Die Nacht

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Die Nacht

Ich sitze an meinem Fenster. An meinem mit Lichtschutzplastikfolie abgeklebten Fenster. Ich warte auf die Dunkelheit. Blick zur Uhr. Fünf Uhr. Blick aus dem Fenster. Es dämmert schon. Na ja, es ist ja auch Winter. Ich mag die Nacht. Denn nur in der Nacht kann ich ganz normal raus. Ich werfe einen Blick auf den verhassten Anzug, den ich von der NASA bekommen hatte, halb zornig, halb traurig. Ich meine, klar hatte er mir geholfen, mir das Leben gerettet, ich sehe ganz normal aus (na gut, ich bin ziemlich blass, ich hab´ schon lange keine Sonne mehr gesehen, genau genommen noch nie) aber trotzdem mag ich ihn (natürlich) nicht. Ich meine, er wirkt wie ein Warnschild, wenn man ihn anhat, er schreit förmlich: „Achtung, anders, komisch, Abstand halten!“ Außerdem macht er fett.

Wann wird es endlich dunkel? Ich meine, es kann doch nicht ewig hell bleiben! „Ich will raus!“, murmele ich. „Warte noch einen Moment, Schatz“, sagt meine Mutter, die gerade den Kopf in mein Zimmer steckt. „Ja...“, knurre ich. Braucht die Sonne eigentlich Stunden, bis sie weg ist? Blick zur Uhr. Fünf Uhr Fünfzehn. Nicht nur die Sonne kriecht den Himmel entlang, auch die Zeiger meiner Uhr. Ich lasse den Blick durchs Zimmer schweifen. Mein Bett (das ich hauptsächlich tagsüber benutze), mein Schrank (mit modischen Sachen, warum auch immer), mein Schreibtisch (ich zeichne, male und bastele gerne) mit meinem Computer (irgendwie muss man ja Kontakt zur Außenwelt haben), mein Bücherregal (ich lese unheimlich gerne, irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben, meine Mutter besorgt regelmäßig neue Bücher), meine Gitarre (ich liebe Musik, dazu singe ich auch gerne), mein Film- und Technikregal (fasziniert mich irgendwie total, Zeitvertreib...) und meine beiden Schubladencontainer (für Krimskrams und so). Das einzige nicht normale ist der Astronautenanzug, der an der Tür hängt. Ich hasse das Teil, Urgh...  Ich schaue wieder aus dem Fenster und jubele innerlich. Es ist dunkel. „Mama“, brülle ich, „Mama, darf ich jetzt raus?“ „Warte noch fünf Minuten“, antwortet meine Mutter, „und zieh dich warm an, es ist Winter.“ „Jaja“, rufe ich abwesend und suche meine Jacke. Ich ziehe mich warm an und gehe raus. Ich rufe noch: „Tschühüs!“, und bin schon draußen. Ich atme tief ein. Frische Luft... Ich gehe unsere 30-Zone-Straße entlang, biege rechts ab, noch mal rechts, ein paar Meter noch, und bin auf einem der vielen Feldwege, die um unser kleines Dorf rum verstreut verlaufen.

Plötzlich sehe ich eine Person vor mir. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Meine Mutter warnt mich immer vor Personen in der Dunkelheit auf Feldwegen. Ich bekomme Panik. Was wenn...? Ganz ruhig, sage ich mir. Ganz ruhig. Plötzlich schreit hinter mir ein Vogel. Ich zucke zusammen. Die Person vor mir dreht sich um. Verdammt, jetzt sieht er, oder sie, mich. Die Person winkt. Jetzt sehe ich, dass es ein Mädchen ist, ungefähr in meinem Alter. Ich gehe auf sie zu. Mama hat mich nur vor älteren Männern gewarnt. Ich sage schüchtern: „Hallo.“ Sie lächelt und sagt auch: „Hallo.“ Schweigend stehen wir nebeneinander. „Was machst du so alleine im Dunkeln auf einem Feldweg?“, frage ich schließlich. Sie sagt: „Ich mag die Nacht. Ich weiß, das klingt verrückt, aber ich finde es schön, wenn es kühl, dunkel und vor allem ruhig ist. Deshalb Feldweg. Außerdem bin ich nicht alleine.“ Ich sehe mich suchend um, kann aber niemanden sehen. Ich will gerade fragen, da sagt sie lächelnd: „Nightball ist bei mir, sie mag die Nacht genauso wie ich.“ Ich will gerade fragen, wer Nightball ist (ich meine, wer heißt schon Nightball, wer?) da schießt ein schwarzes Etwas aus der Dunkelheit auf mich und das Mädchen zu und springt ihr in die Arme. „Ja, das ist Nightball.“ Sie hält mir das schwarze Etwas vor die Nase, und nein, es ist kein Hund, es ist eine pechschwarze Katze mit einer toten Maus im Maul, die sie jetzt fallen lässt, um mich ausgiebig zu beschnuppern. Dann schaut sie das fremde Mädchen an, das sofort anfängt, sie zu kraulen. Die Katze schnurrt. „Ach, das ist also Nightball“, sage ich äußerst geistreich. „Ja, ist sie nicht süß?“ Die Katze leckt ihr übers Gesicht. „Pfui, ich hab dir doch gesagt, du sollst es lassen!“ Ich starre sie verdattert an. Dann die Katze. Die starrt zurück, dann schlägt sie mit dem Schwanz, das Mädchen lässt sie runter und sie verschwindet wieder in der Dunkelheit, nicht ohne vorher die tote Maus wieder ins Maul zu nehmen. Ich starre ihr hinterher. „Du gehst mit deiner Katze Gassi?“ „Ich weiß, es wirkt seltsam, aber für mich ist es schon ganz normal.“ „Wie heißt du eigentlich?“, frage ich, teils weil ich es wirklich wissen will, teils um das Thema zu wechseln, das ich, na ja, seltsam finde. „Nina“, antwortete sie, „und du?“ „Miriam.“ „Ein schöner Name. Nein, wirklich“, fügt sie hinzu, als sie mein Gesicht sieht. „Sag mal, bist du immer so blass oder sieht das nur so aus?“, fragt sie hastig. „So sehe ich immer aus.“ Das Thema ist mir unangenehm. Dann noch lieber dressierte Katzen. „Warum?“, fragt sie (natürlich), „ach ja, und was machst du eigentlich hier? Du hast auch schon gefragt!“ Das Thema wird mir immer unangenehmer. „Äh, ich mag die Nacht auch, genau wie du und, äh, Nightball“(ich muss mich erst noch an dressierte Katzen gewöhnen) „Außerdem kann ich nicht ins Sonnenlicht. Ich habe Xeroderma Pigmentosum, kurz XP, auch Mondkrank oder Mondkind genannt.“ So jetzt ist es raus. „Oh, dann bist du also die aus Nummer 23?“ „Ja“, sage ich beschämt, „Wird so viel über mich getratscht?“ „Hey, das muss dir nicht peinlich sein, du kannst ja nichts dafür. Und, nein, eigentlich nicht.“

Ich bin erleichtert, dass Nina nicht komisch reagiert oder mich mit Fragen löchert. Ich habe das Gefühl, heute würde ich später nach Hause kommen als sonst, denn ich habe eine Freundin gefunden...

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So, manche kennen das vielleicht schon, aber ich hab beschlossen, es als Kurzgschichte zu lassen, das zweite Kapitel war furchtbar. Ist mir aber erst beim zweiten Lesen aufgefallen.

Das Cover ist an der Seite

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