Prolog

13K 561 53
                                    

Prolog - Der Schmerz

„Und eins, zwei, drei -Chloé Zehenspitzen strecken!- vier, fünf, sechs, sieben -halten- und acht!"

Monsieur Chirac ließ seinen kalten Blick durch die Reihen wandern, doch hauptsächlich blieb er an mir hängen.

„Chloé, Zehen strecken, nicht abknicken!"

Krampfhaft versuchte ich mich zu konzentrieren und das zu machen, was er von mir verlangte.

Vergebens.

Zwei Stunden Ballett-Training am Tag, machten mich einfach fertig.

Laugten mich aus, brachten mich an meine Grenzen und machten mich kaputt.

Wie Messerstiche, spürte ich die kalten Blicke meines Vaters im Rücken.

Er kam jeden Tag mit, schon seit zwölf Jahren. Sechs Tage die Woche. Zwei Stunden pro Tag.

Ich konnte mir schon jetzt vorstellen, wie er mich später auf dem Heimweg zusammenstauchen würde.

„Wie oft hat er es dir schon gesagt? Hast du eigentlich nichts gelernt in all den Jahren?", würde er schreien, doch ich würde nur aus dem Fenster schauen, den Schmerz in meinen Füßen ignorieren und mir sehnlichst mein weiches Bett herbei wünschen.

„Chloé, konzentrier dich!"

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf und knickte versehentlich mit dem Fuß um.

„Ah!", stieß ich hervor und fiel.

Der Schmerz zog sich von den Zehenspitzen bis hin zum Knöchel.

Scharf zog ich die Luft ein, doch an Ausruhen war nicht zu denken. Monsieur Chirac, hielt mir simple seine Hand entgegen und half mir hoch.

„Jammer nicht herum!", herrschte er mich an, als ich das Gesicht verzog, da ich den Fuß belastet hatte.

Ich schluckte den Schmerz herunter, riss mich zusammen und reckte das Kinn nach oben.

Monsieur Chirac nickte kurz und stellte sich dann wieder vor uns Mädchen auf.

Alle in schön geordneten Reihen.

„Weiter geht's!"

Bevor er begann zu zählen, schloss ich für einen Moment die Augen und sammelte mich, um den Schmerz in die wirklich hinterste Ecke meines Kopfes zu treiben.

„Und eins, zwei, drei, vier..."

„Was war denn das für eine Show eben?"

Wie erwartet war mein Vater sauer.

„Ich bin umgeknickt...", murmelte ich und richtete den Blick auf meine Hände.

Die Fingernägel waren abgekaut, weil ich immer so unter Stress stand, die Haut rissig und an manchen Stellen offen.

Er schnaubte. „Eine gute Tänzerin knickt nicht um!"

Ich sah weiterhin auf meine Hände. Nicht weil ich Reue empfand. Nein, niemals.

Sondern schlicht und einfach, weil ich meinen Vater nicht provozieren wollte. Denn in solchen Momenten provozierte ihn meist allein meine Anwesenheit.

„Du enttäuschst mich." Seine Stimme war eiskalt, doch das war ich gewöhnt.

Er redete seit dem Tod meiner Mutter nur noch so.

Ich war es auch gewöhnt, dass er mich innerlich verletzte, wobei ich den Schmerz kaum noch wahrnahm.

Ja, jedes Mal riss mein Herz ein kleines Stückchen mehr auseinander, doch es war reine Gewohnheitssache.

Feel like dancing (Zayn Malik)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt