1.

104 4 0
                                    

Es war ein Schlag, der mich damals wieder weckte. Jedes Mal, wenn ich ihn spürte, wusste ich, dass ich noch lebte. Ich wollte nicht Leben. Ich sehnte mich nach dem Tod. Aber was ist oder war damals Tod für mich. Heute würde ich sagen, es ist eine Vollendung des Lebens. Wenn man stirbt weiß man, dass man ein Leben hatte, aber damals dachte ich nur an Befreiung. An die Befreiung durch den Tod von meinen ewigen Schmerzen. Die Schmerzen Hunger leiden zu müssen und die Schmerzen des Folterns. Damals lebte ich im Wald, bei einem armen Bauern, der uns elternlose Kinder dazu zwang, all die Arbeiten zu verrichten. Jeden Tag wurden wir geschlagen und ich sah auch manchmal, wie jemand daran starb. Ich wollte es nicht, aber ich hoffte, irgendwann fliehen zu können. Manchmal sah ich auch, wie ältere Kinder verschwanden und ich hoffte, sie würden nicht für immer weg sein. Als ich dann endlich 15 wurde, wurde mir dann bewusst, dass ich nicht länger an diesem Platz bleiben möchte. Ich begann mich auf die Reise zu machen. Mit meinem zerrissenem Stück Stoff als Kleidung. Ich entkam dem Bauern nur knapp, aber als ich endlich frei war, konnte ich es kaum glauben. Ich lief durch die Wälder, ohne zu wissen, wohin. Mein einziger Gedanke war, dass ich frei war. Zu dieser Zeit wusste ich nicht, dass es besser gewesen wäre, wenn ich bei dem Bauern geblieben wäre. Ich war unvorsichtig und noch zu unwissend, um zu wissen, was das echte Leben mit sich bringt. Das echte Leben. Was ist das für mich. Ich weiß es nicht. Jetzt nicht, aber früher dachte ich, ich wüsste es. Was war ich nur dumm. Ich dachte, dass echte Leben sei schön, ohne Mühe und Arbeit und ohne Anstrengungen. Immer dachte ich, gab es genug zu Essen. Natürlich wurde mir irgendwann bewusst, dass es nicht so ist. Allein zu sein war nicht das schlimme. Das Schlimme war nicht zu wissen, wie lange man nichts zu essen bekommt. Ich wartete viele Tage und Nächte in diesem Wald, bis ich mich in die Welt traute. Ich sah etwas Grünes am Boden. Heute weiß ich, dass es Gras ist, aber damals wusste ich das nicht. Ich wusste nur sehr wenig und dachte, es wäre grünes Wasser. Ich lief aber irgendwann doch noch über die Wiese. Noch nie hatte ich die Sonne so hell gesehen. Ich war damals so aufgeregt, dass ich fast umkippte. Es tat mir gut, zu leben, ohne, dass mir irgendjemand etwas vorschrieb. Leider blieb das nicht lange so, denn wie man weiß, gibt es auch Gefahren in dieser Welt, z.B. die Herrscher. Ich ging nämlich zu einem Baum und aß von ihm einen Apfel, als Leute in teuren Klamotten auf teuren Pferden herankamen. Ich dachte mir nichts und blieb dort einfach stehen. Die Männer kamen und fesselten mich. Sie beschimpften mich mit dreckigen Worten und nahmen mich mit. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich endlich von dem Pferd genommen wurde. Ich wurde unsanft gepackt und in einen Keller geschleppt. Ich war nicht alleine. Ich sah mich um und schaute die Leute freundlich an, aber ihre leeren Blicke schauten nicht zurück. Es war gruselig, als ich einen alten Mann sah, der mir bekannt vorkam. Er hatte an dem Hof gearbeitet, dass wusste ich. Ich sprach ihn an, aber er reagierte nicht. Warum sollte er auch. Er war gefangen, auf ewig. Die Leute sahen alle sehr schmutzig und krank aus und ich schaute sie irgendwann mitleidig an. Sie verstanden mich alle nicht, denn sie sprachen alle gebildete Sprachen und ich nur eine Sprache, die man nur in den untersten Schichten benutzte. Ich verbrachte dort viele Wochen. Ich gab es irgendwann auf, mitzuzählen.


TaminaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt