Kapitel 8

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Als der Becher leer war, stellte Miss Smith ihn zurück. Doktor White hatte sich eine Akte, die auf einem kleinen Tischchen über meinem Bett lag, genommen und blätterte darin herum. "Miss Smith? Wollen sie nicht noch etwas Wasser holen?" "Aber natürlich, Doktor. Ich laufe schnell runter zur Cafeteria. Bin gleich wieder da." Doktor White schloss die Tür hinter Miss Smith, drehte sich um und sah mich besorgt an. Ich sah nicht minder besorgt zurück. Tränen traten in meine Augen, weil ich die ganzen Eindrücke nicht mehr zurück halten konnte...

Doktor White war schon wieder neben mir, griff nach meiner Hand und redete beruhigend auf mich ein. Als ich mich nach ein paar Minuten etwas beruhigt hatte, sprudelte alles aus mir heraus: "Was ist los mit mir? Warum bin ich hier? Warum nennen mich alle Marie? Und warum gehen alle davon aus, dass sie meine Mutter ist? Was ist..."

"Schsch.. Ganz ruhig, Marie." Seine tiefe Stimme war beruhigend und ich verstummte. Auch die Tränen hörten inzwischen auf zu laufen. "Du bist hier, im Krankenhaus, weil du einen schweren Unfall hattest. Ich verstehe, dass das alles sehr verwirrend für dich sein muss. Du hast eine Verletzung am Kopf und anscheinend hat das dein Gedächnis beeinträchtigt. Du bist Marie und die rothaarige Dame ist Julia Smith, deine Mum. Schsch. Nicht wieder anfangen zu weinen. Du bist hier, wir kriegen das wieder hin. Der Gedächnisschwund muss nicht dauerhaft sein. Im Gegenteil es ist ziemlich unwahrscheinlich. Erzähl mir mal an was du dich erinnerst." Er sah mich beruhigend mit seinen blauen Augen an und ich merkte, dass ich wieder ruhiger wurde..

"Also, ich erinner mich an eine Menge Schwarz.. Und Weiß.. An Rufe und schnelle Schritte. Und in etwa an das, was letztes Mal war, als ich wach war..."

"Okay, das ist sehr gut. Und was war davor? Vor dem Unfall?" Wieder traten mir Tränen in die Augen. Da war nichts. Es fing mit Schwarz an und Schmerzen, sonst war da nichts. Ich fing an zu zittern..

"Marie, ganz ruhig. Ich verstehe. Du musst ruhig bleiben, sonst müssen wir dich wieder ruhig stellen. Ja, so ist gut. Tief durchatmen. Sehr schön. Gehts wieder?" Ich krächzte ein Ja und er sprach weiter: "Gut. Also ich werde ehrlich sein. Ein vollständiger Gedächnisverlust ist kein gutes Zeichen, aber das muss nichts heißen, ja? Dein Gehirn muss sich erst erholen, dann kommen auch die Erinnerungen zurück. Erstmal ist es gut, dass du wieder wach bist." Doktor White lächelte mich liebevoll an und ich glaubte ihm. Eine Frage war mir während er sprach in den Kopf geschossen: "Wie.. Wie lange war ich.. weg?"

"Alles in allem fast fünf Monate.  Du warst immer mal wieder wach, aber immer nur ein paar Sekunden. Bis letzte Woche, da warst du wach, bis du die Panikattacke hattest. Wir haben dich ruhiggestellt, weil du dir sonst selbst geschadet hättest." Ich war verwirrt. Fünf Monate hatte ich dagelegen? Fünf Monate? Aber was war davor? Unfall, was für ein Unfall?

Doktor White schien meine Gedanken gelesen zu haben, denn er sprach wieder beruhigend auf mich ein, bis die Tür aufging und Julia wieder hereinkam. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen und eine Flasche Wasser in der Hand. Kaum hatte sie sie abgestellt, wurde sie von Doktor Smith hinaus komplimentiert. Ich hatte ihn gebeten mit ihr zu sprechen. Die Tür fiel ins Schloss und ich war wieder allein. Das Wasser war leider unerreichbar auf dem Tisch beim Fenster. Allerdings war durch den ganzen Trubel ein Spalt im Vorhang entstanden durch den in Julia und Doktor White sehen konnte. In diesem Moment schlug Julia die Hände vors Gesicht und fing anscheinend an zu weinen. Vermutlich hatte Doktor White ihr gerade gesagt, dass ich mich an nichts erinnere, dass ich mich an sie nicht erinnere. Julia drehte sich um und starrte durch den Spalt in mein Gesicht. Ein unerträglichen Moment hielt ich ihrem Blick stand, dann sah ich weg. Ich konnte den Schmerz in ihrem Gesicht nicht ertragen, obwohl mein Gesicht wohl ähnlich aussah. Ich drehte den Kopf und schaute aus dem anderen Fenster. Der Wald war beruhigend. Mein Herzschlag wurde langsamer und damit auch das nervtötende Piepen. Inzwischen hatte ich das Gerät, dass die Töne von sich gab, entdeckt und wusste auch, wofür es da war. Es maß alles möglich von mir, Herzschlag und so weiter. Meiner Meinung hatte es trotzdem kein Recht so zu nerven...


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