Zayn

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Kapitel 3 - Zayn

„Du solltest wirklich zu einem Arzt gehen."
Ich verdrehte die Augen. „Mir geht es gut, ehrlich. Ich muss nur nach Hause und mich setzten, dann wird es besser."
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann allerdings wieder. Wahrscheinlich hatten ihm die letzten zehn Minuten klar vermittelt, dass ich nicht zu einem Arzt wollte.
Zayn seufzte. „Gut, dann halt eben nicht, aber wirf mir später nicht vor, ich hätte es dir nicht gesagt!"
Ich musste lächeln. „Werde ich ganz bestimmt nicht."
Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, während wir weiter durch die Stadt zu mir nach Hause liefen. Er hatte sich meinen Arm über die Schulter gelegt, um mich zu stützen, damit ich den verletzten Fuß nicht so sehr belasten musste.
Wir redeten noch etwas, bis wir vor unserem Haus standen und ich den Arm von seinen Schultern nahm.
„Da wohnst du?", fragte er erstaunt und sah den breiten Kiesweg zu unserem Haus hinauf.
Rechts und links davon waren schön gepflegte Büsche und Blumen, die alle von einer Gärtnerin, die mein Vater engagiert hatte, regelmäßig geschnitten wurden.
„Ja... Zu groß dafür, dass nur mein Vater und ich darin wohnen, ich weiß."
Zayn lachte. „Ich würde in so einem Haus auch gerne alleine wohnen!"
Ich musste schmunzeln. „Wo wohnst du denn?"
Sein Blick wurde härter als sonst, sein Lächeln schwand. „In einer Zwei-Zimmerwohnung mit meinen zwei kleinen Geschwistern und meiner Mutter."
"Oh...", machte ich.
Er schenkte mir ein Lächeln. "Hat auch seine Vorteile, man muss nicht so viel putzen!"
Das entlockte mir ein kleines Lachen, trotz der Schmerzen in meinem Fuß.
Gerade wollte ich etwas erwidern, da wurden wir unterbrochen.
"Chloé! Komm sofort rein!"
Mein Vater stand mit hochrotem Kopf in der Haustür.
Ich atmete tief durch. "Einen Moment noch!", rief ich zurück und Zayn sah verwundert zwischen mir und meinem Vater hin und her.
"Das ist dein Vater?"
Ich nickte. "Ebenfalls eine lange Geschichte, was unser Verhältnis betrifft."
Er lächelte. "Vielleicht finden wir die Zeit dazu ja irgendwann mal."
"Ja, das wäre schön!" Ich lächelte ebenfalls.
"Chloé, jetzt!", rief mein Vater abermals und ich knirschte mit den Zähnen.
"Ich muss dann wohl rein."
Zayn nickte. "Man sieht sich, tschüss!"
Ich winkte. "Bis dann!"

Mein Vater hatte mich eine gute halbe Stunde angeschrien, nachdem ich das Haus betreten hatte.
Monsieur Chirac hatte ihn angerufen.
"Was denkst du eigentlich, wer du bist? Ist dir klar, dass du deine Ballettkarriere soeben aufs Spiel gesetzt hast? Nächsten Samstag werden dort die wichtigsten Leute der ganzen Ballettbranche sein. Du hättest durchstarten können! Und jetzt?"
Ich hatte mir das Geschrei angehört, auf meine Hände gestarrt und die Zähne zusammengebissen, um den Schmerz auszuhalten.
Danach hatte er mich auf mein Zimmer geschickt, ohne Abendessen, doch bevor ich die Stufen nach oben gegangen war, hatte er mich noch einmal zurück gerufen.
"Amélie hat jetzt deine Rolle bekommen."
Es war wie ein Schlag in die Magengrube.
Ich hatte die Rolle nie wirklich gewollt, nur diesen Triumph gönnte ich ihr einfach nicht.
"Ich bin enttäuscht von dir.", hatte er gesagt. "Und Maman wäre auch enttäuscht gewesen."
Zitternd vor Wut, hatte ich mich eigentlich zu ihm umdrehen wollen.
"Das stimmt nicht! Ihr wäre es egal gewesen, sie wollte, dass ich es mache, weil es mir Freude bereitet! Sie war nie so wie du!"
Doch mein Mut hatte mich verlassen und kein Ton war über meine Lippen gekommen.
Stattdessen war ich nur nach oben gerannt und hatte die Tränen nicht mehr zurückhalten können.
Er wusste, dass Maman meine Schwachstelle war und deshalb wusste er auch, was er tun musste, um mich zu brechen.
Ich hatte Maman geliebt. Ich liebte sie immer noch, doch jetzt war sie fort und zurück blieb nur noch die einsame Leere, die nur dann zurückbleibt, wenn ein geliebter Mensch von einem geht.

***

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, kitzelte mich sogleich ein warmer Sonnenstrahl an der Nase.
Verschlafen fuhr ich mir übers Gesicht und musste lächeln, als ich die Vögel draußen zwitschern hörte, doch meine Laune sank schlagartig, als ich mich an den letzten Abend zurück erinnerte.
Vorsichtig schwang ich die Beine aus dem Bett und setzte meine Füße auf dem Boden auf.
Da war der Schmerz wieder. Zwar nicht ganz so stark wie am Tag zuvor, doch er war da.
„Ganz toll", murmelte ich und sah beiläufig auf den Wecker.
„Mist!"
Es war kurz vor acht. Um acht Uhr fing die Schule an, heute war Donnerstag.
Sofort sprang ich auf, sank aber wieder keuchend auf mein Bett zurück, als ich meinen verletzten Fuß belastete.
Was sollte ich denn jetzt machen?
Ich brauchte mindestens zehn Minuten im Bad, zehn Minuten um mit der Metro zur Schule zu fahren und dann nochmals Zeit zum Frühstücken.
Tja, die Schule fing in fünf Minuten an und mein Fuß machte mir einen deutlichen Strich durch die Rechnung.
Wieso hatte mich mein Vater eigentlich nicht aufgeweckt?
Angestrengt lauschte ich, ob ich irgendwelche Geräusche aus dem Erdgeschoss vernahm, doch es war still im Haus.
Lediglich die Vögel zwitscherten munter weiter, dazu das Ticken meiner Uhr. Wahrscheinlich war er schon in seiner Firma.
Und was wenn ich einfach zu Hause blieb?
Ich könnte Camille eine Nachricht schicken, dass ich heute nicht kommen würde, sie würde es sicherlich weiter leiten.
Das einzige Problem war, dass ich dann eine Entschuldigung vorzeigen musste, wenn ich morgen wieder käme und mein Vater würde mir hundert Prozent nicht unterschreiben, doch darüber konnte ich mir auch später noch Sorgen machen. Erst einmal wollte ich so schnell wie möglich etwas zwischen die Zähne bekommen, denn gestern hatte ich Abendessen, wie auch Mittagessen ausfallen lassen.
Also stand ich -nun vorsichtiger- auf und humpelte zu meinem Kleiderschrank, um mich anzuziehen.
Behindert durch den Fuß, ging alles etwas langsamer und so war ich erst ungefähr zwanzig Minuten später fertig im Bad.
Mein Vater war wirklich nicht mehr da, doch ausmachen tat mir das nichts. Er hätte mich sicherlich nur angeschrien, das musste ich jetzt nicht auch noch haben, vor allem nicht, weil sich etwas seit gestern verändert hatte.
Mein Herz fühlte sich nun gebrochen an, nicht nur angeknackst wie sonst immer, nein, richtig entzwei.
In der Küche machte ich mir zuerst ein Frühstück, bestehend aus Brötchen, Marmelade, Honig, Käse, Wurst, einem hartgekochten Ei, Orangensaft und Tee.
Als ich das ganze Essen vor mir sah, musste ich daran denken, dass Monsieur Chirac immer gesagt hatte, eine Balletttänzerin musste auf ihre Figur achten, doch wie schon gesagt, es hatte sich etwas geändert. Ich hatte mich geändert und eigentlich besaß ich nicht die Absicht wieder zurück zu den ganzen tanzenden Tussen zu gehen.
Ich würde nie mit dem Tanzen aufhören können, dafür bedeutete es mir zu viel, dafür machte es mir zu sehr Spaß, doch ich wollte gerne etwas anderes tanzen, etwas das mir richtig Spaß machte und nicht sowas wie Ballett. Schön und gut, das konnte auch Spaß machen und eigentlich war es ja auch ganz toll, doch ich verband so viel damit. So viel Schlechtes.
Aber aufhören zu tanzen? Niemals.
Gerade als ich mir das Brötchen geschmiert hatte, klingelte es an der Tür und fragte mich, wer um alles in der Welt jetzt klingelte.
Seufzend stand ich auf und humpelte zur Haustür.
Kurz bevor ich sie aufzog, klingelte es ein zweites Mal und ich dachte mir nur, dass der Besucher froh sein konnte, dass mein Vater nicht da war, der wäre sicherlich ausgerastet...
"Was machst du denn hier?", fragte ich verwundert, als ich sah, wer vor der Tür stand.
"Dich fragen, wie es dir geht."
Zayn grinste mich breit an, doch ich war immer noch etwas verwundert.
Musste er nicht in die Schule?
"Also?", fragte er schmunzelnd, als ich nichts sagte.
"Ehm, es ging mir schon Mal besser... Was machst du hier?"
Er lächelte. „Wie gesagt, fragen wie's dir geht."
„Ja, schon, aber... Du hast ganz schön Glück, dass mein Vater nicht da ist!", meinte ich und verdrängte den Gedanken an die Reaktion von meinem Vater, hätte er Zayn vor der Tür stehen sehen. Denn er sah nicht wirklich so aus, wie die Leute, die mein Vater sich für meinen Umgang wünschte.
„Ich hab ja auch gewartet, bis dein Vater gegangen ist und dann bin ich erst gekommen."
Ich sah ihn erstaunt an. „Wie lange wartest du dann schon hier? Musst du nicht in die Schule?"
„Ich bin schon fertig mit der Schule." Er lachte. „Und ich hab so ungefähr eine halbe Stunde gewartet."
„Aber wieso?"
Er senkte ganz kurz den Blick, sah mich dann aber durchdringend aus seinen dunklen Augen an. „Ich wollte dich wiedersehen..."
Jetzt klappte mir mein Mund wirklich fast auf. „Das... Ehm, willst du vielleicht erstmal rein kommen?"
Zayn musste bei meinem Gesichtsausdruck lachen, nahm die Einladung aber an und folgte mir ins Haus.
„Nette Bude", meinte er erstaunt und sah sich um.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ansichtssache..."
Er grinste. „Wieso bist du eigentlich nicht in der Schule?"
„Keine Lust...", murmelte ich leise und sah auf meine Hände.
„Tsss", machte er und schmunzelte. „Das lässt dein Vater dulden?"
Ich schüttelte den Kopf. „Der hat mich nicht mal geweckt."
Zayn zog die Augenbrauen hoch. „Wieso?"
„Keine Ahnung, wahrscheinlich bin ich ihm egal."
Wieder runzelte er die Stirn.
„Du hast gestern gesagt, das ist eine lange Geschichte, was zwischen dir und deinem Vater ist... Jetzt hab ich Zeit."
Ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte jetzt nicht über das Verhältnis zu meinem Vater reden.
„Das... ist egal." Ich sah wieder auf meine Hände und spürte plötzlich Zayns Hand auf meinem Arm.
„Du musst nicht darüber reden, aber manchmal hilft das."
Diesmal schüttelte ich energischer den Kopf. „Ich kenne dich ja fast nicht."
Zayn zog seine Hand zurück. „Stimmt...", murmelte er und sah aus dem Fenster.
Mist, dachte ich. So hatte ich das jetzt auch wieder nicht gemeint.
„Es ist nur so, dass ich darüber mit fast niemandem rede, weißt du?"
Er sah mich wieder an und nickte dann lächelnd.
„Einfach jetzt noch nicht, ja?", fragte ich zaghaft und schenkte ihm ein Lächeln.
Ich kannte ihn wirklich fast nicht, und obwohl es mir so vor kam, als würde ich ihn schon lange kennen, wollte ich ihm noch nicht von all dem, was in meinem Leben schief ging, erzählen.
Das Vertrauen zu ihm war einfach noch nicht aufgebaut. Zumindest noch nicht so sehr...
„Ok, dann irgendwann anders.", lächelte er. Damit setzte er einen Schlussstrich, worüber ich nicht ganz unglücklich war.
„Geht's deinem Fuß schon wieder so gut, dass du bisschen laufen kannst?", fragte er dann und sah mich erwartungsvoll an.
„Also-"
„Wir müssen wirklich nicht lange laufen, ich will dir nur was zeigen, was dich vielleicht bisschen von... was-auch-immer ablenken wird!", unterbrach Zayn mich.
Ich musste lachen, als er zwei Finger wie zum Schwur hoch hielt, und konnte für einen Moment meine ganzen Sorgen vergessen.
„Also gut, ich komm mit, zu was-auch-immer!"
Ein breites Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Super, dann komm!"
Er hielt mir den Arm hin, doch ich deutete auf den gedeckten Tisch. „Können wir davor noch etwas essen? Ich hab seit gestern Morgen nichts mehr gehabt!"
Seine Augen weiteten sich. „Sag das doch gleich, nicht, dass du uns hier noch verhungerst!"
Grinsend schüttelte ich den Kopf. „Das wird schon nicht passieren!"

Feel like dancing (Zayn Malik)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt