Everyday at 9PM

#13

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich so verweichlicht geworden bin. Ich war mal ein unabhängiger Mensch mit Zielen und Moralvorstellungen, Wünschen und Träumen. Doch seit Skye in meinem Leben ist, bin ich nichts mehr davon.

Nach der Nachricht, dass sie gehen will, ist meine Laune im Keller.

Im Keller des Kellers.

Und nicht einmal Bob, Grinsekatze oder die Didle-Zwillinge können mich aufheitern.

»Vergiss das Mädchen«, rät meine Schwester. »Das ist sie nicht wert.«

Doch woher will sie das wissen? Woher will meine Schwester erahnen können, dass Skye die Erfüllung all meiner Hoffnungen ist? Woher will meine Schwester wissen, dass Skye NICHT all das ist, wonach ich mich immer gesehnt habe?

Woher will ich wissen, dass sie es ist?

»Wer ist gestorben?«
Klasse Einstieg. Perfekter Einstieg. Unschlagbarer Einstieg.

Skye sitzt nicht einmal an ihrem Tisch und ich platze mit einer solchen Frage heraus. Neben ihr befindet sich noch ein Mann im Café. Meine Schwester schläft vermutlich schon und ich schlafe derzeit fast gar nicht.

Wenn ich schlafe, sehe ich nur Skye, die aus meinem Laden rennt.
Wenn ich schlafe, kann ich nicht darüber nachdenken.
Wenn ich schlafe, kann ich sie nicht treffen.
Wenn ich schlafe, ist die Welt in Ordnung.

»Wieso fragst du das?«

Weil es siebzig Tage her ist und du seither nicht mehr schwarz trägst. Weil dein Geruch nach Trauer noch immer an dir haftet und nur von deiner Abreise überschattet wird. Weil wir nie darüber sprachen.

»Weil ich es in deinen Augen sehe. Den Schmerz.«

»Ich dachte, wir sind Freunde«, sagt sie und steht auf.

Das Problem an Freundschaften ist bloß, dass sie auf Gegenseitigkeit basieren.

Wann hatte Skye jemals gefragt, wie es mir ging? Wie meine Arbeit lief? Ob ich zurechtkam? Wer die Frau war, die nach hinten verschwand, sobald sie auftauchte?

Wann hatte Skye sich zuletzt für etwas interessiert, das nicht oberflächlich war?