KURZGESCHICHTEN

Her best friend

„Hey!“, fuhr sie mich an und knallte ihre Bücher vor mir auf den Tisch. Ich zuckte zusammen und sah von meinem Geschichtsbuch auf. Sie funkelte mich böse an und ich machte den Fehler, ihr in die Augen zu sehen. Sofort verlor ich mich in dem hellen Grau, das von einem dunklen Ring umrandet war.

„Würdest du mir bitte mal verraten, was das sollte?“ Sie machte sich kaum Mühe, ihre Stimme zu dämpfen und riss mich so aus meinen Gedanken.

Wie sie so vor mir stand, die Hände auf den Tisch abgestutzt und leicht zu mir gebeugt, sah sie wirklich beängstigend aus, da man ihr Wut beinah sehen konnte.

„Was denn?“

Sie schnaubte. „Tu nicht so. Wie kannst du Lia einfach so abschießen?“

Jetzt wurde mir auch klar, was diese Aktion hier grade sollte. Lia hieß eigentlich Emilia und war meine Freundin. Falsch, Exfreundin. Ich hatte Freitag mit ihr Schlussgemacht. Tja, heute war Montag und ihre beste Freundin Rike stand vor mir und sah aus, als würde sie mich jede Sekunde bei lebendigem Leib verschlingen.

„Also?“, meinte sie, als ich stumm blieb.

„Ich weiß nicht. Ich … ich hab sie nicht mehr geliebt.“ Ich betrachtete sehr intensiv das Treppengeländer rechts hinter ihr.

„Du hast sie nicht mehr geliebt? Willst du mich verarschen? Ihr wart ein ganzes Jahr zusammen und jetzt liebst du sie plötzlich nicht mehr?!“

Ein knappes Jahr, es fehlten fünf Wochen. Aber jetzt war wohl nicht der richtige Zeitpunkt, um kleinlich zu sein.

„Es passte halt nicht mehr.“

„Es war doch alles gut! Ihr habt euch nicht gestritten oder so, und aus heiterem Himmel machst du einfach so Schluss!“

Immerhin hatte sie aufgehört, mich anzuschreien. Damit kam ich gar nicht klar.

„Ist dir eigentlich klar, was du ihr angetan hast?“ Seufzend ließ sie sich auf einen Stuhl mir gegenüber sinken.

„Sie war das ganze Wochenende bei mir und hat geheult und alles was ich machen konnte, war, sie mit Schokolade und Chips zu versorgen!“ Jetzt klang sie nicht mehr sauer, sondern eher resigniert. Sie seufzte laut.

Ich ließ den Blick durch das PZ schweifen. Außer uns waren hier nur eine Hand voll anderer Schüler. Montags in der dritten hatte kaum jemand frei.

„Und das alles nur wegen dir!“ Und der vorwurfsvolle Tonfall war zurück.

„Ernsthaft, was sollte das? Ich bin ihre beste Freundin, ich beschütze sie, also wenn du mir jetzt nicht einen vernünftigen Grund nennen kannst, wirst du es bereuen!“, sie hatte sich immer mehr reingesteigert, „und würdest du wenigstens den Anstand besitzen, mich anzusehen, wenn ich mit dir rede?“ Jetzt war sie wieder so wütend wie am Anfang.

Widerwillig richtete ich den Blick auf sie und fixierte den Ansatz ihrer rechten Augenbraue, aus Angst, mich wieder in ihren wundervollen, grauen Augen zu verlieren, die so unglaublich faszinierend… Du schweifst ab, konzentrier dich!, sagte ich mir selber.

Das mit der Augenbraue war ein alt bewährter Trick. Verdammt, wieso musste sie so perfekt sein?! Wieso musste sie die beste Freundin meiner Ex sein? Das war alles einfach schief gelaufen. Ich war ein knappes Jahr lang in die beste Freundin meiner Freundin verliebt, ich meine: ernsthaft, wie armselig ist das denn?! Sie hatte auch einen Freund! Als die beiden dann vor mehreren Wochen Schluss gemacht hatten, wollte ich mit Lia Schluss machen, aber mir war klar, dass ich dann nie eine Chance bei ihr hätte! Sie ist der beste Mensch, den ich kenne, so was würde sie einer Freundin niemals antun!

Ich hoffte, Lia würde mit mir Schluss machen, aber die merkte gar nichts.

Und die beiden machten alles zusammen! Wir unterhielten uns zu dritt in der Pause, wir gingen zu dritt feiern, und dann durfte ich zusehen, wie irgendwelche Typen sie anbaggerten! Das hielt ich einfach nicht mehr aus! Was hätte ich denn tun sollen?

„Was?“, fuhr sie mich an.

Ich hatte immer noch nicht geantwortet. Was musste sie jetzt von mir denken?

„Entschuldige, ich war in Gedanken“

„Ach, nein, wirklich?“, erwiderte sie sarkastisch und sah mich weiterhin auffordernd an.

„Ich konnte das einfach nicht mehr! Mit ihr zusammen sein, meine ich! Verstehst du das denn gar nicht?“

„Nein. Lia ist ein wundervoller Mensch, der beste Mensch den ich kenne. Also: Nein, ich verstehe das ganz und gar nicht!“

Toll. Lia ist das für sie, was sie für mich ist. Der allerbeste Mensch auf der Welt. Für den man alles tun würde.

„Es… es gibt jemand anderen“ Ich sagte es ganz leise, doch sie hörte es trotzdem. Und dann rastete sie vollends aus.

„Ist das jetzt dein Ernst?! Du hast Lia betrogen? Wie kannst du nur, du blödes Arschloch! Ich fass es nicht!“, schrie sie mich an. Meine Entgegnungen gingen völlig unter.

„Ganz ehrlich, ich war schon sauer auf dich, aber das hätte ich echt nicht erwartet. Ich warne dich, halt dich von uns fern!“

Mit diesen Worten rauschte sie davon.

Ich konnte ihr nur hinterher sehen.

Damit hatte ich meine allerletzte, noch so winzige Chance auch noch verspielt.

Verdammt.

Interpretiert es, wie ihr wollt.

Und bitte sagt mir doch, was ihr davon haltet! Würde mich wirklich interessieren!