Als ich das nächste Mal aufwachte, ging es mir erstaunlich gut. Die Decke war zwar immernoch weiß und das Piepen wollte anscheinend auch nicht aufhören, aber die Schmerzwellen waren keine Wellen mehr. Es war eigentlich nur noch ein leichtes Brennen im ganzen Körper, naja der ganze Körper bis zum Bauchnabel. Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Wie konnte es sein, dass mein Oberkörper schwer verletzt ist und meine Beine absolut in Takt? Dein Gedanken fingen an Karussel zu fahren. Nach Minuten, Stunden oder Tagen, ich wusste es nicht, schob ich alle Gedanken in die letzte Ecke meines Hirns und fing an mich im Raum umzuschauen:
Ich startete den Versuch meinen Kopf leicht nach links zu drehen. Ich wartete auf den Stich im Genick, aber er kam nicht, also drehte ich ihn weiter. Ich sah den Übergang von der Decke zur Wand, und etwas weiter in der Ecke die Tür, die Doktor White dauernd an die Wand schlägt. Daneben war ein Fenster, dass anscheinend auf den Flur rauszeigte. Leider waren die Vorhänge zugezogen, sodass ich nicht nach draußen sehen konnte. Viel mehr war links nicht zu sehen, also drehte ich den Kopf andersherum, immernoch sehr langsam und vorsichtig, aber ich fühlte keinen Schmerz. Auf der anderen Seite war noch ein Fenster, größer als das Linke. Es war offen, man konnte einen gold-gelben Wald sehen. Anscheinend war Herbst. Ich glaub ich mag den Herbst, vielleicht auch nur den wunderschönen, malerischen Wald. An der Wand gegenüber von meinem Bett war eine weitere Tür, vielleicht zu einem Bad? Daneben stand ein zimmerhoher, schmaler, grünlackierter Schrank. Auf der anderen Seite neben dem Fenster war ein hässlicher, brauner Sessel und darauf.. Moment, da war jemand. Ich drehte meinen Kopf noch ein wenig weiter. Ja, da war definitv jemand: Die rothaarige Frau, meine Mutter... Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich sie immernoch nicht als Mutter erkannte, aber auch den Gedanken schob ich zur Seite. Sie schlief. Ihr beiges Kostüm war völlig zerknittert, ihre Schuhe standen unter dem Tisch, der unter dem Fenster stand und ihre hautfarbene Strumpfhose hatte eine Laufmasche. Sie sah aus als wäre sie lange nicht zu Hause gewesen. Ihr Makeup war verlaufen und ihre Haaren lagen inzwischen schlaff auf ihren Schultern.
Ich suchte einen weiteren Anlauf mich zu testen. Ich versuchte meine rechte Hand zu heben und es gelang mir ziemlich gut. Sie war bandagiert. Vom Gelenk bis zum Ellenbogen steckte mein Arm in einem knallroten Gips, anscheinend war er gebrochen. Ich hob auch die andere Hand. Diese sah unversehrt aus. Man hatte mir einen Zugang auf der Oberfläche der Hand gelegt um mich mit Medikamenten zu versorgen. Ich befühlte mit der Hand mein Gesicht. Anscheinend war mein kompletter Kopf verbunden. Meine Nase hatte auch etwas abbekommen, aber was mich am meisten interessierte war das Ding das mich oberhalb der Lippen stach. Es war eine Nasenkanüle, aus der Sauerstoff kam. Ich versuchte sie abzunehmen, weil mich sowohl das Pieken an meiner Lippe, als auch das Kitzeln in der Nase störte, aber dafür hätte ich eine zweite Hand gebraucht. Also ließ ich sie enttäuscht aufs Bett zurückfallen.
Als nächstes versuchte ich meinen Mund zu öffenen. Es ging ohne Schmerzen von Statten. Mein Hals war trocken, aber ich brachte ein leises "Hallo?" zu Stande. Ich wollte nicht länger hier herum liegen und abwarten. Ich hatte das Gefühl, dass ich das schon viel zu lange tat. Aber ich war zu leise. Ich versuchte es ein zweites Mal. Der Schlaf der rothaarigen Frau wurde unruhiger, also sprach ich ein drittes Mal: "Miss Smith?" Sie war sofort wach, allerdings ein wenig desorientiert. "Ja Doktor? Ist was passiert?" Sie sah sich um und entdeckte, dass ich sie ansah. Sofort traten wieder Tränen in ihre Augen. Sie sprang auf und war mit zwei Schritten neben mir und griff nach den Fingern meiner verbundenen Hand. Mit der anderen Hand friff sie hinter mich, holte eine kleine rote Fernbedienung hervor und fing an wie wild auf dem Knopf rumzudrücken. "Oh Marie! Endlich bist du wach! Bleib einfach liegen, Doktor White kommt gleich..." Sie sagte das mit tränenerfüllter Stimme und drückte erneut auf den roten Knopf.
Die Tür schlug gegen die Wand.. Doktor White.. Auch Miss Smith wusste das inzwischen, denn ohne wegzugucken rief sie: "Sie ist wach, Doktor. Sie ist wieder wach!" Doktor White trat heran und musterte mich. Ich drehte den Kopf in seine Richtung, was mir ein Lächeln bescherte. "Hallo Marie! Schön, dass du wieder da bist. Hast du Schmerzen?" Er sah mir fest in die Augen, offensichtlich weil er auf eine Blinzelantwort wartete. Ich aber öffnete den Mund und brachte ein leises "Nicht wirklich" heraus. "Sehr schön" sagte er breit lächelt. Ich öffnete den Mund, aber mein Hals tat inzwischen ziemlich weh, also sagte ich nur: "Durst". Miss Smith griff nach einem Becher mit Strohhalm neben dem Bett und hielt ihn mir liebevoll hin. Ich nahm den Strohhalm in den Mund und trank. Es tat weh, aber es fühlte sich gut an, wie das kalte Wasser durch mein Inneres floss.
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Memories
Short StoryEin "Unfall" und dessen Folgen. Ein Mädchen am Rande des Abgrundes. Schwarz und weiß. Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart. Verzweiflung, Liebe, Hoffnung... "Memories" ist meine erste Geschichte, also seid bitte nicht zu hart zu mir. Aber ich bin immer...