte, doch glücklicherweise stellte die Statue kein Kind sondern ein großer, breiter Mann dar, hinter dem ich mich wunderbar verstecken konnte. Als ich mir sicher war, dass ich komplett von der Statue verdeckt wurde, ließ ich die Tasche fallen und zog meinen Arm so schnell ich konnte zu mir heran. Meine Tasche traf dumpf auf dem Steinboden auf. Ein Klicken ertönte. Ich hatte die Falle ausgelöst! Fast im selben Augenblick schossen messerscharfe Metallspeere aus den Wänden, begleitet von einem scharfen Zischen. Aus Reflex schloss ich die Augen, stand stocksteif da und wartete bis sich nichts mehr rührte. Wäre das ein normaler Auftrag gewesen, wäre ich lieber umgedreht als eine solche Falle auszulösen. Aber dies war eben kein normaler Auftrag!

Entweder ich schaffte es mit dem Stern wieder aus der Burg heraus oder ich starb bei dem Versuch. Und dann würden auch Djego und Mian sterben. Ich holte tief Luft und öffnete die Augen. Der zuvor leere Gang war nun mit einem Netz aus glänzenden Speeren durchzogen. Aber meine Theorie hatte sich bestätigt. Der Fürst wollte seine wertvollen Statuen nicht selber zerstören und so hatte jeder Speer wenige Fingerbreit vor dem fragilen Glas gestoppt. Und ich war noch in einem Stück!

Ich zwängte mich hinter der Statue hervor und hob meine Tasche auf. Dann machte ich mich auf den Weg. Vorsichtig schlängelte ich mich zwischen den Speeren hindurch. Ich gab mir Mühe sie möglichst nicht zu berühren, was jedoch nicht nötig war. Es gab keine weitere Falle, die absichern sollte, dass der Eindringling auch wirklich tot war. Als ich den Speerwald hinter mir gelassen hatte, rückte ich meine Tasche zurecht und ging auf Zehenspitzen vorsichtig weiter. Jeden Moment rechnete ich damit auf eine weitere Falle zu stoßen, die ich nicht umgehen konnte, oder eine auszulösen, die mich auf der Stelle tötete. Dass nichts mehr geschah machte mich nur noch nervöser. Der Boden war wieder mit Teppichen ausgelegt und in den Wänden waren keine Öffnungen mehr zu sehen. Schließlich bog ich um eine Ecke und fand mich plötzlich in einer Sackgasse wieder. Vor mir ragte ein riesiges Gemälde in die Höhe. Die ganze Wand war bemalt. Ich erkannte den großen Marktplatz und Yotas Tempel im Hintergrund. Unschlüssig starrte ich das Bild an.

Es musste einen Durchgang geben, da war ich mir sicher. Ich hatte schon öfters mit solchen getarnten Geheimgängen zu tun gehabt und oft war ich überrascht gewesen, wie viel man mit einer optischen Täuschung verbergen konnte.

Systematisch tastete ich die Wand ab und suchte nach einem verborgenen Hebel oder einem Türgriff. Als meine Finger über die Maske eines Gauklers strichen, hielt ich inne. Die Augen der Maske waren Öffnungen! Ich griff mit zwei Fingern hinein und tastete nach einem Auslöser für den Geheimgang. Doch das war nicht nötig. Kaum hatte ich die Maske ein kleines Bisschen bewegt, schwang sie zur Seite und die Wand vor mir öffnete sich. Vorsichtig trat ich durch das entstandene Tor hindurch. Ich befand mich nun in einem runden Raum, von dem zwei Türen weggingen. Als sich die Wand hinter mit wieder schloss und es in dem Raum stockfinster wurde, konnte ich mich sicher sein, dass mich niemand sehen konnte. Aber ich konnte in dieser Dunkelheit auch nichts mehr sehen. Also holte ich aus meiner Tasche eine kleine Laterne. Die Laterne war gerade einmal so groß wie meine Faust und mit fluoreszierendem Mondkraut gefüllt.

Prophecy - Die Vierte Tochter des WindesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt