Dunkelheit

49 2 4
                                    

Schwieriges Thema, ich weiß. Lasst eure Meinung da!

___________________________________________________________________

Diese Geschichte ist für eine Person, die mich bewegt und beeinflusst hat, obwohl ich sie noch nie gesehen hab.

~~~

Ich spürte einen heftigen Schlag gegen meine rechte Schulter und taumelte nach links. Ich hatte schon Angst, hinzufallen, doch ich prallte nur hart gegen eine Wand. Ich hörte etwas auf den Boden fallen und Papier flattern.

„Kannst du nicht aufpassen?!", fuhr mich eine gestresste Männerstimme an.

Blätter wurden zusammengerafft.

„Oh, glaubst du etwa, das gelbe Band mit den drei schwarzen Punkten ist ein modisches Accessoire?", zickte ich zurück und suchte nach meinem Blindenstock, der mir aus der Hand gefallen war.

Verkehr, Fußgänger, die Bäume am Straßenrand, deren Blätter im Wind rauschten, ich hörte alles, doch ich sah nichts.

„Das... das tut mir leid", meinte der Mann jetzt gar nicht mehr so patzig.

Oho, das arme kleine Mädchen ist behindert, jetzt tu ich so als wäre ich nett!", äffte ich ihn nach, nahm meinen Stock, richtete mich auf und suchte nach der Gehrille, der ich folgte.

Gott sei dank lebte ich in der Großstadt. Hier gab es die weißen Streifen auf dem Boden, die mir den Weg an der Straße entlang und zu Ampeln zeigte. Ampeln, die piepsten wenn es grün wurde.

Wenn wir zu meinen Großeltern auf's Land fuhren blieb ich immer drinnen. Draußen war ich verloren. Kein Laut, keine Bodenstreifen, nichts, woran ich mich orientieren könnte.

Einmal war ich allein draußen und wurde prompt fast überfahren, da ich ohne es zu merken mitten auf der Straße unterwegs war. Grauenvoll. Ich war schon immer ein Stadtmensch.

Ich ging weiter, ohne auf den Mann zu achten, der sich weiter entschuldigen wollte. Ich musste mich auf wichtigere Geräusche konzentrieren.

Kurze Zeit später hörte ich endlich die Stimme meiner besten Freundin Sabrina

„Hey, hey, hier bin ich", rief sie und berührte mich an der Schulter, damit ich mich umdrehte. Dann umarmte sie mich.

„Hey", erwiderte ich grinsend. „Also, schon aufgeregt?"

Sabrina lachte nur: „Und wie! Ich wette, wenn wir da wieder raus kommen, bin ich komplett voll mit Essensresten."

Wir gingen heute in ein dunkles Restaurant. Also wirklich dunkel. Drinnen sah man absolut nichts. Macht für mich natürlich keinen Unterschied, aber so konnten andere mal sehen, wie schwierig es ist, mit der Gabel den Mund zu treffen.

Als wir reingingen merkte ich kaum einen Unterschied, ich spürte nur, dass ich jetzt drinnen und nicht mehr draußen war. Die Verkehrsgeräusche verschwanden und machten Unterhaltungen und leiser Hintergrundmusik Platz; Es war wärmer und nicht so windig wie draußen, und es roch nach Essen.

Für mich also keine großartige oder außergewöhnliche Veränderung.

Doch Sabrina wurde immer langsamer, je weiter wir kamen und nachdem wir mehrere Türen durchquert hatten blieb sie wie angewurzelt stehen.

„Warte", sie fasste mein Handgelenk.

„Was denn?"

„Es ist komplett, total dunkel!"

„Ach neee, wirklich? Willkommen in meiner Welt", meinte ich nur ironisch und zog sie weiter.

- - -

„Wie läuft's mit Paul? Ich krieg nichts mit, auf dieser blöden Schule!", fragte ich und ärgerte mich mal wieder, dass ich die Schule hatte wechseln müssen, nach meinem Unfall.

„Ach, ich weiß nicht, er hat im Moment viel zu tun, da sehen wir uns nicht mehr soo - Ach, verdammt! Au! Diese blöde Gabel!"

Ich lachte leicht und nahm noch einen Bissen von meinem Schnitzel.

Ich fand es immer schön, was mit ihr zu unternehmen. Denn sie war die einzige meiner alten Freunde, die mich wirklich verstand. An meiner neuen Schule nannten die meisten nicht blinde Leute einfach „Sehende". Ergibt schon Sinn. Manche meinten das abwertend. Sehende - die, die uns nicht verstehen. Die sich keine Gedanken machen, weil sie gesund sind. Ich bin da ja etwas liberaler, ich war ja auch so, also Sehend.

Aber es stimmt: nach meinem Unfall waren alle anders zu mir. Komisch. Haben mich mit Samthandschuhen angefasst. Die einen haben mich in ihrem Mitleid fast ertränkt (zum Glück bin ich blind, nicht querschnittsgelähmt - es lebe der Galgenhumor), die anderen sind mir mit ihren schrecklich optimistischen Reden, wie toll das Leben doch ist, und was für ein Glück ich habe das ich noch am Leben bin und das ich nur daran denken soll und so weiter und so weiter, unglaublich auf den Geist gegangen.

Und jetzt mal ganz ehrlich, das will man in der Situation mal so gar nicht hören.

Nur Sabrina ist normal geblieben. Hat mir zwar geholfen, mir Türen aufgehalten und mir den Weg gezeigt, aber nicht alles für mich gemacht, als läge ich im Sterben.

Und sie hat kein großes Bohei drum gemacht. Weder hat sie verzweifelt versucht, alles zu vermeiden, was mich daran erinnern könnte, dass ich, naja, BLIND bin (wie will man jemanden denn bitte davon abhalten, sich daran zu erinnern, dass alles was man sehen kann, Dunkelheit ist?! Lächerlich!), noch hat sie ständig versucht mir alles recht zu machen. Sie war einfach ganz normal. Hat getratscht, Witze über meine Situation gemacht und ist mit mir ins Kino gegangen.

Als sie Miri gefragt hat, ob sie auch mitkommen will, hat diese rumgestottert, ihren Satz nach ihrem langezogenen „Aaaaber..." abgebrochen und ich könnte schwören, dass sie mich dabei bedeutungsschwer angesehen hat.

Ich meinte nur: „Ich bin blind, nicht taub" und Sabrina setzt ein „Was aber?" hinterher.

Wir waren ein echt gutes Team.

Sie beschrieb mir Shirts, die ich kaufen wollte und erzählte, was sie sah, aber nie auf diese Es-tut-mir-so-leid-das-du-blind-bist-und-ich-nichts-dagegen-tun-kann-ich-hab-Mitleid-Weise, sondern einfach ganz selbstverständlich.

Ich bin so froh sie zu haben.

Nach dem Essen fuhren wir mit dem Bus nach Hause.

Wir saßen also im Bus, als sich wieder eine dieser Situationen anbahnte, die ich absolut nicht mochte und von denen ich heute schon eine hatte.

„Hey", keifte eine Frau. Ihre Stimme hörte sich unglaublich unfreundlich an. Die Stimme und Tonlage sagt viel mehr über einen Menschen aus, als sein Aussehen. Ich bin nie mit einem ersten Eindruck vorbelastet. Ein schwacher Trost.

„Weg da", motzte die Frau weiter, „ich hab einen Schwerbehindertenausweis!"

Ist klar, und ich nicht, oder was?

Wir saßen auf den Plätzen ganz vorne, dank meinem Schwerbehindertenausweis.

„Oh, wow", fuhr Sabrina sie an, „glauben sie, sie trägt um halb acht, wenn es schon dunkel ist, eine verspiegelte Sonnenbrille, um cool auszusehen?! Meine Freundin hier ist blind, und ich denke, dass ihre Behinderung sie im Alltag mehr belastet, als dass, was auch immer sie haben!"

Ich hörte, wie die Frau sich entfernte und Sabrina „Alte Schachtel!", murmelte.

Das meinte ich eben. Sie ist für mich da, setzt sich für mich ein, ohne das gleiche oder auch nur ein Danke zu erwarten. Wie etwas völlig selbstverständliches.

So sollte eine beste Freundin sein, und ich kann nur alle bemitleiden, die dieses Gefühl der bedingungslosen Unterstützung nicht kennen.

Egal ob sehend oder nicht.

________________________________

Uuuuund, was denkt ihr? Zu emotionslos? Ich bin mir da nicht soo sicher...

Zur Erklärung: Die Erzählerin hier hat vor ein paar Jahren bei einem Unfall das Augenlicht verloren.

Kurze Frage, was mich mal interessieren würde: Seht ihr viel Fern? Wieviel ungefähr? Lieblingsserien? oder Lieblingskanal? Nur so aus Interesse....

KURZGESCHICHTENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt